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ÖAW-Expertin: Bildungserfolg erst nach drei Jahren Kindergarten. | Ausbildung der Pädagogen muss verbessert werden. | "Wer kann meinem Kind helfen, seine Deutschkenntnisse zu verbessern?" Diese Anzeige fand sich jüngst in einem Internet-Forum für Aushilfsjobs. Das Kind, sechs Jahre alt und in Österreich aufgewachsen, wird wohl demnächst den Test zur Sprachstandsfeststellung absolvieren müssen, der seit heuer verpflichtend ist und quasi einen Vortest zur Schulreifeprüfung darstellt. Wer ihn nicht besteht, wird ein Jahr in die Vorschule geschickt.
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Wäre das Kind zuvor in den Kindergarten gegangen, so hätten sich die Eltern wohl den Nachhilfelehrer erspart. Oder? Dieser Theorie folgen zumindest SPÖ und ÖVP, die einander im letzten Moment vor den Nationalratswahlen noch mit Vorschlägen übertrumpfen, wie man mehr Kinder zumindest für ein Jahr in den Kindergarten locken könnte (siehe Grafik unten). Nun könnte man argumentieren, dass ein Gratis-Kindergartenjahr und die damit verbundenen hohen Kosten eine Investition in die Zukunft seien, weil dadurch eine bessere Chancengleichheit zwischen Einheimischen und Migranten hergestellt würde. Doch dieses Argument greift zu kurz. Erstens besuchen bereits jetzt 90 Prozent aller in Österreich lebenden Kinder einen Kindergarten. Zweitens macht ein Jahr "für den Bildungserfolg keinen großen Unterschied", wie die Integrationsexpertin Barbara Herzog-Punzenberger von der Akademie der Wissenschaften erklärt.
Tatsächlich sei eine Verbesserung der Sprachkenntnisse erst nach zwei oder gar drei Jahren erkennbar. Eine dreijährige Kindergartenpflicht für alle erscheint ihr daher am wirksamsten. Ein weit größeres Problem sind die Rahmenbedingungen. Denn ohne eine ausreichende Qualität der Förderung wird sich auch ein dreijähriger Kindergartenbesuch - ob nun gratis oder kostenpflichtig - nicht auszahlen. Unter anderem müsste die Ausbildung der Kindergartenpädagogen massiv verbessert werden, sagt die Wissenschafterin zur "Wiener Zeitung".
Das gelte freilich auch für die Lehrer, bei denen Herzog-Punzenberger noch größere Versäumnisse ortet: "Obwohl es gesetzlich ganz gute Vorgaben gibt, herrscht im schulischen Bereich ein schludriger Umgang mit der Sprachförderung", sagt sie. So gebe es zwar Obergrenzen für das Ausmaß der sprachlichen Förderung, aber keine Untergrenzen. Außerdem sei an vielen pädagogischen Hochschulen das Fach "Deutsch als Fremdsprache" immer noch nicht Pflicht. Ihr Fazit: Jedes Kind müsste einen Rechtsanspruch auf sprachliche Förderung haben - "aber das wurde vom Gesetzgeber nie ernsthaft betrieben".
Bei der Sprachförderung geht es schließlich nicht nur um die soziale Integration. Es sind vielmehr handfeste wirtschaftliche Probleme, die durch die mangelhaften Deutschkenntnisse einer ganzen Teenager-Generation entstehen: Wer nicht ausreichend Deutsch kann, der hat auch Schwierigkeiten damit, eine Lehrstelle zu finden und wird über kurz oder lang in der Arbeitslosigkeit oder als unqualifizierte und damit schlecht verdienende Aushilfskraft enden.
Fremdsprachige Kinder im Kindergarten
LandKinder in BetreuungNicht-deutsche MutterspracheWien71.52130.223 = 42,3Vorarlberg13.7553.179 = 23,1ÖSTERREICH287.79565.614 = 22,8Salzburg17.7473.507 = 19,8Tirol22.6143.929 = 17,4Steiermark30.8045.180 = 16,8Niederösterreich56.5087.497 = 13,3Burgenland8.8731.126 = 12,7Oberösterreich47.7179.270 = 12,4Kärnten18.2561.703 = 9,3
Dass der Zusammenhang zwischen Jugendarbeitslosigkeit und Migrationshintergrund offensichtlich noch nicht ausreichend im politischen Bewusstsein verankert ist, zeigt das Fehlen einer entsprechenden Statistik beim Arbeitsmarktservice. Anders in Deutschland: Dort hat man festgestellt, dass der Anteil der Jugendlichen ohne qualifizierten Berufsabschluss bei den Einheimischen 15 Prozent beträgt, bei den Migranten jedoch stolze 41 Prozent. Von einer Lösung des Problems ist man freilich auch im Nachbarland noch meilenweit entfernt.
Kinder mit nicht-deutscher Muttersprache in den Kindergarten zu schicken, kann also nur ein Teil der Lösung sein - zuerst müsste einmal das Problem als Ganzes erkannt werden. Schwierige Aufgabe im Wahlkampf.
Kindergarten und Integration - Die Forderungen der Parteien