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Eine Wahlschlacht ohne Rücksicht auf Verluste

Von Piotr Dobrowolski

Politik

In Ungarn hat die konservative Opposition den Wahlkampf für die EU-Wahlen eröffnet. Wie schon bei den Parlamentswahlen vor zwei Jahren deutet alles darauf hin, dass dem Land erneut eine Auseinandersetzung bevorsteht, die die Gräben zwischen links und rechts weiter vertiefen wird.


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Als erstes stieg das Ungarische Demokratische Forum MDF in den Wahlkampf ein - und zwar damit, dass es die bislang gültige Übereinkunft aller vier Parlamentsparteien über die ungarische Mission im Irak aufkündigte: Das MDF sammelt nun Unterschriften für eine Volksabstimmung, die einen sofortigen Rückzug der rund 300 ungarischen Soldaten ermöglichen soll. Die große Oppositionspartei, der Fidesz-Bürgerbund kündigte daraufhin ebenfalls eine Kehrtwende an. "Der Standpunkt des Fidesz in der Irakfrage sollte neu überdacht werden", sagte am Montag Ex-Premier und Parteichef Viktor Orban und forderte Verhandlungen über ein neues Vier-Parteien-Übereinkommen.

Zuspitzung

In den nächsten Tagen wird Orban wohl schärfere Worte finden. Denn längst ist klar: Wie bei den letzten Parlamentswahlen will die Fidesz die Wahlauseinandersetzung auch diesmal auf eine einzige Frage reduzieren: Entweder wir oder die Sozialisten. "In der ungarischen Politik", kommentiert der Budapester Politikwissenschafter Gabor Liszkay, "geht es leider nicht mehr bloß darum, eine Wahl zu gewinnen. Es geht darum, die andere Seite vollkommen zu vernichten und für diesen Zweck ist Polarisierung dringend nötig." Seit geraumer Zeit versucht Orban alle Kräfte, die in Opposition zur sozialdemokratischen Regierung von Peter Medgyessy stehen, zu bündeln. Mit vorläufig wenig Erfolg: Vom Demokratischen Forum hat er für die Idee, beide Parteien zu einer christlich-demokratischen Volksfront zu verschmelzen, eine klare Abfuhr erlitten. "Wir halten diese Idee weder für christlich noch für demokratisch", reagierte MDF-Parteivorsitzende Ibolya David auf Orbans Avancen.

Vereint marschiert Orban hingegen - zumindest ein Stück des Weges - mit den ungarischen Kommunisten und der rechtsradikalen MIEP-Partei des antisemitischen Dichterfürsten Istvan Csurka: Orbans Fidesz unterstützt, gemeinsam mit der MIEP, eine von der kommunistischen Arbeiterpartei lancierte Kampagne gegen die Privatisierung des ungarischen Gesundheitswesens. Zwar ist das von der Medgyessy-Regierung erlassene Gesetz, das eine bis zu 49prozentige Beteiligung von privaten Teilhabern an Krankenhäusern erlaubt, inzwischen wegen Formalmängeln außer Kraft, der Fidesz möchte aber gemeinsam mit seinen Bündnispartnern von ganz rechts und ganz links per Volksabstimmung ein generelles Privatisierungsverbot im medizinischen Bereich erreichen.

Wie überhaupt der lange als typische postkommunistische Yuppiefraktion betrachtete Fidesz sich inzwischen als wohl die größte privatisierungsfeindliche politische Kraft im Land gibt.

Die Töne, die dabei angeschlagen werden, sind den harten ungarischen Wahlkampfsitten gemäß überaus schrill: "Die Regierung folgt einer sinnlosen Privatisierungsmentalität nach dem Motto alles muss weg", wettert etwa der stellvertretende Fidesz-Vorsitzende Laszlo Köver und stößt sich dabei vor allem an der Privatisierung des Mineralölgiganten MOL und dem geplanten Verkauf der gewinnbringenden ungarischen Lottogesellschaft. Kövers abschließendes Urteil über die regierenden Sozialdemokraten fällt wenig freundlich aus: "Das sind zu Bankern mutierte Kommunisten."

