Das Wiener Unternehmen wurde vor 160 Jahren gegründet. Ein Blick zurück.
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Ein sonniger Herbsttag liegt über Wien. Nicht nur das Laub, auch das markante Firmengebäude in Wien-Ottakring strahlt in jener Farbe, die seit Jahrzehnten für ein Unternehmen steht, das im kollektiven Gedächtnis fest verankert ist: Julius Meinl. Als es 1862 in Wien gegründet wurde, war die Welt noch eine ganz andere: Wien gehörte zur aufstrebenden Metropole inmitten eines Vielvölkerreiches. Doch nicht hier im späteren 16. Bezirk, sondern an der Ecke Köllnerhofgasse und Lugeck in der Wiener Innenstadt eröffnet ein aus Graslitz (Kraslice) in Nordböhmen stammender "Zuwanderer" ein Kolonialwarengeschäft. Mit den Worten "Womit darf ich Ihnen dienen?" begrüßt der knapp 28-Jährige jeden seiner Kunden.
Im Jahr 1876 wird die Firma handelsgerichtlich wieder gelöscht, nachdem sie infolge der Weltwirtschaftskrise in Turbulenzen geraten war. Julius Meinl bleibt aber hartnäckig: Bereits 1877 beginnt er mit dem Verkauf von Kaffee, den er in einer eigens entwickelten Trommel-Röstmaschine herstellt. Dank dieser Methode erreicht er weltweit erstmalig frisch geröstete Kaffeemischungen von gleichbleibend hoher Qualität. Im Jahr 1879 wird das Stammgeschäft zum Fleischmarkt 17 verlegt und 1891 die erste gewerbsmäßige Kaffeerösterei in der Neustiftgasse 28 in Betrieb genommen.
Auf einem Grundstück am Fleischmarkt 7 wird 1898 ein fünfstöckiges Haus errichtet, in dessen Geschäftslokal der Unternehmer weit mehr Kunden begrüßen kann. Auf der Fassade des Jugendstilhauses ist heute noch der Schriftzug "Julius Meinl’s Kaffee Import" zu sehen.
Auswahl und Bedienung
In den folgenden Jahren expandiert Julius Meinl munter weiter und wird um die Jahrhundertwende zum größten Kaffeeröster der österreichisch-ungarischen Monarchie. Im Jahr 1912 übersiedelt das Unternehmen vom Fleischmarkt in die Neuseagasse (die seit 1954 Julius-Meinl-Gasse heißt) in die von 1910 bis 1912 in Wien-Ottakring errichtete Zentrale. Fabriken entstehen auch in Polen, Ungarn, Jugoslawien oder Rumänien. Als Julius Meinl II. (1869-1944) übernimmt, gehören weit über 100 Filialen zum Unternehmen.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten muss Julius Meinl III. mit Familie nach Großbritannien emigrieren. Das Unternehmen wird der Kriegswirtschaft unterstellt. 1947 kehrt Julius Meinl III. wieder nach Österreich zurück und wird "Präsident" des Unternehmens, das er wieder aufbaut: So wird etwa der Kaffeeröster und Spirituosenhersteller Brüder Kunz übernommen. Auf der Landstraße wird 1959 die erste Auswahlfiliale eröffnet, die eine Mischung aus Bedienung und Selbstbedienung darstellt. In der Meinl-Post wird dessen Ambiente so beschrieben: "Beim Eintreten umfängt uns die Atmosphäre, die für alle Filialen des Hauses Julius Meinl charakteristisch ist: lächelnde Verkäufer und zufriedene Kunden (...)."
Aber nicht nur zu den Kunden, auch zu den Mitarbeitern pflegt Meinl ein sehr gutes Verhältnis. Viele bleiben dem Unternehmen deshalb bis zur Pensionierung treu. Sogar ganze Familien arbeiten für die Firma. Musikvereine und Theatergruppen entstehen. An der Alten Donau betreibt Meinl ein Strandbad. Neben einer Werksbibliothek steht auch ein Ärztezentrum den Angestellten zur Verfügung. "Jeder Mitarbeiter trägt mit seinen Fähigkeiten und seinem Charakter zum Aufbau des Ganzen bei (...). Vielen bedeutet diese Wechselbeziehung Zufriedenheit und Erfüllung des Lebens", heißt es in einer Festschrift anlässlich des hundertjährigen Bestehens des Unternehmens. Selbstverständlich sind Sonntagsruhe sowie eine Fünftagewoche. Julius Meinl III. kennt jede Filiale, die er unangekündigt besucht. Er lobt seine Mitarbeiter und bedenkt sie mit Prämien, wenn er mit ihnen zufrieden ist.
