Slowaken und Ungarn spielen im burgenländischen Wahlkampf unfreiwillig die Hauptrolle. Zu Recht?
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Wien. "Früher haben wir unsere Türe nie abgesperrt. Jetzt überleg’ ich drei Mal, ob alles gut verschlossen ist." Im Haus der Kovacs in der nordburgenländischen Gemeinde Kittsee wurde 2014 innerhalb eines Monats zweimal eingebrochen. Michaela Kovacs, Lehrerin an der Neuen Mittelschule, ließ nun eine Alarmanlage installieren. "In der Schule wurden Laptops gestohlen. Und Räder verschwinden ständig."
Radtour-Diebestour
Kittsee liegt einen Steinwurf von Bratislava entfernt, der "Hochburg der Mafia", wie ein Mittagsgast beim Dorfwirt glaubt zu wissen. "Die kommen mit dem Zug über die Grenze und fahren mit dem Radl zurück", erzählt ein anderer Gast am Tresen. Das berühmteste Diebesgut: das Fahrrad der Bürgermeisterin Gabriele Nabinger (SPÖ) höchstpersönlich. Den Diebstahl outete sie, als die Augen auf ihre Gemeinde und auf den Genossen Landeshauptmann, Hans Niessl, gerichtet waren. Dieser forderte im April medienwirksam Videokameras im Ort. Denn angesichts der hohen Kriminalität könne man nicht "zur Tagesordnung übergehen".
Die Sicherheit. Verlässlich Thema Nummer 1 im Bundesland mit der 400-Kilometer-Grenze zum ehemaligen "Osten". Sicherheit ist im Burgenland etwas Besonderes, und sie wird "subjektiv" vermessen. Das "subjektive Sicherheitsgefühl" war einst Niessls Hauptargument für die Verlängerung des Bundesheer-Assistenzeinsatzes bis 2011, der nach den EU-Beitritten Ungarns und der Slowakei kaum noch zu rechtfertigen, aber bei den Bürgern beliebt war. Die Burgenländer sprechen noch heute liebevoll vom "Ass-Einsatz".
Gefühl schlägt Fakten. Doch wie sehen diese aus? Mit 1,8 Prozent der landesweiten Kriminalität ist das Burgenland das sicherste Bundesland, sagt das Bundeskriminalamt. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner nennt es sogar eine der "sichersten Regionen Europas". Subjektivität lebt vom Vergleich. Ein gestohlenes Rad, ein geklauter Rasenmäher, ein entwendeter Bohrer wiegen schwer, wenn in guten alten Zeiten nie etwas verschwand. 20 Wohnungseinbrüche auf 3000 Einwohner sind ja nicht wenig.
Die Zeiten werden trotzdem wieder besser. In den vergangenen zehn Jahren ist die Kriminalität um 22 Prozent gesunken, sagt das Innenministerium. In dem für die Kovacs unglücklichen Jahr 2014 ging die Zahl der Anzeigen im Burgenland am stärksten von allen Bundesländern zurück, und zwar um acht Prozent. Ein Trend, den der Dorfwirt rein subjektiv, also vom Gefühl her, bestätigt.
Rechtsausleger
Die FPÖ fordert trotz aufgestockter Polizeiwache einen Ass-Einsatz light. Statt Soldaten sollen künftig "Gemeindewachkörper" patrouillieren. Parteichef Johann Tschürtz hat gegen den Rechtsausleger der SPÖ, Hans Niessl, einen schweren Stand, denn der ruft gleich wie in Kittsee Big Brother zur Hilfe. Deswegen hat die FPÖ eine zweite Front eröffnet. Den Arbeitsmarkt. Sie sieht nicht nur die Sicherheit der Eigenheime in Gefahr, sondern auch die der Jobs. Die blaue Formel: Anders als bei der Bürgerwehr sollen die Gemeindewachkörper bezahlte Vertragsbedienstete der Gemeinde sein ("neue Jobs für unsere Burgenländer"). Ausgerüstet mit Pfeffersprays zur Selbstverteidigung sollen sie der Polizei assistieren.
Nehmen Ungarn und Slowaken, die im Wahlkampf unfreiwillig die Hauptrolle spielen, den Burgenländern nicht nur die Fahrräder, sondern auch die Jobs weg? In Kittsee ist die Antwort eindeutig: Nein. Im Gegenteil. Die Slowaken brachten Jobs und viel Geld. Angelockt von günstigen Grundpreisen siedelten sich 1000 Bratislaver in Kittsee an, die Bevölkerung der ehemaligen Randgemeinde wuchs um ein Drittel auf 3000 Einwohner. Am Ortsrand steht eingesäumt von Windrädern eine eigene Slowaken-Siedlung namens "Steinfeld". Mit ihr kam ein Einkaufszentrum an der Ortseinfahrt, neue Jobs in den Läden und mehr Einnahmen für die Gemeinde. Geld für den Ausbau der Schule und des Kindergartens. Das bringt Jobs am Bau und in den Schulen. Frau Kovacs meint, ohne das Drittel slowakischer Kinder wäre die Schule auf Dauer schwer zu halten.
Warum immer Wien?
Die Slowaken selbst arbeiten "drüben" und pendeln über die Grenze. Die Kittseer pendeln weiter in großer Zahl nach Wien. Dass Bratislava keine Option ist, liegt auch an der Sprachbarriere. Während die Kittseer Slowaken auch Deutsch sprechen oder es sehr rasch lernen (laut Kovacs zählen sie zu den besten Schülern), reizt die Burgenländer die Sprache des Nachbarn kaum.
