Am 24. Oktober finden in Tunesien Präsidenten- und Parlamentswahlen statt. Zine El-Abidine Ben Ali regiert das Land seit 1987 und wird das vierte Mal antreten. Er gewinnt sein Amt üblicherweise mit fast hundert Prozent Zustimmung. Seinem mit den USA und der EU befreundeten Land garantiert er Stabilität durch eine äußerst restriktive Innenpolitik.
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Ben Alis Kandidatur wurde überhaupt erst durch eine umstrittene Verfassungsänderung möglich. Die durch ein Referendum im Mai 2002 bestätigte neue Verfassung gestattet es dem amtierenden Präsidenten, sich unbegrenzt oft der Wiederwahl zu stellen, und hob die Altersgrenze von 70 auf 75 Jahre an. Bei den Präsidentenwahlen 1989 und 1994 war Ben Ali der einzige Bewerber und gewann mit jeweils mehr als 99 Prozent. Erstmals seit der Unabhängigkeit von Frankreich und der Staatsgründung im Jahr 1956 traten bei der Präsidentenwahl 1999 dann Bewerber mehrerer Parteien an. Ben Ali gewann mit mehr als 99 Prozent.
Am 24. Oktober wird der ehemalige Militär ohne Opposition antreten. Diese gibt es in Tunesien in zwei Formen. Zum einen gibt es fünf Oppositionsparteien im Parlament, die zusammen 20 der 182 Sitze haben. Diese Sitze werden der Opposition jeweils vor den Parlamentswahlen zugeteilt, aufgesplittert auf die verschiedenen Parteien. Denn wenn es nach den Wahlergebnissen ginge, dann bekäme keine dieser Parteien einen Sitz. Die regierende Staatspartei RCD (Rassemblement Constitutionnel Démocratique, Demokratische Verfassungsbewegung) erhält in der Regel 98 bis 99 Prozent der Stimmen.
"Illegalisierte" Opposition
Zum zweiten gibt es eine engagierte und "illegalisierte" Opposition insbesondere im Bereich der Menschenrechtsszene. So versucht etwa die Anwaltskammer dort, wo es irgendwie möglich ist, einiges hinsichtlich der Menschenrechte zu retten. Im Jahresbericht 2004 über Tunesien berichtet Amnesty International (ai) von der Inhaftierung von Hunderten - auch gewaltlosen - politischen Gefangenen. Tatsächliche und vermeintliche Regierungsgegner sind weiterhin unfairen Gerichtsverfahren ausgesetzt, die häufig lange Freiheitsstrafen zur Folge haben. Wieder in Freiheit sind sie langfristig behördlichen Kontrollen und anderen Willkürmaßnahmen ausgesetzt, die ihre Bewegungsfreiheit und ihr Recht auf Arbeit beeinträchtigen.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) spricht in einem aktuellen Bericht von rund 500 politischen Gefangenen in tunesischen Gefängnissen - bis zu 40 von ihnen seit vielen Jahren unter unmenschlichen Bedingungen in Isolationshaft. Diese ist sogar nach tunesischem Recht nur bei schlechter Führung erlaubt, und dann für höchstens zehn Tage.
Pressefreiheit "schwierig"
Die Pressefreiheit ist "schwierig" schätzt die Organisation "Reporter Ohne Grenzen" (RSF) in seinen Berichten über Tunesien. Im August wurde eine Ergänzung des Wahlgesetzes verabschiedet. Auf der Grundlage dieser neuen gesetzlichen Bestimmung ist es privaten oder ausländischen Rundfunk- oder Fernsehsendern untersagt, zu einem Wahlboykott aufzurufen oder Wahlwerbung für Kandidaten oder Parteien zu machen. Verstöße gegen dieses Gesetz werden mit einer Geldstrafe in Höhe von 25.000 Dinar (rund 17.000 Euro) geahndet. In diesem Kontext wurde "Al-Jazeera"-Korrespondent Lotfi Hajji, die Akkreditierung verweigert. Er ist Sprecher und Leiter der Unabhängigen Journalisten Gewerkschaft.
Das Antiterrorgesetz vom 10. Dezember 2003 (Jahrestag der Menschenrechtsdeklaration) wird demnach benutzt um individuelle Rechte zu beschränken und unfaire Gerichtsverfahren zu legitimieren. Am 16. April 2004 wurde der 18-jährige Internet-Aktivist Abderrazak Bourguiba zu 25 Monaten Haft verurteilt. Er hätte umstürzlerische Dokumente aus dem weltweiten Netz heruntergeladen - Dokumente die, laut RSF nur Hintergrundinformationen über den Nahost-Konflikt beinhalteten. 10 Tage zuvor erhielten acht Internet-Aktivisten langjährige Gefängnisstrafen mit der gleichen Begründung. Das Internet wird in Tunesien sehr streng überwacht. Menschenrechtsorganisationen kritisieren die Überwachung von Emails und die Schließung von Internetseiten die nicht die Regierungssicht teilen.
Enger Verbündeter der USA
Im Februar dieses Jahres war Ben Ali im Weißen Haus in Washington als maßvoller arabische Führer und verlässlicher Freund des Westens empfangen worden. Die Regierung von US-Präsident George W. Bush beschloss, Tunesien zum Zentrum seiner Mittel-Ost-Partnerschaftsinitiative (MEPI) zu machen. Das neue Programm soll der "Förderung von Demokratie und politischen Reformen" in der arabischen Welt dienen, was dort auf heftige Kritik gestoßen ist. Die Europäische Union spielt ambivalent. Aus Furcht vor Islamismus und der Bedrohung durch den Terror braucht die sie im Zusammenhang mit der Mittelmeererweiterung und dem Assoziierungsabkommen mit Tunesien Stabilität um jeden Preis auch wenn Menschenrechte nicht respektiert werden. Diese Stabilität garantiert Ben Ali mit seiner restriktiven Innenpolitik.
"Konstitutioneller Putsch"
Er kam bereits vor 15 Jahren - am 7. November 1987 - an die Macht, in dem er seinen Vorgänger Habib Bourguiba durch einen "konstitutionellen Putsch", einen unblutigen Umsturz, absetzte. Bourguiba, der seit der Unabhängigkeit Präsident war, hatte sich in einem recht schlechten Gesundheitszustand befunden und deutliche Anzeichen von Vergreisung gezeigt. Ben Ali setzte dann auf eine moderne Machtausübung und eine Verbesserung des gesamten Wirtschafts- und Sozialsystems Tunesiens.