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Die Digitalisierung könnte 40 Prozent aller Jobs gefährden - oder auch nicht. Prognosen sind schwierig.
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Wien. Digitalisierung und Industrie 4.0, fortschreitende Globalisierung und Vernetzung, Krisenherde und Migration. Es sind Schlagworte wie diese, die Politik, Wissenschaft und Gesellschaft seit geraumer Zeit und mit zunehmender Intensität über die Zukunft diskutieren lassen. Doch wie die Welt, auch die unmittelbare, uns umgebende, in zehn Jahren aussehen wird, war selten so schwierig zu prognostizieren wie heute.
Relative Einigkeit herrscht dabei nur bei einem Befund: Wir stecken mittendrin in einer echten Zeitenwende, vor allem, was das Wirtschafts- und Arbeitsleben betrifft, und vermutlich eher erst am Anfang. "Was heute noch utopisch klingt, wird schon bald Realität werden", sagte kürzlich Brigitte Ederer, Ex-Siemens-Managerin und nunmehr Aufsichtsratschefin der ÖBB, bei einem Vortrag in Wien.
40 Prozent der Jobs in Gefahr
Und diese schöne, neue Welt von morgen könnte zur Gefahr für den Wohlstand, den wir heute weitgehend genießen, werden. Vor allem dann, wenn sie ohne Planung und Vorbereitung daherkommt. Die Studie "Wertschöpfung 4.0 - Österreichs Industrie in der Zukunft" des Beratungsunternehmen A.T. Kearney zeigt: Von den aktuell 1,8 Millionen Jobs im Bereich Industrie und angehängte Dienstleistungen sind in den nächsten 25 Jahren 750.000 durch die fortschreitende Digitalisierung und Automatisierung in Gefahr. Das sind 42 Prozent.
"Menschenleere Fabriken rücken näher, denn sowohl niedrig qualifizierte als auch hoch qualifizierte Arbeitskräfte werden durch Automatisierung ersetzt", so Achim Kaucic, Co-Autor der Studie. Um den Wohlstand zu erhalten, müssen laut Studie bis zu 30 Prozent der Wirtschaftsleistung durch neue Geschäftszweige abgedeckt werden. Also durch Produkte und Dienstleistungen, die heute noch unbekannt sind. Vorausgesetzt, die Wirtschaft wächst bis dahin um rund 1,5 Prozent pro Jahr. Ansonsten müssen noch mehr neue Jobs her.
Eine Studie der Oxforder Wissenschafter Carl Benedict Frey und Michael A. Osborne sieht in den kommenden Jahrzehnten im Durchschnitt die Hälfte der Jobs in Europa durch die Industrie 4.0 in Gefahr. Und auf der Liste der bedrohten Berufe stehen nicht nur jene aus dem niedrig qualifizierten Sektor. Darunter sind auch Bankkaufleute, Verkäufer, Facharbeiter im Industriebereich, in der Landwirtschaft. Adaptiert auf Österreich seien durch den digitalen Wandel 44 Prozent aller heutigen Arbeitsplätze in Gefahr, so die Studie von A.T. Kearney.
Doch auch die unmittelbare Zukunft ist für die Wirtschaftsforscher schwieriger zu prognostizieren als früher. So hat Österreich nach dem Beitritt zur Europäischen Union 1995 kontinuierlich den Außenhandel gestärkt, die Anzahl der heimischen Exporteure ist von etwa 15.000 um die Jahrtausendwende auf zuletzt 50.000 gestiegen.
Dabei ist Deutschland mit einem Anteil von 30 Prozent der mit großem Abstand wichtigste Handelspartner. Das bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass Österreich sehr abhängig davon ist, wie es der deutschen Wirtschaft geht, vor allem in einigen Branchen wie etwa der Autoindustrie. Seit Jahren schreibt die Bundesrepublik Leistungsbilanzüberschüsse, und davon profitiert in weiterer Folge eben auch Österreich. Das abgeschwächte Wirtschaftswachstum in China führte dort zu einem Rückgang der Importe aus Deutschland, vor allem Autos, was wiederum auch spürbare Auswirkungen auf Österreich hatte. Stichwort Globalisierung, Vernetzung. "Wenn der chinesische Markt hustet, kriegen die anderen Grippe", nannte dies einmal der für Fernost zuständige Außenhandelsdelegierte der Wirtschaftskammer, Raymund Gradt.
