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Eine wieder nicht-stattfindende Reform

Von Ernest G. Pichlbauer

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Dr. Ernest G. Pichlbauer ist unabhängiger Gesundheitsökonom und Publizist.

Der Wahnsinn reitet wieder. | Die notwendige Gesundheitsreform wird es wieder nicht geben, dafür aber höhere Schulden. Hurra!


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Wenn Gefühle mit der Vernunft nicht in Einklang zu bringen sind, dann reagieren Menschen merkwürdig. Stellen Sie sich vor, sie schließen die Tür hinter sich und wissen, sie ist ins Schloss gefallen. Sie haben das Klicken gehört und wissen "ja das Schloss ist zu". Doch Ihr Gefühl sagt: "Nein, die Türe ist offen". Sie drehen sich um, rütteln an der Tür. Sie ist zu. Sie wissen nun sicher, die Türe ist zu und wollen gehen. Doch Ihr Gefühl, dass die Türe offen ist, bleibt bestehen. Sie wissen, die Türe ist zu, gehen ein paar Schritte, doch das Gefühl, die Tür ist offen, lässt sich nicht abstellen. Sie drehen um, gehen zurück, rütteln an der Tür und stellen fest, die Türe ist zu. Wieder versuchen sie zu gehen, doch bereits nach wenigen Metern ist es wieder da, das Gefühl: "Die Türe ist offen." Mit jedem Meter wird das Gefühl stärker, bis es sie übermannt und sie zurückgehen, um wieder an einer geschlossenen Türe zu rütteln.

In der Medizin wird so ein Verhalten Zwangsneurose genannt. Es sind arme Menschen, die daran leiden. Hin- und hergerissen zwischen ihrer Vernunft und sinnlosen Handlungen.

Ich frage mich, wie man die Heerscharen an Experten und Wissenschaftern, die seit Jahrzehnten probieren, die Politik zu einer patientenorientierten und nachhaltigen Gesundheitsreform zu bewegen, einteilt? Sind sie Zwangsneurotiker, die immer und immer wieder sinnlose Handlungen setzen, obwohl sie doch wissen müssten, dass diese sinnlos sind?

Irgend so etwas muss es wohl sein. Denn obwohl nun seit 40 Jahren die Probleme des Gesundheitssystems bekannt sind, wird uns wieder keine Reform erwarten. Die Grundlage aller Probleme, die man zwar leugnen kann, aber die deswegen nicht weg sind, ist die zersplitterte Kompetenzlage. Hier sind so viele rechtliche Wahnsinnigkeiten enthalten, dass man für eine ernsthafte Reform eine Verwaltungsreform braucht. 4000 Finanzströme, die eine patientenorientierte Versorgung immer unmöglicher machen und die offenbar nur dazu da sind, möglichst intransparent alle Pfründe - der Länder oder Sozialpartner, wer kann das noch unterscheiden - zu schützen, müssten bereinigt werden. Das sagen alle, die sich auskennen. Doch was kommt zum Thema Verwaltungsreform? Irgendwelche Schulratskompetenzen werden neu geregelt! Das war´s. Aber was soll man auch erwarten, wenn man Landeshauptleute, die Profiteure der Weihnachtsmann-Politik (das Land schenkt, der Bund zahlt), bittet, dieses Thema zu verhandeln?

Fast prophetisch war auch, als vor zwei Monaten an dieser Stelle stand, dass die Entschuldung der Kassen wohl der nächste Schritt sein wird. Dass diese 450 Millionen Euro ein Steuergeschenk sind und wir dieses Geld wirklich bezahlt haben - es sich also nicht um Monopolygeld handelt - scheint niemanden zu interessieren. Der Vergleich mit der Finanzwelt, in der es hauptsächlich um Monopolygeld geht, ist nicht zulässig und wird trotzdem ständig bemüht. Traurig! Noch trauriger ist, dass damit jede "Anti-Schulden-Politik" als Lippenbekenntnis entlarvt wurde. Unsere Kinder werden diesen Wahnsinn bezahlen - oder wie Hayek es voraussagt, andere Wege finden, die Kosten zu reduzieren.

Wie es mit einem Neurotiker halt so ist, werde ich das Wissen nicht los, dass es nie eine Reform geben wird, auch wenn mir das Gefühl sagt, dass es ohne nicht gehen wird. Oder ist es das Wissen, dass es ohne Reform nicht geht und das Gefühl, dass es keine geben kann? Was soll´s!