Für den Sozialrechtler und Pensionsexperten Theodor Tomandl ist die Staffelung von Pensionserhöhungen unionsrechtswidrig.
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Wien. Es gibt sehr unterschiedliche Sichtweisen darüber, was fair und gerecht ist. Und wie weit diese Deutungen bisweilen auseinanderklaffen, offenbarten auch die Reaktionen auf die am Mittwoch bekanntgegebenen Pensionserhöhungen. Die Regierung hat im ersten Ministerrat nach der Sommerpause beschlossen, dass es auch im kommenden Jahr eine Staffelung der Pensionserhöhung geben wird. Bis zur ASVG-Höchstpension wird zumindest die Inflation (2 Prozent) abgegolten, kleine Pensionen deutlich darüber.
Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) sagte, dass damit "endlich Fairness in das Pensionssystem" einziehe, andere Vertreter der beiden Regierungsparteien ließen sich in einer wahren Kaskade von Presseaussendungen ganz ähnlich zitieren. Die SPÖ wetterte hingegen: "Fairness sieht anders aus", schrieb Geschäftsführer Max Lercher. Seine Partei habe für die kleinsten Pensionen 4 Prozent gefordert, also weit mehr als die Erhöhung der Regierung. Die Neos wiederum sehen dem Gedanken der Fairness im Sinne der Generationengerechtigkeit nicht entsprochen. Sozialsprecher Gerald Loacker nennt es einen "verantwortungslosen Verrat an der jungen Generation".
Gesetz und Wirklichkeit
Die Beurteilung der Gerechtigkeit ist also schwierig. Doch wie sieht es um die Rechtmäßigkeit aus? Erneut werden die Pensionen nämlich mit einer Staffelung angepasst: mehr für die kleinen, weniger für die hohen Pensionen. Schon im Vorjahr hatte die rot-schwarze Regierung unterschiedliche Sätze beschlossen und ganz hohe Pensionen gar nicht erhöht.
Das ist deshalb von Bedeutung, da in Österreich seit 2004 der Grundsatz gilt, dass die Pensionen mit dem Verbraucherpreis zu koppeln sind. Einerseits soll dadurch eine Wertsicherung erreicht werden, die Pensionen also über die Jahre ihre Kaufkraft erhalten. Andererseits wollte der Gesetzgeber das Vertrauen in die Pension stärken und mehr Rechtssicherheit bieten.
Die Realität sah aber schon recht bald nach dem Beschluss (unter Schwarz-Blau I) anders aus. Man blieb nämlich beim System von Staffelungen, das Ende der 1990er Jahre erstmals auftauchte und politisch offenbar gewünscht war - trotz anderslautender Gesetze, zumindest seit der Pensionsreform 2004.
"Ein, zwei Mal kann man das schon machen, aber nicht auf Dauer. Das sind dramatisch starke Effekte", sagt Wolfgang Mazal, Sozialrechtler an der Universität Wien. Bis zum Jahr 2012 wichen die Regierungen aber nicht von der Systematik, sie war wohl auch zu praktisch als Werkzeug der Geldverteilung.
Dann passierte aber etwas im Jahr 2011. Der Europäische Gerichtshof entschied in einem Verfahren zugunsten einer Frau, die wegen Diskriminierung Beschwerde eingelegt hatte. Bei der Anpassung im Jahr 2008 hatten kleinere Pensionen das Nachsehen - und das betraf überwiegend Frauen. Der EuGH entschied, dass dies der EU-Richtlinie zur Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit widerspricht.
Staffelung abgeschafft
Die rechtlichen Bedenken wuchsen dann doch bei der Politik, die Staffelung wurde abgeschafft, wie es das Gesetz seit 2004 verlangen würde. Die Anpassung erfolgte analog zum Verbraucherpreisindex (VPI). Im Vorjahr wurde dann aber wieder die alte Platte aufgelegt, die vor allem in Jahren mit Nationalratswahlen ein Evergreen ist: mehr für die kleinen, weniger für die hohen Pensionen!
Bis 1500 Euro brutto gab es 2,2 Prozent drauf, danach 33 Euro als Fixbetrag, ab 2000 Euro erhöhten sich die Pensionen nur um 1,6 Prozent und damit unterhalb der Inflationsrate. Diesmal ist die Regierung generöser, denn auch hohe ASVG-Pensionen werden zumindest mit dem VPI vervielfacht nur ganz hohe Pensionen (vor allem Beamte), erhalten einen Fixbetrag von 68 Euro als Draufgabe.
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Die ungleiche Verteilung bei niedrigen und hohen Pensionen in Österreich wird auch hier zum Problem in Sachen Gleichbehandlung. Diesmal (und 2017) sind es aber die Männer, die von einer geringeren Erhöhung betroffen sind. "Schon die letztjährige Staffelung war eindeutig unionsrechtswidrig", sagt Theodor Tomandl, emeritierter Professor an der Uni Wien, der bis 2003 Vorsitzender der Pensionskommission war.
Nur 25 Prozent der männlichen Pensionisten erhalten in Österreich, und zwar quer über alle Versicherungsträger, weniger als 1354 Euro brutto im Monat, bei den Frauen fallen jedoch drei von vier Pensionistinnen in diese Einkommensklasse. Insgesamt liegt der Median bei Männern bei 1876 Euro brutto im Monat, bei Frauen ist er bei nur bei 920 Euro.
"Das ist eine unzulässige Diskriminierung nach dem Geschlecht", sagt Tomandl, dessen Sichtweise von anderen Experten geteilt wird. Er verweist auch auf entsprechende Urteile österreichischer Gerichte, die teilweise noch nicht Rechtskraft erlangt haben. Auch die Regelung aus dem Vorjahr wurde bereits einmal erstinstanzlich erfolgreich bekämpft. Wenn nun wieder eine Höchstgrenze eingezogen werde, bei der nicht einmal die Inflation abgegolten wird, sagt Tomandl, liege erneut eine Benachteiligung vor. Es werde daher auch dasselbe passieren: Klagen.
Versicherungsprinzip infrage
Mazal ist hinsichtlich der Unionsrechtswidrigkeit vorsichtiger, er sagt aber auch: "Diese Argumentation ist zweifellos vertretbar. Sicher ist es aber nicht, da Gerichte hier einen Beurteilungsspielraum gezeigt haben." Jedenfalls, so Mazal, werde aber das Versicherungsprinzip ausgehöhlt, wenn höhere Pensionen strukturell entwertet würden.
Dies könnte wiederum ein Fall für den österreichischen Verfassungsgerichtshof werden. Er hatte sich schon einmal mit der Thematik von Kaufkraftverlusten bei Pensionen beschäftigt, laut Tomandl hatte er die Beschwerde aber abgeschmettert. Das Problem ist allerdings, dass die einzelnen Eingriffe und geringe Anpassungen über Jahre wirken und die Abweichung daher immer größer wird. Dass sich der VfGH wieder einmal mit den Fragen des Vertrauens- und Eigentumsschutzes in Bezug auf die Pensionen beschäftigen wird, ist daher wahrscheinlich. Seit der Ankündigung am Mittwoch vielleicht noch ein bisschen mehr.