In volkswirtschaftlichen Berechnungen über die mittelfristige Entwicklung der Konjunktur müssen eben auch solche Überlegungen einfließen. Dass man natürlich auch früher nicht erahnen konnte, ob der Bundesregierung in zwei Jahren ein Konjunkturprogramm einfallen wird, ist klar, heute jedoch sind noch deutlich mehr Faktoren zu beachten.
Das zeigt sich zum Beispiel auch bei der am Donnerstag präsentierten mittelfristigen Prognose über den weiteren Trend der Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2020. Laut dem Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) wird diese auch in den kommenden Jahren weiter ansteigen, wobei die nationale Berechnung (inklusive Schulungsteilnehmer) herangezogen wurde. In den Jahren 2019/20 soll demnach die Arbeitslosenquote mit 9,8 Prozent einen Höchststand erreichen, und zwar in erster Linie, weil das Arbeitskräfteangebot wächst.
Überangebot an Arbeitskräften
Das ist also die gute Nachricht. Österreichs Wirtschaft erholt sich etwas, das sorgt für neue Jobs, allerdings für nicht so viele, wie es Arbeitswillige gibt. Das ist die weniger gute Nachricht. Dabei spielt natürlich auch die jüngste Migrationsbewegung eine Rolle, denn mit einem positiven Asylbescheid werden Flüchtlinge als arbeitssuchend gemeldet. Es ist eine wesentliche, aber nicht die einzige Unsicherheit, die einen großen Einfluss auf die Prognose der Arbeitslosenentwicklung hat.
"Man muss das auf einzelne Teilaspekte aufdröseln und sich zielgruppenspezifisch ansehen", erklärt Julia Bock-Schappelwein, Autorin der Wifo-Studie. Im Zeitraum bis 2020 rechnet sie mit einem durchschnittlichen jährlichen Anstieg der Arbeitslosen um 2,3 Prozent. "Wir haben aber auch sehr große Unsicherheiten", sagt Bock-Schappelwein. Wie schnell finden anerkannte Flüchtlinge einen Job? Kommt es zu Verdrängungen auf dem Arbeitsmarkt?
Wie verhalten sich Arbeitsmigranten aus EU-Ländern, die hier keinen Job mehr finden? Gehen sie zurück oder ziehen sie nach Deutschland oder Frankreich weiter? Gerade hierzu gibt es noch wenig Forschung. Was man weiß: 2008 waren durchschnittlich circa 186.000 EU-Ausländer in Österreich beschäftigt, im Vorjahr waren es beinahe schon doppelt so viele. Und auch die Folgen der Digitalisierung lassen sich in Wahrheit nur sehr schwer vorhersagen. Die erste industrielle Revolution hat kurzfristig durch die Erfindung der Dampfmaschine Jobs gekostet. Langfristig ist der Wohlstand in Europa jedoch gestiegen. Die Tatsache, dass heute mehr Frauen arbeiten als noch vor 50 Jahren, hat auch nicht zu mehr Armut geführt.
Mehr oder weniger unbestritten ist jedoch, dass wenn dieser Wandel unvorbereitet und ohne Plan voranschreitet, die Kollateralschäden groß sein werden. Florian Haslauer von A.T. Kearney plädiert etwa für eine massive Bildungsoffensive. "Man kann auch über eine Verlängerung der Schulpflicht nachdenken", sagt er. Derzeit schaffe man es nicht, allen Jugendlichen ein Mindestmaß an Fähigkeiten zu vermitteln, die sie für die Arbeitswelt benötigen. Zudem müsse man stärker daran arbeiten, den Standort und technische Ausbildungen attraktiver zu machen.