)
Ökonom fordert mehr Verantwortung. | "Überbordende Kreativität" wurde am Ende unethisch. | "Wiener Zeitung": Der Druck auf das Bankgeheimnis steigt. Wie beurteilen Sie die Ausgangssituation?
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 15 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Janwillem Acket: Eine G20-Konferenz, die ohne Teilnahme der Schweiz über das rechtliche Schicksal des Bankgeheimnisses zu entscheiden und eine Abschaffung dieses Grundwertes zu erzwingen versuchte, wäre ein Relikt einer Diplomatie des 19. Jahrhunderts.
Das ist sicherlich kein konstruktiver Ansatz zu einer Lösung des Problems der länderübergreifenden Steuerhinterziehung und des Steuerbetrugs. Ich bin aber überzeugt, es wird sich, trotz der harschen Rhetorik im Vorfeld, ein konstruktiver Dialog ergeben.
Könnte die Schweiz als Finanzplatz denn auch ohne Bankgeheimnis reüssieren?
Wenn es dafür einen klaren demokratischen Willen gibt, selbstverständlich. Aber dann müsste das Rechts- und Steuersystem massiv verändert werden.
Das Bankgeheimnis ist nichts anderes wie das Arzt- oder Anwaltsgeheimnis, eine Ausprägung des Schutzes der Privatsphäre. Dieser Schutz ist ein Grundwert des Schweizer Rechtstaates, der mit allen Mitteln verteidigt wird. Der gläserne Bürger - das heißt hier, die automatische Übermittlung von Finanz-Daten an die Steuerbehörden - wird vom Schweizer Volk abgelehnt.
Wie sehr hat die Krise Julius Bär getroffen?
Ich bin sehr froh, dass unsere Bank nicht bei Madoff investiert hatte und von der Lehman-Brothers-Pleite nicht direkt betroffen war. Allerdings waren bei unserer Hedgefonds-Tochter die Türen zu klein für die, die in der allgemeinen Panik die Flucht ergriffen haben. Da hatten wir große Abflüsse und mussten die Flucht stoppen - das war unsere Schwachstelle und hat unseren Aktienkurs mit UBS und Credit Suisse in Sippenhaftung genommen.
Die Fonds des mutmaßlichen Milliardenbetrügers Bernard Madoff waren lange extrem erfolgreich - warum hat Julius Bär dort nicht investiert?
Wir haben uns mit Madoff befasst. Es war uns aber verdächtig, dass einer in wildesten Marktsituationen immer zweistellige Renditen ausweist. Andere Hedgefonds-Manager, Topleute mit 20 bis 30 Jahren Erfahrung, konnten unter den widrigen Marktgegebenheiten die Performance nicht halten. Und einen Madoff trifft es nicht?
Lehman galt als Topbank für verbriefte Produkte - wir haben aber darauf hingewiesen, dass das risikoreich ist und abgeraten.
Sind nicht Anleger letztlich selbst für ihre Entscheidungen verantwortlich?
Man kann nicht Leuten, die aufgrund ihrer Finanzsituation wenig Risikotoleranz haben, Dinge verkaufen, die für risikofähige Anleger gedacht sind. Das ist die Verantwortung unserer Branche zu entscheiden: Was passt zum Kunden? Wenn ein Kunde gierig ist, müssen wir als Treuhänder unsere Verantwortung wahrnehmen und eine Grenze ziehen.
Dass die Banker jetzt schräg dastehen, hat damit zu tun: Viele Finanzmarktagenten haben nach dem Motto "Alles ist erlaubt" eine unglaubliche Überheblichkeit an den Tag gelegt.
Deregulierung und ein rechtsfreier Raum wurden rücksichtslos ausgenutzt, indem man eine Kreativität überborden ließ, die am Ende unethisch wurde.
Welche Lehren sollten wir daraus ziehen?
Die Finanzmarktbranche hat weltweit die Gier befriedigt. Auch in der Dotcom-Krise hat jeder auf das Momentum des Wachstums gesetzt - selbst als nach zwei, drei Jahren klar war, dass das nicht ganz geheuer sein kann. Aber wir Menschen spielen das Spiel mit, solange es läuft und fordern das Schicksal dadurch heraus.
Die Wirtschaft ist dann am erfolgreichsten, wenn man anständig miteinander umgeht. Geht es dem Kunden langfristig gut, dann ist das auch für uns profitabel.
Wie soll die Regulierung des Marktes aussehen?
Erste Aufgabe ist es, Transparenz zu schaffen. Wenn Sie Rattengift kaufen wollen, wird Sie der Apotheker eindringlich warnen: Das ist hochgiftig! Sie erhalten zudem eine klare Produktdeklaration - das ist ein weltweiter Standard. Auch im Finanzsektor muss der Anleger in Zukunft genau das Risiko nehmen können, das er haben will. Wer Rattengift im Portefeuille will, soll es haben, aber der Kleinsparer weiß, das ist nichts für mich.
Besonders ärgert viele Menschen, dass sie als Steuerzahler für die Bankenhilfsaktionen geradestehen müssen.
Sie haben in der Zunft auch die Mentalität angetroffen, der Kunde müsse froh sein, wenn wir ihn überhaupt betreuen. Das ist eine Überheblichkeit, die ich nie verstanden habe. Größe kann dabei auch behindern: Sie sehen das an den Kommunikationsproblemen, die Banken haben, wenn der Staat sich einmischen will.
Er würde sich schämen, sagte Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann. "Nur über meine Leiche", waren die Worte von Raiffeisen-Chef Christian Konrad .. .
Das ist nicht das Geschickteste in dieser Situation. Man muss den Staat nicht als Feindbild sehen. Auch John Maynard Keynes hat das klar gesagt: Wo der Markt sich selbst nicht mehr aus dem Sumpf ziehen kann, muss der Staat antizyklisch rein und helfen.
Sobald es wieder läuft, muss der Staat sich aber sofort zurückziehen. Denn wir erhalten wegen der Stabilitätsprogramme eine enorme Staatsverschuldung. Und wir haben den Kollateralschaden in der Realwirtschaft, der die Arbeitslosigkeit steigen lässt und die Sozialnetze überlastet.
Das ist die Crux: Wir werden unsere Ansprüche an den Staat neu definieren und vielleicht unsere europäische Vollkasko-Mentalität relativieren müssen.
Zur Person
Janwillem Acket ist seit 2000 Chefvolkswirt der Schweizer Privatbank Julius Bär und ein echter Kosmopolit: Der Sohn eines niederländischen Bankers wurde in Indien geboren und wuchs im Libanon und in der Schweiz auf.