Dass Wilders die Wahl nicht gewonnen hat, bedeutet keine Wende zuungunsten populistischer Bewegungen.
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Den Haag/Wien. Der Stoßseufzer der Erleichterung war von Brüssel bis zum niederländischen Wattenmeer zu hören. Die Niederländer hätten mit überwältigender Mehrheit für die europäischen Werte gestimmt, für eine freie und tolerante Gesellschaft in einem erfolgreichen Europa, jubilierte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Und auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach von "einem guten Tag für die Demokratie". Der Grund für die Freude: Ministerpräsident Mark Rutte hatte sich bei den Parlamentswahlen in den Niederlanden überraschend klar gegen seinen islamfeindlichen und EU-kritischen Herausforderer Geert Wilders durchgesetzt. Wilders’ Bewegung PVV erhielt 20 Mandate, die rechtsliberale VVD von Rutte 33 der 150 Sitze.
"Ermutigt" durch das Ergebnis sah sich jedoch auch der französische Front National. Wilders habe Sitze dazugewonnen und dies sei "wirklich ein Erfolg", sagte dessen Generalsekretär Nicolas Bay.
Tatsächlich kann man das Ergebnis von Wilders von zwei Seiten sehen: Gemessen an den Umfragen, die den Rechtsausleger lange auf Platz eins gesehen hatten, und an den Erwartungen, die Wilders selbst geschürt hatte, war es eine Niederlage. Gleichzeitig aber steigerte Wilders Partij voor de Vrijheid den Stimmanteil von 10 auf 13,1 Prozent und den Anteil ihrer Mandate von 15 auf 20 Sitze.
Zudem kann Wilders auch für sich reklamieren, die Themensetzung und auch die Tonalität in der niederländischen Politik maßgeblich beeinflusst zu haben. Rutte hat, da waren sich die Politanalysten weitgehend einig, zwar mit seinem festen Auftreten gegen Wahlkampfveranstaltungen türkischer Politiker Wilders noch Wind aus den Segeln genommen. Doch schon zuvor hatte er versucht, Wilders beim Thema Integration das Wasser abzugraben. Einwanderer hätten die niederländischen Werte einzuhalten oder sie sollten nach Hause gehen, meinte der Premier. Auch der sozialdemokratische Spitzenkandidat Lodewijk Asscher forderte, dass bestimmte ethnische und religiöse Gruppen ihre Loyalität zu den Niederlanden bekennen sollen, bevor sie vom Wohlfahrtsstaat profitieren können. Wilders Wertediskurs ist also im Zentrum der Parteienlandschaft angekommen.
Andere Voraussetzungen
Ein Trend lässt sich aus Wilders’ Abschneiden nicht automatisch folgern. Nach der Brexit-Abstimmung im Juni 2016 und Donald Trumps Sieg bei der US-Präsidentschaftswahl im November dachten die heimischen Polit-Analysten mehrheitlich, Norbert Hofer könnte von diesem Trend profitieren. Als immer klarer wurde, welche Probleme Großbritannien mit dem EU-Austritt bevorstehen und sich Trump auch nach seiner Wahl nicht mäßigte, half dies Hofers Konkurrenten Alexander Van der Bellen. Er residiert nun in der Hofburg. Doch nicht nur die inhaltlichen Voraussetzungen können sich rasch ändern. Wer die Wahlerfolge populistischer Parteien als Domino-Effekt simplifiziert, vergisst, dass die Urnengänge unter völlig unterschiedlichen Voraussetzungen ablaufen. Eine Ja- oder Nein-Abstimmung wie beim Brexit oder eine Präsidentschaftswahl zwischen zwei Kandidaten ist etwas gänzlich anderes als eine Parlamentswahl mit vielen antretenden Listen. Auch sind die Kompetenzen von Staatschef oder Parlament von Land zu Land unterschiedlich geregelt. Und weil populistische Gruppierungen in Unionsstaaten bis auf den Sonderfall Ungarn alleine keine Parlamentsmehrheit zuwege bringen, sind sie auf Koalitionspartner angewiesen. Die wiederum verfolgen zumeist eine gemäßigtere Politik und würden damit die Agenda der Populisten verwässern - die ohnehin oft lieber in der Opposition agieren, dort lässt es sich leichter gegen "das System" wettern.
In Bulgarien, wo am Sonntag kommender Woche Parlamentswahlen stattfinden, reüssieren die Populisten nicht einmal, wenn sie sich zu einem Block zusammenschließen. Den "Vereinigten Patrioten" werden derzeit rund sieben Prozent prognostiziert. Aus den Bürgerprotesten sind zuletzt zwei proeuropäische Bewegungen entstanden ("Ja, Bulgarien" und der "Reformblock"). Außerdem verfügen die Populisten über keine charismatische Führungsfigur.
Dieses Problem hat der Front National (FN) nicht. Marine Le Pens Partei verzeichnete im zweiten Durchgang der französischen Regionalwahl 2015 so viele Stimmen wie nie zuvor. Doch 6,8 Millionen Wähler genügten nicht, um letztlich auch nur eine einzige Region für sich zu entscheiden; überall verbündeten sich Sozialisten und Konservative. Auf diese Mauer gegen Rechtsaußen hoffen die Gegner Le Pens auch bei der nunmehrigen Präsidentschaftswahl; genauer gesagt bei der Stichwahl am 7. Mai. Dass Le Pen nämlich im ersten Wahlgang siegt oder zumindest Zweite wird, bezweifelt kaum jemand. Laut Umfragen würde sich dann aber der Mitte-links-Kandidat Emmanuel Macron mit 65 zu 35 Prozent durchsetzen.
Franzosen entscheiden über EU
Doch was passiert, wenn die Mauer diesmal nicht hält? Le Pen verspricht ein "Frexit"-Referendum binnen sechs Monaten. Im Verhältnis zur Union stellt der FN gleich viererlei in Aussicht: erstens die "volle gesetzgeberische Souveränität". EU-Recht wäre damit nationalem Recht untergeordnet. Zweitens die "alleinige und totale Hoheit" über die Grenzen, somit das Ende des Schengen-Abkommens. Drittens die "völlige monetäre Souveränität" Frankreichs. Ein Austritt aus der Eurozone wäre unausweichlich. Und viertens würde sich Frankreich jeder Kontrolle des Staatshaushalts durch die EU-Kommission verweigern. Kurzum: Diese Bedingungen können die EU-Partner nicht akzeptieren. Le Pen strebt den Austritt aus der Union an. Doch ohne Frankreich stünde die EU am Abgrund.
Dann würde auch nicht helfen, dass in Deutschland ein Wahlerfolg der EU-skeptischen Alternative für Deutschland (AfD) rund um Frontfrau Frauke Petry in weiter Ferne liegt; sie liegt derzeit bei rund zehn Prozent. Da das Flüchtlingsthema nicht mehr alles überstrahlt und die SPD mit Martin Schulz einen neuen Spitzenkandidaten hat, sind die Augen derzeit auf das Duell des früheren EU-Parlamentspräsidenten mit Kanzlerin Angela Merkel gerichtet. Das wiederum ist eine gute Nachricht für die EU.