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Eine ungewohnte Strategie

Von David Ignatius

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Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post".

Die Entwicklung der Georgien-Krise ist interessant: Die USA bemühen sich um eine intensivere Zusammenarbeit mit Europa - und verzichten auch auf Säbelrasseln gegenüber Russland. | Als Antwort auf die Erfahrungen rund um den Georgien-Krieg hat die US-Regierung eine neue politische Linie entworfen, die manchen liberalen Kritikern sehr gefallen dürfte, konservativen Hardlinern aber überhaupt nicht. Die auffallend zurückhaltende neue Georgien-Strategie der USA basiert auf einer engen Zusammenarbeit mit Europa und verzichtet auf militärische Alleingänge.


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Entstanden ist die jetzige Zurückhaltung aus den Fehlern der US-Regierung gegenüber Michail Saakaschwili. Am 8. August verleitete sie nämlich Georgiens Präsident zum unklugen Angriff auf Südossetien und anschließend die Russen zur Bestrafungsaktion.

Die Konturen der neuen politischen Linie der Regierung von George W. Bush kommen interessanterweise Barack Obamas Reaktion auf die Krise sehr viel näher als dem aggressiveren Ansatz John McCains. Ein neuer Kalter Krieg soll damit jedenfalls nicht weiter geschürt werden, sondern eher verhindert.

Das Herzstück der neuen US-Strategie besteht aus einer Milliarde US-Dollar, die Georgien von den USA für humanitäre Hilfe und zivilen Wiederaufbau bekommen soll. Militärische Unterstützung zum Wiederaufbau der georgischen Armee - worauf viele in Tiflis und Washington gehofft hatten - soll es aber vorerst nicht geben.

Durch die neue Konzentration auf zivile Unterstützung sendet die US-Regierung mehrere Botschaften aus: Die Europäer werden beruhigt, dass die US-Regierung die Georgien-Krise nicht militarisieren und keineswegs eine US-russische Konfrontation daraus machen will. Und Saakaschwili wird gleichzeitig gewarnt, es besser langsam anzugehen, um künftig selbstzerstörerische Provokationen zu vermeiden.

Die USA hatten Russland versprochen, sie würden Saakaschwili zurückhalten, entsprechend groß war daher die Verärgerung über den georgischen Angriff auf Südossetien. In der US-Regierung bezweifelt man Saakaschwilis Darstellung, die russischen Truppen wären bereits vor dem georgischen Angriff in Richtung Südossetien unterwegs gewesen.

Das größere Problem für die Bush-Regierung ist jedoch, wie sie Russland klarmachen kann, dass es mit der Invasion in Georgien einen schweren Fehler begangen hat, ohne dass sich die Russen anschließend noch mehr isoliert und noch angriffslustiger fühlen.

Aus der Sicht hochrangiger US-Regierungsbeamter steht Russland nur mit einem Bein im 21. Jahrhundert. Mit dem zweiten Bein hingegen steht Premierminister Wladimir Putin mit seiner völlig veralteten Großmacht-Mystik aus Washingtoner Sicht noch immer im 19. Jahrhundert.

Wirtschaftlich muss Russland für Putins atavistische Taktik seit einem Monat teuer bezahlen. Der Rubel ist stark gefallen, die russische Notenbank musste intervenieren, um ihn zu stützen. Auch die Börsenkurse erwischte es kräftig. Das Abenteuertum des Premiers hat die Investoren in Angst und Schrecken versetzt: Summen im Wert von mehr als 21 Milliarden US-Dollar haben sie in den letzten Wochen aus Russland abgezogen, wie die "Financial Times", gestützt auf einen Bericht von Goldman Sachs, berichtet.

Die Entwicklung dieser - für die Bush-Regierung vielleicht letzten - außenpolitischen Krise ist interessant: Kein Säbelrasseln mehr, keine Rufe (à la McCain) nach einem Ausschluss Russlands von den G8-Treffen. Nur geduldige Bemühungen um eine Zusammenarbeit mit Europa. Alles in allem also eine Politik, die darauf basiert, dass die globalen Kapitalmärkte viel mehr Zurückhaltung bewirken als alles Gepoltere und Getöse in den USA.

Übersetzung: Redaktion

briefausdenusa@wienerzeitung.at