Im globalen Informationskrieg, in dem alle ihre eigene Wirklichkeit konstruieren, wird die Akzeptanz sachlicher Beweise fast unmöglich.
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Richard Stengel, Staatssekretär im US-Außenministerium, benennt offen das Problem, das ihn beunruhigt und das uns alle beunruhigen sollte: "Wie kann sich die Wahrheit im globalen Informationskrieg durchsetzen?" Allein die Vorstellung, dass die Wahrheit nicht siegt, wäre für Stengel, den früheren geschäftsführenden Herausgeber des Magazins "Time", bis vor kurzem Ketzerei gewesen. Aber in den fast drei Jahren, seit er im Außenministerium tätig ist, hat Stengel das Entstehen einer Welt ohne Wahrheit miterlebt, in der die Fakten immer wieder erdrückt werden, von Propagandaaktionen Russlands oder der Terrormiliz Islamischer Staat (IS).
"Wir gehen gern davon aus, dass sich die Wahrheit auf dem Marktplatz der Ideen durchkämpfen muss - heutzutage könnte sie dabei auf der Strecke bleiben", warnte Stengel im Gespräch mit mir: "Faktenbasierte Mitteilungen zu haben, ist nicht genug, um den Informationskrieg zu gewinnen."
An Journalisten, Technikaffine und alle, die in freien Gesellschaften leben oder leben wollen, richtet Stengel eine dringende Frage: Wie kann man die lebenswichtige Ressource der Demokratie, die Wahrheit, vor dem Gift der Unwahrheit schützen? Soziale Medien, sagte Stengel, geben heute allen die Möglichkeit, eine eigene Wirklichkeit zu konstruieren.
Russlands Propagandakampagnen seit der Invasion der Krim 2014 sind viel subtiler und schwerer zu bekämpfen als die Kampagnen des IS. Zum Teil liegt das daran, dass Moskau nicht beabsichtigt, dem Westen direkt gegenüberzutreten, sondern Zweifel und Misstrauen dort verbreiten will.
Stengel zitierte Peter Pomerantsev, den Autor von "Nothing is True and Everything is Possible: The Surreal Heart of the New Russia (Nichts ist wahr und alles ist möglich. Das surreale Herz des neuen Russland): Für die in Geheimdiensttaktiken geschulte russische Führung "ist es nicht ein Informationskrieg, sondern ein Krieg gegen Information".
Über das Mischmasch von Fakten und Fantasie in russischen Medien sagte Stengel: "Sie versuchen nicht zu behaupten, ihre Version der Ereignisse sei die richtige, sie sagen: ‚Alle lügen! Niemand sagt euch die Wahrheit!‘" Die Hackerangriffe Russlands während des US-Präsidentschaftswahlkampfs hatten das Ziel, den öffentlichen Informationsfluss zu vergiften. "Sie hatten nicht einen bestimmten Kandidaten, aber sie wollen das Vertrauen in die Demokratie untergraben, das Vertrauen in den Westen."
In der atomisierten Welt der Cyberpropagandisten, in der alle ihre eigene Wirklichkeit haben, kann ein Übereinkommen über sachliche Beweise fast unmöglich werden. Am besten könnten die globalen Unternehmen, die die Plattformen für die sozialen Medien geschaffen haben, mit der Lage fertig werden. "Sie erleben den Informationskrieg als existenzielle Bedrohung", sagt Stengel. Twitter hat mehr als 400.000 Accounts entfernt und YouTube löscht täglich zu extreme Videos.
Dennoch verliert im Moment die Wahrheit den Kampf. Und wir fragen uns: Auf welcher Seite wird der nächste US-Präsident in diesem Krieg gegen Information stehen?
Übersetzung: Hilde Weiss