Sozialisten nicht zimperlich

Die ob ihrer Wirtschaftspolitik hart angegriffenen Sozialdemokraten wehren sich ebenfalls nicht zimperlich. Zwar betont Premier Medgyessy, dass es gerade bei der Wahl zum Europa-Parlament darum gehe, eine Mannschaft zu wählen, die Ungarn unabhängig von parteipolitischen Interessen gut in Brüssel vertritt, zugleich bereitet seine Partei aber einen nicht minder harten Wahlkampf vor wie die Rechte. Besondere mediale Aufmerksamkeit hat in diesem Zusammenhang vor allem Spindoktor Ron Werber erfahren, der die Sozialisten schon vor zwei Jahren zum Sieg führte. "Diese Wahl kann das Ende der paranoiden Orban-Gang sein. Die werden sich in die Hosen machen. Und merkt euch: Bei diesem Matsch gibt es keine Fair-Play-Preise", feuerte Werber schon im April die Funktionäre der sozialdemokratischen MSZP-Partei an. Als das Internet-Portal index.hu Werbers nicht für die Öffentlichkeit konzipierten Auftritt publik machte, tobte die Opposition. Der Fidesz rief Premier Medgyessy gar dazu auf, Werber des Landes zu verweisen.

Hypothek Irak-Krieg

Medgyessys größter Schwachpunkt bei der bevorstehenden Wahl bleibt aber der Irak-Einsatz ungarischer Soldaten. Waren nach einer Umfrage des Instituts Szonda Ipsos noch Ende April 59 Prozent der Ungarn für die Fortsetzung der Mission, so hat sich inzwischen das Blatt vollkommen gewendet. 60 Prozent wollen nun die ungarischen Truppen aus dem Zweistromland abziehen sehen - und das ziemlich unabhängig von sonstigen parteipolitischen Präferenzen. Wie der ungarische Rundfunk berichtete, sind auch unter den Parteigängern des Premiers inzwischen 54 Prozent für ein Ende des Irak-Engagements.

Noch lässt die Regierung allerdings keinerlei Hinweise sichtbar werden, die auf eine Änderung ihrer Position zum Irak schließen ließen. Anders als in Polen, wo inzwischen Nachdenken über einen Rückzug auch für die Regierung kein totales Tabu mehr ist, betont Außenminister Laszlo Kovacs: "Ein Rückzug ungarischer Truppen aus dem Irak wäre nicht die richtige Antwort." Und Verteidigungsminister Ferenc Juhasz ergänzt: "Ungarn ist an den Folterungen im Irak nicht beteiligt, wir stehen viel mehr auf der Seite der irakischen Bevölkerung, die wir mit unserer Mission unterstützen." Juhasz, der zu Beginn des ungarischen Einsatzes mehrmals betonte, sollte sich die Lage im Irak ändern und die Friedensmission zu einem Kriegseinsatz werden, würden die Truppen abgezogen, gerät nun aber immer mehr unter Druck. Die liberale Zeitung Magyar Hirlap will gar bereits von einer bevorstehenden Ablösung des Verteidigungsministers erfahren haben.

Irakkrieg, soziale Lage und Privatisierung, das sind die Themen, um die sich die Wahlauseinendersetzung in Ungarn drehen wird. Am Ende könnte eine ähnliche Polarisierung stehen wie 2002: Damals sah die Linke in der Rechten ab einem gewissen Zeitpunkt nur noch hinterwäldlerische Nationalisten, die das Land in die Steinzeit zurückstoßen möchten, die Rechte wiederum empfand die Linke als einen Clan von gewissenlosen Karrieristen, die ungarische Interessen ausländischen Konzernen zum Fraß vorwerfen.