Der Wahlkampf um das Amt des Bundespräsidenten startet in die entscheidende Phase. Die Grundstimmung im Staat ist düster.
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Man weiß nicht so recht, wie auf diese Kandidatenflut für die Wahl des Bundespräsidenten am 9. Oktober zu reagieren ist. Einerseits gilt: Demokratie lebt vom Engagement der Menschen, so gesehen kann es gar nicht zu viele oder "falsche" Kandidaten geben.
Andererseits sind Wahlen in einer Demokratie nie nur ein Abstimmungsvorgang für eine Funktion oder Richtung , sondern immer auch eine Plattform, um Personen und Anliegen ins Rampenlicht zu schieben. Sei es aus ganz uneigennützigen Gründen, weil die Protagonisten dieses oder jenes als wichtig erachten, oder sei es aus profaneren Gründen, etwa um die Aufmerksamkeit einer großen Öffentlichkeit für das eigene Ich, die Marke, das Hobby oder ein frisch geschriebenes Buch zu maximieren.
Die Chancen auf flächendeckende Berichterstattung sind wohl selten höher als bei einer Bundespräsidentenwahl. Und wer die Tarife für Werbung im TV, in Digital- und in Printmedien kennt, weiß, welche materielle Dimension eine solche Kandidatur eben auch annehmen kann, selbst wenn man allenfalls theoretische Chancen auf den Wahlsieg hat. Interviews, Porträts, Analysen: Wer es auf den Stimmzettel schafft, bekommt mediale Öffentlichkeit zum Nulltarif. Das verlangen der Respekt vor der Demokratie und die Informationspflicht in Richtung Bürger.
Eine Wahlfür jedermann
So gesehen ist der Umstand, dass sich jede Bürgerin und jeder Bürger, die oder der spätestens am Wahltag das 35. Lebensjahr vollendet hat (und die Voraussetzungen für eine Kandidatur zum Nationalrat erfüllt), zum Staatsoberhaupt wählen lassen kann, ein hohes, auch schönes demokratisches Gut. Weil es symbolisch deutlich macht, dass in diesem Staat die Bürger prinzipiell gleichgestellt sind. Gleichzeitig darf man sich wundern, wer sich aller dieses höchste, dieses aus so vielen Gründen für das Funktionieren der Republik wichtige Amt zutraut.
Neben den beiden klassischen - das heißt: im klassischen Sinn qualifizierten - Kandidaten, dem Amtsinhaber Alexander Van der Bellen und dem ehemaligen FPÖ-Klubobmann und nunmehrigen Volksanwalt Walter Rosenkranz haben auf den amtlichen Stimmzettel geschafft: der Musiker, Mediziner und Bierpartei-Gründer Dominik Wlazny, den bisher alle nur als Kunstfigur "Marco Pogo" kannten und von dem man nicht so recht weiß, was er politisch so denkt; der Anwalt und ehemalige "Krone"-Kolumnist Tassilo Wallentin; der ehemalige FPÖ-, dann BZÖ-Politiker und nunmehrige Wut-Blogger und TV-Diskutant Gerald Grosz, dessen Slogan "Make Austria Grosz Again" lautet, was seit Donald Trump schon als einschlägiges Programm durchgeht; der Anwalt und Obmann der rabiaten Anti-Corona-Maßnahmen-Partei MFG, Michael Brunner; sowie der Waldviertler Schuhunternehmer Heinrich "Heini" Staudinger.
Für Helga Egger aus Mils in Tirol, die kandidieren wollte, weil so viele Menschen das Vertrauen in die Politik verloren hätten, und Peter Schutte aus Wilhering in Oberösterreich, der findet dass "es an der Zeit ist, ETWAS zu tun", ist die Sache hingegen wohl erledigt, weil sie nicht die notwendigen Unterstützungserklärungen für ein Antreten am 9. Oktober bekommen haben.
Die Verachtungwächst und wächst
"Quivis ex populo" - jeder aus dem Volk: Das trifft bei dieser Wahl tatsächlich den Nagel auf den Kopf. Spott gegen Menschen, denen ihr Land und das Zusammenleben ein echtes Anliegen sind, verbittet sich von selbst; von solchen Menschen kann kein Land zu viele haben. Aber fragen, woher sie - ohne einschlägige Bildung und Erfahrung - das Zutrauen nehmen, das höchste Amt im Staat auszufüllen, das darf man schon und muss es auch. Zu befürchten ist, dass aus dem überbordenden Selbstvertrauen eine tiefe Verachtung für den Beruf des Politikers und die Branche der Politik spricht. Jedenfalls in ihrer derzeitigen Verfassung.
Zweifellos haben die in immer kürzeren Abständen auf die Menschen einprasselnden externen Krisen - Flüchtlinge, Corona sowie die Explosion von Inflation und Energiekosten - einen erheblichen Anteil. Das kombiniert mit dem eigenproduzierten Mix an Wut, und Enttäuschung - die Ibiza-Affäre, die Implosion der türkisen ÖVP, die Unmöglichkeit vertraulicher Ermittlungen, die Allgegenwart des Generalverdachts - ergibt ein giftiges Gebräu. Und es ist nicht auszuschließen, dass ausgerechnet die Wahl des Staatsoberhaupts als jenes Ventil fungieren könnte, das all den aufgestauten Druck entweichen lässt.