Für Julius Meinl ist "Qualitätsarbeit immer Erziehungssache". Um Lehrlinge praxisnah auszubilden, wird am 24. November 1906 die Meinl-Schule eröffnet, die nach wie vor weltweit die einzige private Berufsschule mit Öffentlichkeitsrecht im Besitz eines Handelsunternehmens ist. Aus der Schule ging später die Meinl-Akademie und im Jahr 2000 die Spar-Akademie hervor. In den ersten hundert Jahren ihres Bestehens wurde sie von insgesamt rund 9.000 Schülerinnen und Schülern besucht.
Filialen der Firmen Artaker, Feininger und Hansa werden einverleibt. 1967 kommen 28 der H. A. Dittrich hinzu; 1976 folgen 18 Filialen der Schweizer Kette Denner, die in Renner umbenannt werden. Auch werden Geschäfte in Süddeutschland und Südtirol eröffnet. Eine Besonderheit im Meinl-Imperium spielen aber die Hypermärkte Pam Pam. Diese werden im Jahr 1973 gemeinsam mit dem aus Ungarn stammenden Jenö Eisenberger (1922-2016) ins Leben gerufen, der seinen Anteil 1974 an Meinl abtritt. Auf bis zu 41 Märkte wächst das Filialnetz in allen Bundesländern - außer in Vorarlberg. Einige Standorte sind vorrangig in früheren Fabrikhallen wie etwa in den Hammerbrotwerken im 21. Bezirk untergebracht.
Das Sortiment darin kann sich sehen lassen: Es besteht aus über 30.000 Artikeln, was für damalige Verhältnisse eine Sensation ist. Für Aufsehen sorgt auch die Werbung. Ein in Anlehnung an den Künstler Roy Lichtenstein gestalteter Cartoon lockt die Kunden in die Filialen. "Lieber PAM PAM als plem-plem", spricht darauf die Werbefigur Pam in den 1990er Jahren.
Viele Eigenmarken
Von den über 3.500 Artikeln stammen im Jahr 1976 über 1.400 aus eigener Produktion. Ein Fleischwerk und ein Frischwarenzentrum gehören ebenso zum Konzern wie eine Großdestillerie oder die Weinkellerei in Münchendorf. Ebenso werden Marmeladen, Kompotte, Teigwaren, Essig und Speiseöl selbst erzeugt. Selbstverständlich dürfen die Kaffee- und Teespezialitäten nicht fehlen. Dazu kommen eine Keks- und Schokoladenfabrik, die Süßwarenfabrik Charles Cabos und ein Papierwerk. Der Obi-Apfelsaft ist von Meinl. Stolz verweist das Unternehmen auf die breite Palette an Eigenmarken, die alle ein "Zeichen der Frische" seien, wie es ein Prospekt verheißt.
Fassade, Schaufenster und Einrichtung aller Meinl-Filialen sind gleich. Marketing-Experten würden das heute als gelungenes Corporate Design bezeichnen. Wesentlichen Anteil am Erfolg des Unternehmens hat der österreichische Grafiker Joseph Binder (1898- 1972), der im Jahr 1924 das Meinl-Logo mit dem Mohren entwirft, welches das bis dahin verwendete Segelschiff als Markenzeichen ablöst. "Ich bin’s" ist eine der erfolgreichsten Plakatkampagnen in den 50er Jahren. Sensationell ist, dass sie ohne Firmenname auskommt.
"Der berühmte Meinl-Mohr leistete einen wichtigen Beitrag zum Erfolg der Marke Julius Meinl Kaffee", ist Günter Schweiger, emeritierter Universitätsprofessor für Werbewissenschaft und Marktforschung am Institute for Marketing & Consumer Research der Wirtschaftsuniversität Wien, überzeugt. Der Name Julius Meinl wurde bald auch für das Branding von Kaffee und Tee für die zahlreichen Filialen verwendet, die sich durch hohe Produktqualität und Spitzenservice im In- und Ausland auszeichneten. Für Markenexperte Schweiger war dieser Schritt für das Unternehmen erfolgreich, da es auf Markenvertrauen bei Lebensmitteln und dem Lebensmittelhandel bauen konnte. Weniger erfolgreich verliefen jedoch die Markenerweiterungen auf Finanzprodukte.
