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Eine verhängnisvolle Affäre

Von Georg Friesenbichler

Europaarchiv

Analyse: Für viele ist die mediale Empörung über Wulff nicht glaubwürdig.


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Berlin. Täglich haben die deutschen Medien über ihren Bundespräsidenten zu berichten. Am Freitag ging es um eine Reise, die Christian Wulff - damals noch Ministerpräsident von Niedersachsen - zusammen mit Ehefrau Bettina und ihrem Sohn im April 2007 aus den USA zurück nach Hause führte. Dabei hat die Familie ein Upgrade von Economy auf Business Class erhalten - darüber, ob Wulff dafür dienstliche Bonusmeilen einsetzte, herrscht Unklarheit. Es soll widersprüchliche Angaben zwischen Wulffs Anwalt und der Lufthansa geben.

Es ist wieder einmal die "Bild"-Zeitung, die Zweifel an der Redlichkeit des Bundespräsidenten erweckt. Schon der Auslöser des Affären-Reigens war in der "Bild" erschienen - Mitte Dezember tat das Boulevard-Blatt kund, dass Wulff vor dem niedersächsischen Landtag eine geschäftliche Beziehung zu dem Unternehmer Egon Geerkes geleugnet hat, obwohl dessen Ehefrau den Wulffs einen Kredit für einen Hauskauf gewährt habe.

Seitdem kommt Wulff nicht aus den Schlagzeilen der Medien. Am Freitag gab er seinen Anwälten nach einigem Zögern grünes Licht, die ausständigen Fragen und Antworten zu veröffentlichen. Dem Schriftsteller Günter Wallraff, der einst selbst inkognito bei "Bild" arbeitete und darüber das Buch "Der Aufmacher" schrieb, ist die Rolle des Blattes aus dem Axel-Springer-Verlag nicht geheuer: "Es ist nicht besonders seriös, wenn ,Bild-Chefredakteur Kai Diekmann über viele Jahre vertrauliche Gespräche mit einem Politiker pflegt und diesen dann plötzlich vorführt und öffentlich bloßstellt", sagte Wallraff der "Frankfurter Rundschau". Man dürfe nicht vergessen, "dass Wulff von ,Bild in einer ganz besonderen Weise aufgebaut, hofiert und gehätschelt wurde", meinte Wallraff, der "die Hingabe Wulffs an die Boulevardpresse entwürdigend und verabscheuungswürdig" nennt.

"Wie kriegt Wulff das bloß so prima hin?"

Tatsächlich war "Bild" von dem CDU-Politiker begeistert, seit er 2003 die Landtagswahl in Niedersachsen gewann. 2005 beschrieb sie ihn als "adrett, erfolgreich, skandalfrei". Im Gegenzug gewährte Wulff großzügig Einblicke in sein Privatleben. Dass er sich 2006 von seiner ersten Frau trennte, vermeldete er über "Bild". Die Zeitung begleitete seinen Werdegang weiterhin mit exklusiven Homestories und voller Sympathie: "Regierungschef, Vater, Geliebter und Noch-Ehemann - wie kriegt Christian Wulff das bloß so prima hin?", fragte die Zeitung 2007 bewundernd.

Wann die gegenseitige Zuneigung erstarb, ist ungewiss. Wallraff verortet den Zeitpunkt im Oktober 2010, als der Bundespräsident den Islam als "Teil Deutschlands" bezeichnete. Beobachter vermerkten aber schon vor der Wahl Wulffs im Juni 2010 zum Präsidenten, dass "Bild" eher zu seinem Konkurrenten Joachim Gauck tendierte. Auch über die Ursache des "endgültigen Bruchs", den Wulff dem Chefreakteur Diekmann auf dessen Mailbox androhte und der nun wohl vollzogen ist, gibt es nur Spekulationen. War es bloß die Lust an der Sensation, die das vertrauensvolle Verhältnis untergrub? Will man sich den Anstrich eines seriösen Aufdeckermediums geben? Oder wollte, wie manchmal kolportiert wird, sich das Ehepaar Wulff von der "Bild"-Zeitung emanzipieren? In diesem Fall wäre das Motiv wohl enttäuschte Liebe, wie im Film "Eine verhängnisvolle Affäre" oder dutzenden gleichgestrickten Produktionen.

Nicht immer endet die Beziehung zwischen Boulevard und Macht so feindselig: "Bild" hielt auch noch Karl-Theodor zu Guttenberg, als die Mehrheit ihrer Inernet-Nutzer schon den Minister wegen seiner Plagiatsaffäre zum Rücktritt aufforderte. Ausführlich widmete sich das Blatt im November vor allem den reuevollen Passagen des Interview-Buchs "Vorerst gescheitert", mit dem Guttenberg nach Ansicht vieler Beobachter sein politisches Comeback vorbereitet.

Die problematische Verbindung zwischen Journalismus und Politik ist, wie man weiß, kein spezifisch deutsches Phänomen. In Großbritannien bereiteten Premier David Cameron seine engen Beziehungen zum Medienimperium von Rupert Murdoch erhebliche Schwierigkeiten, als dieser wegen der Abhörpraktiken seiner Journalisten in Verruf kam. In Italien vereinte Silvio Berlusconi Medienmacht und politische Herrschaft gleich in einer Person. Und in Österreich bilden Regierungsinserate für Boulevardmedien nur die Spitze des Eisberges, unter der die "Verhaberung" vieler Journalisten mit den Mächtigen lauert.

Misstrauen gegen Politik und Medien

Vielleicht erklärt sich daraus das Misstrauen, mit dem die Bevölkerung nicht nur den Politikern, sondern auch den Journalisten gegenüber steht - diese sind in den "Glaubwürdigkeitsverluststrudel der Politik hineingezogen" worden, schreibt der Verleger der Wochenzeitung "der Freitag", Jakob Augstein, in seinem Blog auf "Spiegel Online".

Das spiegelt sich in den Umfragen wider: Obwohl die deutsche Presse seit rund einem Monat von Wulff Aufklärung über seine Affären verlangt und ihn 61 Prozent der Befragten für nicht glaubwürdig halten, ist laut dem jüngsten ZDF-Politbarometer noch immer eine knappe Mehrheit für seinen Verbleib im Amt - auch deshalb, weil die meisten weder dem Amt noch dem Thema große Bedeutung beimessen.