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Eine Weltmeisterschaft - für wen?

Von Johannes Schmidt

Gastkommentare
Johannes Schmidt ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Energieplanungsprogramm der Universität Rio de Janeiro und betreibt den Blog copacopacabana.wordpress.com mit, auf dem über Brasilien rund um die Fußballweltmeisterschaft berichtet wird.

Die ganze Welt freut sich auf die Fußball-WM in Brasilien - nur weite Teile der brasilianischen Bevölkerung nicht.


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Im Karneval, auf Demonstrationen und auf Konzerten hören wir hier in Brasilien häufig den Slogan "Não vai ter Copa" ("Die WM wird nicht stattfinden"). Woher kommt die breite Ablehnung der Fußballweltmeisterschaft in einem Land, das doch eigentlich fußballbegeisterter nicht sein könnte?

Diese Weltmeisterschaft ist ein gutes Geschäft für Brasilien - so wurde die Fußball-WM der brasilianischen Bevölkerung im Vorfeld verkauft. Und selbst wenn das Geschäft wegen ausufernder Bau- und Organisationskosten nicht ganz so gut werden wird: An Baukosten für die Stadien von nicht einmal 0,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts wird Brasilien nicht zu Grunde gehen.

In den Austragungsstädten selbst hinterlassen die anstehenden Großevents aber deutlich sichtbare Spuren: Denn nicht nur große Stadien, auch Infrastrukturprojekte werden im Rahmen der WM-Vorbereitungen realisiert. Vor allem in Rio de Janeiro, das 2016 auch die Olympischen Spiele beherbergen wird, werden U- und Straßenbahnen gebaut. Außerdem wird in die "Befriedung" der von Drogengangs beherrschten Armenvierteln investiert. Rio leidet unter notorischen Staus, schlechtem Service bei den öffentlichen Verkehrsmitteln und hoher Kriminalität. Investitionen in diese Gebiete sind also ein Gewinn - für viele.

Doch die großangelegte Umgestaltung der Stadt erzeugt auch Verlierer. So wird die Fifa geschätzte fünf Milliarden US-Dollar verdienen, während Straßenverkäufer der Straße verwiesen werden. In Rio wird die U-Bahn in den reichen Süden und nicht in den armen Norden verlängert. Es sind vor allem schwarze Jugendliche, die für die "Befriedungspolitik" mit ihrem Leben bezahlen und Opfer von Menschenrechtsverletzungen durch die in den Favelas stationierten Polizeieinheiten werden.

Zwangsabsiedlungen und Preisanstiege führen zum Verschwinden der Unterschicht aus den Stadtzentren. Und ins legendäre Fußballstadion Maracana in Rio kommen immer weniger Zuseher aus der Peripherie: Die Kosten der Renovierung müssen schließlich über erhöhte Ticketpreise finanziert werden.

Über kurz oder lang wären viele der im Zusammenhang mit den Großveranstaltungen realisierten Projekte auch ohne Fußball-WM gebaut worden. Die Großevents haben diese Investitionen beschleunigt - was zu erhöhten Baukosten, mehr Korruption und auch sozialen Konflikten geführt hat: Absiedlungen und die gewalttätige Durchsetzung der staatlichen Kontrolle in den Favelas sind leichter durch den Zeitdruck der WM zu argumentieren.

Andererseits führen die Großevents auch zu einer Steigerung des medialen Interesses an Brasilien: Auch die Schattenseiten der WM kommen dadurch ins internationale Blickfeld. In Österreich beispielsweise organisieren zivilgesellschaftliche Organisationen die "Initiative für globales Fairplay" (www.nossojogo.at), eine Kampagne zur Durchsetzung sozialer Rechte im Rahmen von Großveranstaltungen.

Wir werden ein rauschendes Fußballfest in Brasilien erleben, daran besteht kein Zweifel. Den Blick hinter die Kulissen sollten wir uns aber nicht ersparen: weil es für viele Brasilianerinnen und Brasilianer nichts zu feiern gibt.