Ein diffiziles Werk von Spielregeln sorgt für den demokratischen Ausgleich der Machtverhältnisse im Staat.
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Die Verfassung unseres Landes ist durch ein hoch entwickeltes System gegenseitiger Kontrolle der Staatsfunktionen gekennzeichnet. Die Justiz ist von der Verwaltung in allen Instanzen getrennt, die Vollziehung ist an das Gesetz gebunden, das Parlament kontrolliert die Regierung, der Bundespräsident hat Rechte gegenüber Parlament und Regierung, ist aber selbst zumeist an deren Vorschläge gebunden.
Diese Checks und Balances sind fein gesponnen. Eine besonders ausgeprägte Rolle weist das Verfassungsrecht der rechtlichen Kontrolle im Staat zu: Die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist - wie dies eine frühere Bestimmung des B-VG anschaulich formulierte - zur Sicherung der Gesetzmäßigkeit der gesamten öffentlichen Verwaltung berufen. Sie ist in zwei Stufen organisiert:
Die Verwaltungsgerichte (erster Instanz) erkennen über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde oder gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, wenn diese wegen Rechtswidrigkeit angefochten werden, sowie über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht einer Verwaltungsbehörde.
Der gewissermaßen übergeordnete Verwaltungsgerichtshof erkennt über Revisionen gegen Erkenntnisse eines Verwaltungsgerichtes, wenn solche beispielsweise von den Beschwerdeführern eingebracht werden können; er entscheidet im Fall der Verletzung der Entscheidungspflicht eines solchen Gerichts und bei Kompetenzkonflikten zwischen Verwaltungsgerichten.
Wer immer von einer Entscheidung oder Maßnahme der Verwaltung betroffen ist, kann sich direkt an das zuständige Verwaltungsgericht wenden. Entscheidet dann das Gericht, ist dies für die Behörden bindend, sie müssen die Entscheidung im konkreten Anlassfall umsetzen. Damit ist eine lückenlose und wirksame Kontrolle der Verwaltung im Interesse der Bürgerinnen und Bürger gewährleistet.
Verfassungsgerichtsbarkeit ist einmalig im Vergleich zu anderen Ländern
Eine weitere Säule der rechtsstaatlichen Kontrolle ist der Verfassungsgerichtshof (VfGH). Er entscheidet unter anderem über Kompetenzkonflikte zwischen Bund und Ländern und zwischen Staatsorganen. Er prüft Verordnungen auf ihre Gesetzmäßigkeit und Gesetze auf ihre Verfassungskonformität - unter gewissen Voraussetzungen sogar auf Antrag eines betroffenen Bürgers. Er entscheidet über Wahlanfechtungen, und er kann von Betroffenen angerufen werden, wenn ein staatliches Organ ihre Grundrechte verletzt.
Diese Konstruktion der Verfassungsgerichtsbarkeit mit ihren weitreichenden Befugnissen ist einmalig in der Rechtsordnung vergleichbarer Länder. Der Rechnungshof kontrolliert die Gebarung des Bundes, der Länder, größerer Gemeinden und der Selbstverwaltungskörper. Diese Aufgabe wird in den Ländern noch durch Landesrechnungshöfe ergänzt. Hier werden nicht nur die ziffernmäßige Richtigkeit und die Einhaltung der Budgets kontrolliert, sondern auch die Zweckmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit des Vollzugs.
Schließlich ist für Missstände in der Verwaltung, die nicht bei den Verwaltungsgerichten oder beim VfGH bekämpft werden können, die Volksanwaltschaft zuständig, die ebenfalls von jedem und jeder Betroffenen angerufen werden kann. Auch das Parlament kontrolliert die Verwaltung, konkreter die Bundesregierung und die Bundesminister in mehrfacher Weise: Es hat ein umfassendes Fragerecht - auf schriftliche Interpellationen, Dringliche Anfragen, und in der Fragestunde müssen die Minister präzise und vollständig Auskunft geben. Das Parlament kann auch durch Resolutionen an die Bundesregierung seinem Willen einen besonderen Ausdruck geben. Es kann in Untersuchungsausschüssen konkrete Sachverhalte und Vorwürfe aufklären und die Verantwortung für Missstände und Fehlverhalten klarstellen. Und es hat als stärkstes Kontrollmittel die Möglichkeit, einzelnen Ministern oder der gesamten Bundesregierung das Misstrauen auszusprechen. Das führt unverzüglich zu deren Abberufung.
Seit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union übt auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg gewisse Kontrollrechte aus. Bei der Verletzung von Menschenrechten kann der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg angerufen werden.
Teil 8 der Serie:
100 Jahre Bundesverfassung
(erscheint jeden Freitag)
Redaktionelle Koordination:
Petra Tempfer,
Paul Vécsei
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