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Eine WM, die den Fußball weiterentwickelte

Von Tamara Arthofer

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Tamara Arthofer
Tamara Arthofer ist Sport-Ressortleiterin.

Finale Betrachtungen der WM in Brasilien. Was von diesem Turnier bleiben wird.


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Eine WM dauert (zumindest in diesem Fall) 31 Tage, und am Ende gewinnen immer die Deutschen. Natürlich stimmt das abgewandelte Mantra von Gary Lineker historisch betrachtet schon lange nicht mehr, sind doch seit dem bis heute, Sonntag, letzten WM-Titel Deutschlands auch schon 24 Jahre vergangen. Doch dass nun eben die Zeit reif war für den vierten Stern am Trikot der DFB-Mannschaft, hat man schon seit dem 4:0 im Auftaktspiel gegen Portugal irgendwie geahnt. Sie hatte ihre Schwächen ja, im gesamten Turnierverlauf, und auch im Finale, aber Joachim Löw hat sich von Beginn an nicht beirren lassen, mal auf Kampf, mal auf Kombinationswirbel gesetzt, sein System den Gegebenheiten angepasst, wie das kaum eine andere Mannschaft kann, wie es aber auf höchster Ebene erforderlich ist. Und natürlich hätte trotzdem alles auch ganz anders ausgehen können, schließlich boten die Argentinier in diesem Finale eine starke Leistung, vielleicht die stärkste im ganzen Turnier, in dem sie bisher vor allem von einer gesicherten Defensive und dem einen oder anderen Genieblitz der Angriffsreihe rund um Lionel Messi und Co. gelebt hatten. Dass es diesmal anders war, auch die Albiceleste mit spielerischen Mitteln den Weg nach vorne suchte und den Deutschen das Leben schwerer machte als erwartet, brachte immerhin den Fans ein nicht nur spannendes, sondern auch hochkarätiges Finale über 120 Minuten, das erst ein Streich von Mario Götze in der 113. Minute, als alle sich schon mehr oder weniger über den Platz schleppten, entschieden wurde und an das man sich noch lange erinnern wird. Wie überhaupt so einiges von dieser WM in Erinnerung bleiben wird.

Nicht nur, dass sie wie stets eine Zäsur in personeller Hinsicht bringt – Ottmar Hitzfeld ist seit dem Achtelfinalausscheiden seiner Schweizer nach 31 Jahren im Trainergeschäft mittlerweile Pensionist, Luiz Felipe Scolari werden sie wohl in die Wüste oder eher den Regenwald schicken, Louis van Gaal hört als Niederlande-Coach auf und soll Manchester United umkrempeln - , sie hat auch Spitzen- und Spitztore gebracht, und sie hat Entwicklungen im Fußball augenscheinlich gemacht

Der frühe Abschied der Spanier, die uns bei den vorangegangenen Turnieren begeistert haben, mag der traurige Höhepunkt der Vorrunde gewesen sein, er hat aber auch offenbart, wie der moderne Fußball aussieht – und wie eben nicht.

Das Tiqui-Taca-Kurzpassspiel ist zum öden Ballgeschiebe verkommen, mit dem jene Mannschaften, die nur darauf aus sind, heutzutage niemanden mehr beeindrucken. Die Niederländer, die ihnen schon zum Auftakt diese historische 5:1-G’nackwatsch’n verpasst haben, spielten den völlig überforderten Titelverteidiger mit ihrem schnellen Umschaltspiel, ihren langen, präzisen Bällen und ihren zwei Vollstreckern Arjen Robben und Robin van Persie bekanntlich mühelos an die Wand und exerzierten damit vor, wie die Zukunft des Fußballs aussehen könnte. Das Mantra vom Dominanz und Kontrolle durch möglichst viel Ballbesitz kann man mittlerweile einmotten; es wurde längst von Schnelligkeit und Dynamik – gepaart freilich von taktisch einstudierten Spielzügen, die wiederum wohl kaum jemand so beherrscht wie die Deutschen – abgelöst

Dass dabei die Schiedsrichter oft nicht mitkönnen, ist auch eine weitere Erkenntnis dieser WM, wobei die Besetzungsstrategie der Fifa nicht immer leicht zu durchschauen ist  und die Referees freilich nicht an allem schuld sind.

Voraussetzung für Erfolg mit dem dynamischen Stil sind freilich auch Torhüter, die es schon richten werden, für den Fall, dass ein Angriff dann daneben geht und der Gegner den Ball ebenso rasch zurückbringt. So war diese WM bisher auch eine der Goalies mit dem Paradeexemplar des Deutschen Manuel Neuer, die neben ihrer Kernkompetenz, dem Bällefangen, auch mitspielen und gleich neue Spielzüge vorgeben. Ihre Leistungen können mit Fug und Recht als Apologie einer ansonsten oftmals ausgestoßenen Spezies dienen.

Auch andere Teams, die diesen Stil – der allerdings keineswegs immer auf ein starres System festgelegt ist, pflegen, sind weit gekommen, wenngleich der Schwung der Vorrunde im Turnierverlauf doch etwas der Vorsicht gewichen ist und die Argentinier, die sich ohne sportliche Höchstleistungen ins Finale gekämpft haben, irgendwie auch nicht so recht ins Bild passen. Aber die immerhin mit Lionel Messi und Co. topbesetzte Angriffsreihe, bei der man immer darauf hoffen kann, dass ihr etwas gelingt, und eine taktische Ordnung im Defensivverhalten. Brasilien indessen ging diese vor allem im 1:7-Spiel gegen Deutschland, das schon jetzt Eingang in die Geschichtsbücher gefunden hat und das Land in kollektive Schockstarre versetzt hat, schmerzlich ab.

Aber auch sonst zeigte sich mit dem altmodischen Stil, den Luiz Felipe Scolari spielen ließ und der sich am besten im nationalen Buhmann, dem Stürmer Fred, widerspiegelte, dass die Erwartungen wohl eindeutig zu hoch waren.

Eigentlich hätte man es nach den Leistungen in den vergangenen Jahren ja besser wissen können. Stattdessen wurde von der Öffentlichkeit, aber auch von Scolari selbst ein Druck aufgebaut, der in vielen Belangen einer völlig überzogenen Freak-Show, bei dem die Spieler gar nicht anders konnten, als daran zu zerbrechen.

Dass die Enttäuschung nun riesengroß ist, dürfte, nur nebenbei bemerkt, auch politische Konsequenzen für Staatspräsidentin Dilma Rousseff haben. Überhaupt wird ja so einiges auf den Fußball projiziert; auch bei anderen Verlierern konnte man schon vorher an der Art und Weise, wie sie mit dem Ausscheiden umgingen, so einiges über das nationale Selbstverständnis ablesen.

Nun sind es die Argentinier, die trotz einer guten WM leiden. Deutschland indessen widerlegte endgültig die These von James Monroe, und auch Angela Merkel wird wohl versuchen, aus dem Erfolg politisch Nutzen zu ziehen. Die deutsche Kanzlerin geriert sich ja samt Kabinenbesuchen und Selfies mit Spielern gerne als "Mutti Merkel". Und Joachim Löw werden sie in Deutschland wohl endgültig ein Denkmal errichten, nachdem sie ihn nach dem mühsamen Achtelfinalsieg über Algerien noch verteufelt hatten. Am Ende gewinnt nicht immer Deutschland – aber am Ende hat der Teamchef alles richtig gemacht. Und ganz am Ende dann auch noch das nötige Glück gehabt.