"Wir hatten Slowakisch als Hauptfach, aber das wurde nicht angenommen", erzählt Bürgermeisterin Nabinger. Im Kampf um die neuen Jobs ein Nachteil - nicht nur in Kittsee, sondern auch in den Thermen des Landes. Im Einkaufszentrum werden zweisprachige Slowaken einsprachigen Kittseern nicht selten vorgezogen. Die Slowaken, die in großer Zahl zum Shoppen einpendeln, können nicht alle Deutsch und wollen bedient werden.
Einkaufen, Wohnen, Pendeln: Kittsee und Bratislava scheinen "zusammenzuwachsen". Bei diesem Wort fährt die rote Bürgermeisterin zusammen. "Sagen Sie das nicht. Wir wollen nicht verstädtern und zu viele Fremde haben. Wenn schon, wollen wir das Perchtoldsdorf von Bratislava, nicht das Simmering Wiens werden." Um neue Großsiedlungen zu verhindern, erlaubt die Bauordnung nur noch einstöckige Neubauten. Den Zustrom unterbinden würden auch ständige Grenzkontrollen, wie es die FPÖ fordert. Eine Illusion, ist man beim Dorfwirt überzeugt.
Angst vor Verkehrsflut
Im Ort Halbturn, südlich von Kittsee, will die FPÖ den Grenzübergang zu den Stoßzeiten dichtmachen. Das hat Aussicht auf Erfolg. Der schon jetzt gut frequentierte Güterweg ist auf ungarischer Seite von Schlaglöchern gesät. Sollte er renoviert werden, fürchtet FPÖ-Ortschef Manfred Haidinger, dass Halbturn überrollt wird.
Als warnendes Beispiel dient Schattendorf zwischen Sopron und Mattersburg. Der einstige Güterweg ist nach der Renovierung nun zu Stoßzeiten gesperrt worden, um die Verkehrsflut zu kontrollieren.
Einen anderen "Tsunami" ortet der Parteikollege von Haidinger, Christian Weiß: eine Flut ungarischer Billig-Arbeitskräfte. Er selbst hat eine Malerfirma. Früher habe er bei 70 Prozent der Angebote den Zuschlag bekommen, heute bei zehn Prozent. Er selbst beschäftigt auch ungarische Arbeiter, zahle aber österreichische Löhne. Die ungarischen Firmen wären um zwei Drittel billiger. Was nicht sein dürfte, aber "das kontrolliert doch keiner". Und wenn doch, zahle der Arbeiter das Geld hinter der Grenze wieder an die Firma zurück. Weiß erzählt von Firmen, die von Fliesenlegen, Ausmalen, Dachdecken bis hin zum Rasenmähen alles im Paket anbieten würden.
Lohndumping ist tatsächlich ein Problem im Burgenland. Deswegen fordert Niessl die Gemeinden auf, bei öffentlichen Aufträgen den Bestbieter (sprich Burgenländer) und nicht den Billigstbieter (sprich Ungarn) zu beschäftigen. Dann gäbe es aber noch immer das private "Pfuscherparadies", von dem die Wirtschaftskammer spricht. Die Region ist übersichtlich. Weiß kennt wohl jede Baustelle. Warum schwärzt er die Hausherren, die sein Geschäft zerstören, nicht an? "Dann werd ich am Sportplatz ausgegrenzt."
Wo sind die Österreicher?
In Mattersburg, der mit 7000 Einwohnern drittgrößten Stadt, würde der Besitzer des "Peakock"-Pub, Günter Zierling, auf der Stelle heimisches Personal einstellen. "Aber es ist eine Kunst, beim AMS passendes Personal zu finden." Die burgenländische Gastro sei immer schon ungarisch gewesen. Den regen Verkehr sieht er entspannt. "Früher sind wir runter nach Sopron gefahren, zum Einkaufen, Essen, Tanken. Jetzt machen das die Ungarn bei uns." Was ihm mehr Sorge bereitet als subjektive Sicherheitsgefühle, ist das objektive Sterben des Zentrums. "Die Leut’ haben kein Geld mehr und bleiben daheim."
Die Krone lebt
In der 2000-Seelen-Gemeinde Rudersdorf im südlichsten Burgenland braucht der pensionierte Lehrer Peter Sattler keine Kameras, nicht einmal eine Alarmanlage oder ein Sicherheitsschloss. Er lässt das Tor zu seinem Hof auch in der Nacht unversperrt. Ja, ins Lagerhaus sei eingebrochen worden, Traktoren seien verschwunden, aber insgesamt hege man kein großes Misstrauen gegenüber den Ungarn. Der Landesteil jenseits der Grenze sei harmlos. Er fährt seit Jahrzehnten rüber zum gemeinsamen Musizieren.
Auch Sattler beschäftigt das Sterben des öffentlichen Lebens und der Wirtshauskultur in ganz Burgenland mehr als das vor der Wahl getrommelte Thema "Sicherheit". Das Ortsgasthaus mit dem k.u.k.-Namen hätte es fast erwischt als der Besitzer in Ruhestand ging. Doch es fand sich eine Ungarin, die mit ihrem Mann die "Ungarische Krone" rettete.