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Oppositionelle Demokraten als klare Umfrage-Sieger. | Vor allem gefühlte Wirtschaftskrise macht Premier Aso zu schaffen. | Tokio. Premierminister Taro Aso ist nicht zu beneiden. Die japanische Wirtschaft hat soeben ihre schwerste Rezession seit dem Krieg überwunden. Zwischen April und Juni ist sie sogar stärker als alle westlichen Industrieländer gewachsen. Trotzdem bleiben die schlechten Umfragewerte seiner Liberaldemokratischen Partei (LDP) wie in Beton gegossen.
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"Das Wachstum ist das Ergebnis unserer Konjunkturhilfen, doch wir haben erst die Hälfte des Aufschwungs geschafft", fleht Aso die Wähler an, seine Wirtschaftspolitik fortsetzen zu dürfen. Doch bei der Unterhauswahl am Sonntag zeichnet sich eine historische Niederlage für die LDP ab, die seit 1955 fast ohne Pause regiert hat.
"Der Premierminister hat keine Ahnung von der Stimmung im einfachen Volk", stichelt Yukio Hatoyama, Vorsitzender der oppositionellen Demokratischen Partei (DPJ). "Die Geldbörsen der Menschen werden immer leichter." Trotz Konjunkturerholung waren die Gehälter im Juni sieben Prozent niedriger als im Vorjahr. Die Arbeitslosenquote dürfte im Juli das Nachkriegshoch von 5,5 Prozent erreicht haben.
Unter dieser Kluft aus statistischem Wachstum und gefühlter Depression leiden die Wähler schon lange. Vermögen, Einkommen und Lebensstandard sinken seit den 90er Jahren, ein Drittel der Arbeitsplätze ist befristet. Nippon ächzt unter den höchsten Staatsschulden aller Industrieländer, dennoch hat die LDP ihren Abbau gerade erst um zehn Jahre in die Zukunft verschoben. Die Bevölkerung altert schneller als in jeder anderen Nation. Schon 2025 werden 30 Prozent der Japaner über 65 Jahre alt sein. Trotzdem sind Renten und Gesundheitswesen nicht solide finanziert, und Immigration bleibt ein öffentliches Tabu. 2009 wird die Wirtschaft um sechs Prozent schrumpfen, weil japanische Autos und Elektronik weltweit weniger Käufer finden. Aber eine Alternative zum Export als Konjunkturmotor hat die Partei nicht gefunden.
"Die Japaner haben genug von der LDP"
Vor vier Jahren bescherte der charismatische Premierminister Junichiro Koizumi der LDP noch einen grandiosen Wahlsieg. Die von ihm betriebene Privatisierung der Post unterstützten die Wähler als Auftakt zu noch mehr Wandel. Doch bei dieser Reform ist es geblieben. Seitdem hat die Partei ihren Spitzenmann dreimal ausgewechselt. Amtsinhaber Aso ist schwach und unbeliebt. Selbst Koizumi räumt inzwischen ein: "Die Japaner haben die LDP satt."
Nun erhoffen sich die Wähler vom anderen politischen Lager die notwendigen Veränderungen. Nach den letzten Umfragen kann die Opposition sogar eine absolute Mehrheit erreichen. Eine "Revolution im Denken" sei das, meint der Politologe Axel Klein vom Institut für Japan-Studien in Tokio. Der Japan-Experte Karel van Wolferen spricht von der Chance, den Fluch des Durchwurstelns aufzuheben.
Die Wahlerfolge der LDP beruhten lange darauf, die Steuern der Städte aufs Land umzuleiten. Dort errichteten Baufirmen Brücken, Dämme, Straßen und Freizeitparks im Überfluss, was in den verarmten Regionen Arbeitsplätze schaffte. Im Gegenzug kassierte die LDP die Spenden der Baufirmen und die Stimmen der ländlichen Bevölkerung. Doch dieses Perpetuum mobile der Macht trieb die Staatsschulden hoch, blähte den Bausektor auf und verschandelte die Umwelt.
"Japan war einmal ein schönes Land", beklagt Hiroshi Fujikado. "Jetzt ist die Hälfte der Küsten zubetoniert." Der 63-jährige Blaubeer-Farmer, ein Guru der Öko- und Selbstversorgungsbewegung in Japan, sitzt für die Demokratische Partei in einem Gemeinderat in Hokkaido. Die DPJ werde alle zwölf Wahlbezirke der von der Agrarwirtschaft dominierten nördlichen Hauptinsel gewinnen, sagt Fujikado voraus. Denn sie will die Bauern direkt subventionieren. "Wir exportieren Fernseher und importieren Nahrungsmittel", kritisiert Fujikado das bisherige Geschäftsmodell von Japan. Die Stimmen der Landwirte sind der DPJ so wichtig, dass sie ein Freihandelsabkommen mit den USA von ihrem Schutz abhängig machte und dafür nachträglich ihr Wahlprogramm änderte.
