Auf den Asyl-Kompromiss der EU-Mitgliedsländer folgen schwierige Verhandlungen mit EU-Parlament und Drittstaaten.
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Sie hatten schon viele Namen. Als Anlandeplattformen, Hotspots oder Aufnahmezentren wurden die Orte bezeichnet, an denen Flüchtlinge ankommen und um Asyl ansuchen sollten. Die Ideen, wo sie errichtet werden sollten, waren vielfältig - ob zu Wasser oder zu Lande, noch vor oder schon an der EU-Außengrenze. Mittlerweile ist eher von Aufnahmebedingungen oder -systemen die Rede. Für wen, in welchem Ausmaß und wie, gilt es freilich noch zu klären.
Dennoch stellt die Einigung der Mehrheit der EU-Innenminister vom Donnerstagabend eine Zäsur in der jahrelangen Debatte um die Asylpolitik dar. Nach rund zwölfstündigen Verhandlungen konnten sich die Ressortleiter auf einige Eckpunkte verständigen. So sollen sich Menschen mit wenig Aussicht auf Asyl in Europa an der EU-Grenze einem Prüfverfahren stellen. Dies könnte in bestimmten Fällen in geschlossenen Zentren erfolgen, im besten Fall innerhalb von sechs Monaten. Wer keine Aufnahme in der Union findet, kann dann abgeschoben werden; Kooperationen mit Nicht-EU-Staaten wie Tunesien sollen dafür den Weg ebnen.
Dass die Asylregeln verschärft werden, zeichnete sich schon seit Monaten ab. Denn nur darauf konnte sich eine Mehrheit der Mitgliedstaaten einigen, nachdem in den Jahren zuvor bereits etliche Versuche gescheitert waren, eine verpflichtende Verteilungsquote oder ähnliche Maßnahmen zu fixieren. Das Thema Asyl und Migration polarisiert Politik und Gesellschaft in etlichen Ländern, und während Vorschläge zur Abschottung viel Beifall finden, fällt es Repräsentanten der linken politischen Seite schwer, eigene Konzepte zu entwickeln.
Gleichzeitig sind die Warnungen, die von dort kommen, nicht unbegründet. Angeprangert wird etwa, dass Asylwerber unter haftähnlichen Bedingungen festgehalten werden, dass nicht klar ist, ob die Aufnahmezentren nicht bald überfüllt sein werden und ob dort menschenrechtliche Standards eingehalten werden können. Nichtregierungsorganisationen kritisieren, dass die Vorgaben faire Asylverfahren an der EU-Außengrenze aushebeln würden.
Solche Argumente brachten ebenfalls die Grünen und - abgeschwächter - die Sozialdemokraten im EU-Parlament ein. Dieses muss nämlich in die Entscheidung über die neuen Asylregeln eingebunden werden. Die Gespräche müssten bis Jahresende abgeschlossen sein, damit das Vorhaben noch vor den Europawahlen im Juni 2024 beschlossen werden kann. Gelingt dies nicht, könnten veränderte Kräfteverhältnisse nach dem Urnengang Neuverhandlungen nötig machen.
Noch bleiben einige Details ungeklärt. Wie rigide etwa die Regeln auf Familien mit Kindern anzuwenden sind. Wann eine Rückführung in ein Nicht-EU-Land möglich ist. Wie ein Mitgliedstaat zu Ausgleichszahlungen - 20.000 Euro pro nicht aufgenommenem Asylwerber - gezwungen werden kann, wenn er keine Flüchtlinge beherbergen will.
"Nicht das Auffanglager Europas"
Diese Fragen sorgten und sorgen nicht nur unter den Mitgliedstaaten sondern auch innerhalb der jeweiligen Länder für Streit. Besonders deutlich zeigen sich die Unsicherheitsfaktoren bei der Regierung in Rom: "Italien wird nicht das Auffanglager Europas sein", stellte Innenminister Matteo Piantedosi klar. Mehr als 50.000 Personen sind seit Jahresbeginn über die Mittelmeerroute in Italien gelandet. Im gesamten vergangenen Jahr waren es nicht einmal halb so viele Menschen. Wenn die Asylprüfung künftig tatsächlich an den Außengrenzen, also in dem Fall in Italien, stattfindet, aber gleichzeitig die Umverteilung der Asylwerber nicht funktioniert, müsste Italien die Belastung alleine mit den anderen Außengrenzen-Ländern tragen. In diesem Fall könnte die Regierung in Rom die Asylwerber unregistriert Richtung Norden weiterziehen lassen.
Zentral für Italien ist daher auch, dass abgelehnte Asylwerber tatsächlich abgeschoben werden können. Nicht zufällig deponierte Premierministerin Georgia Meloni parallel zum EU-Innenministertreffen, dass sie mit Tunesien verhandeln werde. Unterstichen wird die Bedeutung der Reise dadurch, dass Meloni von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen begleitet wird.
Derweil wettert Ungarns Premier Viktor Orban nach dem Innenminister-Treffen gegen "Brüssel": "Sie wollen die Migranten mit Gewalt nach Ungarn verlegen." EU-Behörden sind jedoch nicht verantwortlich für den Mechanismus zur Aufnahme von Asylwerbern. Es waren die Regierungen der Unionsländer, die sich mehrheitlich gegen den Kurs von Ungarn und Polen gestellt haben.
Im einwohnerstärksten EU-Mitgliedsland, Deutschland, jubelte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) über einen "historischen Erfolg". Das sehen Teile des grünen Koalitionspartners anders. Auch in Berlin gilt: Das letzte Wort zur Asylpolitik ist noch lange nicht gesprochen. (czar/da)