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Eine vermeintliche Pflegeversicherung

Von Karl Ettinger

Politik

Eine Arbeiterkammerexpertin sieht im Koalitionspakt nur ein neues Schild bei der Pflegefinanzierung. ÖVP und Grüne setzen vor allem auf Steuermittel und planen einen freien Tag für pflegende Angehörige.


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Immer mehr Österreicher sind mit der Frage konfrontiert, wie sie die Pflege von Angehörigen organisieren sollen. "Der Pflegenotstand ist Realität", sagte am Dienstagnachmittag der neue Sozialminster Rudi Anschober (Grüne) bei der Übernahme des Ressorts von Brigitte Zarfl, bisher Ministerin im Beamtenkabinett, die nun wieder die Präsidialsektion im Sozialministerium leiten wird. Die Pflege sei die größte Herausforderung, erklärte Anschober. Schon in einem der nächsten Ministerräte wird Türkis-Grün erste Maßnahmen im Pflegesektor beschließen.

In ihrem Regierungspakt lassen ÖVP und Grüne zwar mit der Ankündigung einer Pflegeversicherung aufhorchen. Allerdings wird es sich dabei nicht um eine klassische eigene Versicherung wie etwa in Deutschland handeln, das hat ÖVP-Obmann Sebastian Kurz bereits in der Vorwoche deutlich gemacht. Vielmehr soll die frühere Idee der Volkspartei aufgegriffen werden, dass die Pflegeversicherung als eigener Zweig der Unfallversicherung eingerichtet wird, freilich ohne eigene Beiträge wie im Fall einer Versicherung. Das wurde der "Wiener Zeitung" von verlässlicher Quelle in der ÖVP bestätigt. Im Koalitionspakt selbst ist das im Pflegekapitel nicht näher ausgeführt. Dort ist lediglich von einer Bündelung der Finanzierung in Absprache mit den Bundesländern die Rede.

Vonseiten der Arbeiterkammer wird diese Vorgangsweise kritisiert. "Das ist halt eine Türschildänderung", urteilt Silvia Rosoli, AK-Expertin für Pflege, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Die Abwicklung, die derzeit von der Pensionsversicherungsanstalt erledigt werde, werde künftig zur Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) verlagert. "Es geht nur um die Terminologie, um die Leute zu beruhigen", meint Rosoli. Es handle sich bei den türkis-grünen Plänen um eine vermeintliche Versicherung, die im Wesentlichen mit Steuermitteln finanziert werde. "Pflegeversicherung erweckt einen falschen Eindruck", erklärt die AK-Pflegeexpertin.

Keine höheren Beiträge, um die Wirtschaft nicht zu belasten

Sie verweist außerdem darauf, dass die Wirtschaftskammer gegen eine Erhöhung der Beiträge und damit der Lohnnebenkosten sei. "Da passt kein Blatt zwischen uns", betont Rosoli. Auch in der Volkspartei wird auf die Aussagen von Obmann Kurz hingewiesen. Eine höhere Belastung durch Beiträge oder höhere Lohnnebenkosten für die Finanzierung der Pflege ist demnach auch von ÖVP-Seite nicht geplant.

Vielmehr sollen die Ausgaben für die Pflege weiterhin großteils aus Steuereinnahmen finanziert werden. Derzeit werden jährlich rund fünf Milliarden Euro aufgebracht, darunter allein rund zwei Milliarden Euro für das Pflegegeld, das zu Beginn des neuen Jahres um einheitlich 1,8 Prozent in allen sieben Stufen des Pflegegeldes angehoben wurde. Rund 460.000 Menschen erhalten Pflegegeld. Es werde jedenfalls keine Mehrkosten durch Beiträge für die Pflegefinanzierung geben, wird in der Volkspartei bekräftigt. Zusätzlich wolle man jedoch Mittel, die in der AUVA durch die rückläufige Zahl an Arbeitsunfällen frei werden, künftig für die Pflege nützen. "Wir glauben, dass eine Reihe von Mitteln frei werden", heißt es in der Volkspartei.

Schwerpunkt im Koalitionspakt ist der Ausbau der Unterstützung für pflegende Angehörige. Rund 900.000 Menschen in Österreich betreuen hilfsbedürftige Menschen daheim. Für diesen Personenkreis ist von Türkis-Grün unter anderem die Einführung eines Pflegebonus daheim im Regierungsabkommen vorgesehen. Die ÖVP hat im Nationalratswahlkampf einen Bonus von bis zu 1500 Euro in Aussicht gestellt. Im Abkommen selbst findet sich jetzt keine genaue Höhe dazu. Unter anderem wird die Beratung pflegender Angehöriger ausgebaut. Darüber hinaus ist zur Entlastung pflegender Angehöriger ein freier Tag pro Monat vorgesehen.

Personaloffensive wird angekündigt

Für AK-Expertin Rosoli ist dieser Schwerpunkt vor allem auf die Betreuung und Pflege durch Angehörige allein zu wenig: "Ich kann die Leute nicht daheim allein lassen", warnt sie. Es müssten neben der mobilen Pflege auch die stationäre Pflege und alternative Modelle ausgebaut werden, um den Herausforderungen durch die Demografie, die mehr ältere, pflegebedürftige Menschen zur Folge hat, gerecht zu werden. "Da bräuchte es viel mehr."

Das Hauptmanko in dem türkis-grünen Regierungsabkommen sieht Rosoli jedoch darin, dass sich nichts zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Beschäftigten im Pflegesektor finde. Es gebe lediglich das "Schlagwort" einer Personaloffensive. Das allein sei aber zur Bewältigung der Situation zu wenig.

Die Arbeiterkammer hat mit Vertretern der Pflegeberufe erst vor wenigen Wochen beklagt, dass zu wenig getan werde, um junge, ausgebildete Pflegekräfte im Beruf zu halten. Notwendig sei vor allem auch eine genaue Berechnung des Personalbedarfs.

Mehr Beratung für Angehörige auf Gemeindeebene

In der ÖVP wird betont, dass ein Großteil der Pflegebedürftigen - knapp 80 Prozent - zu Hause betreut und gepflegt wird. Hauptanliegen der pflegenden Angehörigen sei eine bessere Unterstützung und die Möglichkeit, sich Auszeiten nehmen zu können. Dem will die türkis-grüne Koalition nun durch mehr Beratung vor allem auch auf Gemeindeebene Rechnung tragen. Fix geplant ist, dass mit den Bundesländern eine Reform im Pflegebereich vorgenommen wird.

Rosoli findet es einen positiven Ansatz, dass auch eine Reform des Pflegegeldes in Angriff genommen werden soll. Das erscheine ihr ambitioniert. Auf den neuen Sozialminister Anschober wartet viel Arbeit.