Mehr Sozialstaat, weniger Klientelpolitik
Der Niedergang der LDP hatte vor 20 Jahren begonnen, als das japanische Wirtschaftswunder verblasste. Seit zehn Jahren regiert sie mit Hilfe der buddhistischen Gerechtigkeits-Partei. Doch nun haben die Wähler erstmals eine inhaltliche Alternative. Die lange Zeit zersplitterten Oppositionskräfte, zu der frühere Liberaldemokraten und Sozialisten gehören, haben sich auf ein Wahlprogramm geeinigt. Die DPJ stellt den Bürger und Verbraucher ins Zentrum der Politik und erhält Rückenwind von den Gewerkschaften, während die LDP bislang eher die Interessen der Bürokratie und der Wirtschaft bediente. "Der Tag ist gekommen, Japans Geschichte zu ändern", kündigt DPJ-Spitzenkandidat Hatoyama an. "Wir werden eine liebevolle Politik machen."
Dafür will die DPJ ein Kindergeld in der Höhe von umgerechnet 200 Euro monatlich einführen und die Gebühren für Schulen und Autobahnen senken beziehungsweise ganz abschaffen. Sie will den Mindestlohn erhöhen, die Volksrenten sichern und die Zeitarbeit beschränken. Das alles soll den Privatverbrauch ankurbeln, damit die Wirtschaft auch ohne hohe Exporte wächst.
Finanziert würden die hohen Zusatzausgaben durch einen Umbau des Haushaltes. Die Ursache der Malaise sieht die Opposition in dem "eisernen Dreieck" aus Elitebeamten, Groß- und Finanzindustrie und Medienkonzernen, die den Status quo verteidigen.
Kritiker werfen der DPJ Populismus vorDie Entsendung von 100 Politikern auf Schlüsselstellen in den Ministerien soll daher die Beamtenschaft auf Kurs bringen. Den Wechsel von pensionierten Staatsdienern in die Wirtschaft will die DPJ verbieten sowie die Macht der Regionen stärken. Umfragen zeigen allerdings, dass viele Wähler das Programm der Opposition nicht gut kennen und nicht alle Details gutheißen. Viele Beobachter sprechen von einer Protestwahl, bemängeln die populistischen Wahlversprechen und warnen vor zu hohen Erwartungen. "Die DPJ wird sich selbst das größte Hindernis sein", meint Sven Saaler, Professor für moderne Japan-Geschichte an der Sophia-Universität in Tokio. Die Partei sei jung und habe keine echte Identität. Doch die Sehnsucht nach Aufbruch ist so groß, dass die Mehrheit der Japaner trotz allem den Wechsel wagen will.
Taro Aso
(is) Ministerpräsident Taro Aso entstammt einer wohlhabenden Industriellenfamilie mit Polittradition. Sein Großvater Shigeru Yoshida unterzeichnete als Premier nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg den Friedensvertrag von San Francisco. Asos Ehefrau ist Tochter von Ex-Premier Zenko Suzuki, seine jüngere Schwester heiratete einen Cousin des Kaisers. Asos Familie besitzt zahlreiche Minen.
Seine hohe Herkunft mag das äußerst selbstbewusste Auftreten des überzeugten National-Konservativen erklären. So verweigerte Aso eine Entschuldigung dafür, dass seine Familie ihren Wohlstand nicht zuletzt der Ausbeutung koreanischer Zwangsarbeiter verdankt. Dafür sorgte der heute fast 70-Jährige in seiner politischen Laufbahn mit nationalistischen Tönen immer wieder für Entrüstung.
1979 schaffte er - nach einem Studium der Wirtschafts- und Politikwissenschaften und der Leitung des Familienkonzerns - für die Liberaldemokraten den Sprung ins Parlament. 2001 übernahm Aso, der 1976 seine Nation als Tontaubenschütze bei den Olympischen Spielen in Montreal vertreten hatte, erstmals einen Ministerposten. Zunächst leitete er das Finanz-, später unter anderem das Außenressort. Den Sprung an die Spitze der LDP - und somit des Kabinetts - schaffte er aber erst 2007 nach der Demission seines Parteirivalen Shinzo Abe. 2006 waren Asos Ambitionen noch am Widerstand der Partei gescheitert.
Yukio Hatoyama

Wie Taro Aso stammt auch Yukio Hatoyama aus einer alteingesessenen Politiker-Dynastie, die oft als japanischer Kennedy-Clan bezeichnet wird. Sein Großvater war Regierungschef, sein Vater Außenminister, sein Bruder Innenminister. Die Hatoyamas sind zudem sehr reich: Der Bruder des Großvaters war Gründer des Reifenkonzerns Bridgestone.
Yukio Hatoyama selbst absolvierte zunächst ein Ingenieurstudium an der Universität Tokio, anschließend promovierte er an der renommierten US-Universität Stanford und lehrte dann Wirtschaftswissenschaften an der Senshu-Universität in Tokio. Gemäß der Familien-Tradition ging später auch er in die Politik: 1986 gewann er erstmals seinen Wahlkreis auf der Insel Hokkaido, seitdem sitzt er als Abgeordneter im japanischen Unterhaus - zunächst tat er das für die LDP. 1993 wandte er sich jedoch von der traditionellen Regierungspartei ab und beteiligte sich 1996 an der Gründung der DPJ, die er 1999-2002 als Parteichef anführte. Danach war Hatoyama als Generalsekretär die Rechte Hand seines Vorgängers Ichiro Ozawa, der im Zuge eines Finanzskandals zurücktreten musste.
Vor drei Monaten rückte Hatoyama wieder an die Parteispitze auf - und geriet kurz darauf selbst unter Beschuss, als der 62-Jährige zugeben musste, dass sein Büro seit 2005 Spenden falsch abgerechnet hatte. Unter anderem waren Tote als Spender angegeben worden.