Logisches Kalkülmit Restrisiko
Das klingt nach Schwarzmalerei und ist es auch. Bei Tag betrachtet, und wenn den bisher veröffentlichten Umfragen zu trauen ist, kann mit einer gesicherten Wiederwahl Van der Bellens gerechnet werden, und das vielleicht sogar schon in der ersten Runde, ganz ohne Stichwahl. Womöglich spürt aber auch das Team des Amtsinhabers, dass da ein Restrisiko in der Luft liegt. Also lieber kein Wagnis eingehen: Van der Bellen verzichtet jedenfalls auf Wahlduelle, auf jede direkte Konfrontation mit einem oder mehreren seiner Herausforderer. Das ist zulässig und darüber hinaus tatsächlich in seinem ureigensten Interesse angesichts so mancher auf Krawall gebürsteten Kontrahenten. Demokratiepolitisch eleganter wäre freilich zumindest eine Debatte mit Rosenkranz, der immerhin Kandidat der Parlamentspartei FPÖ ist.
Ebenso legitim - aus parteitaktischer Perspektive sogar verständlich - ist der Verzicht auf einen eigenen Kandidaten, eine eigene Kandidatin durch ÖVP, SPÖ und Neos; ein Armutszeugnis vor allem der beiden Traditionsparteien bleibt es trotzdem. Das Debakel von 2016, als der rote wie der schwarze Bewerber jeweils gerade noch über die 10-Prozent-Marke zu springen vermochten und schmachvoll im ersten Durchgang ausschieden, steckt beiden bis heute in den Knochen. Doch weil eben ÖVP, SPÖ und Neos verzichten, könnte, wenn sich Unglück, Pech und Schicksal gegen die Republik verbünden, das Ergebnis dieser Wahl unabsehbare Folgen nach sich ziehen.
Sollte Van der Bellen, aus welchen Gründen auch immer, im Wahlkampf etwas widerfahren, wäre Rosenkranz der einzig staatspolitisch erfahrene Bewerber. Doch ob der FPÖ-Kandidat die Wahl in diesem Fall auch für sich entscheiden könnte, ist alles andere als sicher. Die Republik stünde dann mit einem Zufalls-Bundespräsidenten da, von dessen Person und Position wenig bis nichts bekannt ist. Eigentlich ein Wahnsinn, wenn man bedenkt, welche Aufgaben das Staatsoberhaupt aus- und erfüllen sollte: Neben der Repräsentation Österreichs im In- wie Ausland und seinen zahlreichen "notariellen" Tätigkeiten zählt dazu die Rolle als moralische Instanz und oberster Krisenmanager.
Und ausgerechnet jetzt gerät dieses dem Wesen nach defensive Rollenverständnis für den höchsten Mann im Staat unter Druck. Die Tendenz dazu gibt es schon lange: Seit Jahrzehnten versuchen die Kandidaten für die Hofburg, sich immer stärker als aktive Gestalter zu präsentieren. Einer Gretchenfrage kommt dabei das Verhältnis zur Bundesregierung gleich: Tatsächlich verfügt der Bundespräsident über die Kompetenz, sie zu entlassen und - auf Vorschlag der Regierung - den Nationalrat aufzulösen. Aus diesem Notrecht für den Krisenfall wird im Wahlkampffieber ein Wettlauf, wer schneller eine unpopuläre Regierung entlassen würde. Allerdings fragen viele Medien auch nach wenig anderem.
Kommt der Konsensan sein Ende?
Auf ihrer Seite haben die Fürsprecher eines starken Bundespräsidenten den Geist der Verfassungsnovelle von 1929. Damals - es war dies einer der letzten großen Kompromisse von Christlichsozialen und Sozialdemokraten in der dem Untergang geweihten Ersten Republik - wurde das bis dahin weitgehend zeremonielle Amt des Staatsoberhaupts dem autoritären Trend der 1920er Jahre gemäß mit erheblichen Machtbefugnissen gegenüber Parlament und Regierung ausgestattet und mit der Volkswahl legitimiert. Doch in der einzigen echten Bewährungsprobe blieb Bundespräsident Wilhelm Miklas trotzdem untätig, als es darum ging, die Ausschaltung der Demokratie 1933/1934 zu verhindern.
Umso bemerkenswerter, dass 1945 erneut die Verfassung in Form von 1929 in Kraft gesetzt wurde. Allerdings verständigten sich ÖVP und SPÖ darauf, das Amt defensiv auszulegen und den Parteien via Regierung und Parlament das Management der Politik anzuvertrauen. Auch Van der Bellen, der erste nicht von ÖVP oder SPÖ nominierte Bundespräsident, hat sich dieses Rollenverständnis im Wesentlichen zu eigen gemacht. Im Falle seiner Wiederwahl wird er diesem Konsens wohl treu bleiben. Der Stresstest einer neuen Amtsauslegung wäre dann aufgeschoben, aber sicher nicht aufgehoben.
Alle sieben Kandidaten der Bundespräsidentschaftswahl 2022 finden Sie hier.