Im Jahr 1989 wird mit 385 Filialen ein Umsatz von 11,7 Mrd. Schilling (rd. 850 Mio. Euro) erwirtschaftet. Nach dem Ende des real existierenden Sozialismus in Osteuropa kehrt das Unternehmen wieder in die Tschechoslowakei sowie nach Polen und Ungarn zurück. Für eine unerwartete Ausdehnung sorgt die Insolvenz der Kette Konsum, aus deren Insolvenzmasse Meinl im Jahr 1995 viele Filialen übernimmt. Diese werden adaptiert und bald als Julius-Meinl-, Pam-Pam- und nach ungarischem Vorbild Jééé-Diskont-Filialen wiedereröffnet. Im Ende 1996 präsentierten Konzept "Meinl 2000" werden österreichweit drei Vertriebstypen je nach Lage und Größe definiert - angefangen bei den zentralen City-Shops (30), über Gourmet- (120) bis hin zu Classic-Filialen (150).
Zusätzlich werden in einigen davon sogenannte Tiefpreis-Zonen eingerichtet, in denen über 250 preisgünstige Produkte sowie Eigenmarken angeboten werden. Neu ist auch die "Meinl Gourmet Card", mit der wie mit einer Bankomatkarte eingekauft werden kann. Erstmals erscheint die Kundenzeitschrift "Julius Meinl à la carte", in der Kunden auch zu Veranstaltungen eingeladen werden. Mit der Hauszustellung soll ab Herbst 1996 eine weitere Lücke geschlossen werden. Bestellt werden kann telefonisch, per E-Mail, Fax oder sogar auf der Website. Passend dazu gibt es einen umfangreichen Bestell-Katalog.
Als eine Kooperation mit Zielpunkt im Logistikbereich nicht zustande kommt und auch die Verluste von Pam Pam steigen, entschließt sich Julius Meinl V. im Sommer 1998 zum Verkauf an REWE: Das Paket umfasst 340 Filialen mit über 5.000 Mitarbeitern. Durch den Einspruch der EU-Wettbewerbsbehörde ist nur ein Teilverkauf möglich. Die 177 Filialen in Wien, Niederösterreich und im nördlichen Burgenland verbleiben bei Meinl. Im Frühjahr 1999 werden die 21 Pam-Pam-Verbrauchermärkte an Spar und 19 Supermärkte an Zielpunkt verkauft. In 93 schließlich zu Meinl Gourmet umgebauten Filialen will sich der Händler auf seine Stärken konzentrieren und mit Premiumprodukten punkten.
Das Ende des Mohren
Obwohl das Konzept aufzugehen scheint, zieht sich Meinl im Frühjahr 2000 für viele überraschend aus dem Handel zurück: Spar übernimmt die Filialen und betreibt sie mancherorts bis heute als Spar Gourmet weiter. "Meinl-Lebensmittelgeschäfte waren Opfer eines Strukturwandels im österreichischen Lebensmittelhandel", ist Günter Schweiger überzeugt. "Und des Vordringens von Diskontern."
Ob der Verkauf der Meinl-Filialen in den 90er Jahren eine gute Entscheidung war, will das Unternehmen am Graben nicht kommentieren - Interviews werden abgelehnt. Stattdessen verweist es auf die hohe Qualität seiner Produkte und Delikatessen. "Wir führen mit Sicherheit die bestsortierte Fleischabteilung der Stadt, in der man Fleisch in besonderen Schnitten und von besonderen Rassen erhält", gibt sich das Management selbstbewusst.
Seit der Wiedereröffnung im Vorjahr muss "der Graben" ohne Mohrenkopf auskommen - dessen Fes allein nun das das Firmenlogo darstellt. Doch nicht nur auf den stationären Handel, auch auf den Webshop setzt das "House of Meinl", wie es sich heute selbst bezeichnet. Wortkarg gibt sich Julius Meinl am Graben hingegen zu weiteren Expansionsplänen. Nachdem die Standorte vor Jahren aufgegeben wurden, besteht noch ein Outlet in Parndorf.
Die Meinl-Tradition lebt in der Zentrale in Ottakring weiter, die neben einem Meinl-Museum auch eine Kaffee-Akademie für Baristas beherbergt. Hier setzt der heimische Kaffeeröster auf Nachhaltigkeit, soziale Verantwortung und Klimaschutz - seit Jahren etwa mit Projekten wie "Colombian Heritage" in Zusammenarbeit mit Kaffeebauern in Südamerika.
Christopher Erben lebt als Sprachtrainer, Erwachsenenbildner und freier Journalist in Wien.