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Eine Zeitreise durch die Staatsanwaltschaften

Von Nikolaus Lehner

Recht

Die Geschichte der Staatsanwaltschaften von 32 Autoren.


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Unter dem Titel ". . . das Interesse des Staates zu wahren" von den Herausgebern Gerald Kohl und Ilse Reiter-Zatloukal (Verlag Österreich, 32 Autoren) fanden sich die zwei herausragenden Universitätsprofessoren, um die Geschichte der Staatsanwaltschaften zu rezipieren, und zwar als Ergebnis eines Symposiums "Staatsanwälte des Staates". Bei der Konzeption wirkten führend der Präsident des Landesgerichtes für Strafsachen Wien Friedrich Forsthuber und der damalige Vorsitzende der Vereinigung Österreichischer Staatsanwälte Gerhard Jarosch mit.

2013 verfasste Christian Pilnacek sehr konstruktiv einen Beitrag zum Werk "Wandel in der Justiz" vom Herausgeber Walter Pilgermair über die Kernaufgaben der Staatsanwaltschaft und betonte dabei die unbedingte Notwendigkeit der Objektivität und der Verantwortung der Staatsanwälte. Kohl reflektiert die beiden Modelle, nämlich das französische, wo die Staatsanwälte ein Justiz-Controlling-Organ sind, und das von uns übernommene englische Modell, in welchem der Staatsanwalt der Vertreter der Anklagebehörde ist und nur die Generalprokuratur eine gewisse Kontrollmöglichkeit aufweist.

Hochinteressant die Ausführungen von Thomas Olechowski im Traktat "Staatsanwaltschaft und Presserecht" sowie zeithistorisch die Abhandlung von Ilse Reiter-Zatloukal über die Staatsanwälte im 19. Jahrhundert, wie semantisch der Grazer Hochverratsprozess 1875 und die Anarchistenprozesse in den 80er Jahren verhandelt wurden. Sie berichtet, dass erst 1919 die Staatsanwälte eine eigene Standesvertretung gegründet haben, nachdem sie geschlossen aus der Richtervereinigung ausgetreten sind. Mit den europäischen und internationalen Perspektiven beschäftigen sich Gerhard Jarosch und eindrucksvoll Frank Höpfel mit der Stellung und Funktion des Anklägers bei den Strafgerichten.

Am aktuellsten und bemerkenswert kritisiert einfühlsam der erste Leiter der neu geschaffenen Korruptionsstaatsanwaltschaft, Walter Geyer, Teile der Reform wie den Deliktskatalog, weil vorerst die Korruptionsstaatsanwaltschaft für alle Fälle des Amtsmissbrauchs zuständig war und daher von substratlosen Anzeigen blockiert wurde. Sie wurde 2011 zur zentralen Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption (WKStA) und kam damit zur großen Bedeutung und Wirksamkeit.

Mit Art. 90a B-VG wurde die Verfassung mit dem Satz ergänzt "Staatsanwälte sind Organe der Gerichtsbarkeit" sowie, dass durch das Bundesgesetz eine Regelung über die Bindung an die Weisungen der vorgesetzten Organe erfolgen soll. Da im Art. 94 Abs. 1 B-VG die Trennung der Justiz von der Verwaltung in allen Instanzen normiert ist, wurde erörtert, wie ein Minister als oberstes Verwaltungsorgan einem "Organ der Gerichtsbarkeit" Weisungen erteilen kann. Geyer setzt fort, dass man sich bald einig war, dass trotz der neuen Bestimmung alles beim Alten bleibt.

Ich denke, dass die derzeitige Konstruktion, wonach die Staatsanwälte der WKStA ihre Fälle im Rechtsmittelverfahren vor den Oberlandesgerichten selbst vertreten, diskussionswürdig ist, während Geyer diese Bestimmung als sachgerecht darstellt. Seit der Gründung der WKStA kommt es permanent zu Änderungen der Berichtspflichten, weil diese vor allem aus politischen Motiven einmal eingeschränkt und einmal ausgedehnt werden.

Neue Technologien bei WKStA

Bei der WKStA wurden erfolgreich eine Teambildung der fallführenden Staatsanwälte sowie der Einsatz von Fachexperten ermöglicht und bei der Führung von Großverfahren neue Wege im IT-Einsatz beschritten. In aktuellen Verfahren sind die Früchte dieser Technologien auch medial omnipräsent. Alles wichtige Fortschritte in Richtung einer effizienten Korruptionsbekämpfung, wie sie vor allem auch von Greco, der Staatengruppe des Europarats gegen Korruption, gefordert wird.

Das Weisungsrecht ist, wie Geyer instruktiv ausführt, ein Synonym für die Abhängigkeit der Staatsanwälte als Verwaltungsorgane und dafür, dass sie eben nicht Teil der unabhängigen Justiz sind. Seit 1986 normiert das Gesetz die Schriftlichkeit von Weisungen und die Begründungspflicht.

Allerdings finden immer noch sogenannte Dienstbesprechungen statt, in welchen die zuständigen Staatsanwälte einen Akt mit der Oberstaatsanwaltschaft "besprechen", und da entfaltet sich das gefährliche, subtile Gespräch, das außerhalb des Dienstweges und des vorgesehenen Protokolls stattfindet. Der Appell von Franz Fiedler, dass buchstäblich jeder Vorgang in der Justiz veraktet werden muss, ist endlich umzusetzen.

Meiner Ansicht nach hat die Einrichtung des Justizorganes Rechtsschutzbeauftragter nur zu einer Verzögerung des Verfahrens geführt. Dasselbe hat für den Weisungsrat zu gelten, weil es mir bei beiden mehr als fraglich erscheint, dass überhaupt innerhalb angemessener Zeit der gesamte Akt gelesen und entschieden werden kann. Ich erinnere an spektakuläre Verfahren in der letzten Zeit, in denen sich die Angeklagten meines Erachtens mit Recht durch die lange Verfahrensdauer geschädigt erachten.

Ich denke, dass der Weisungsrat von dem damals agierenden Justizminister Wolfgang Brandstetter, damals noch unter der Bezeichnung Weisenrat, als Feigenblatt eingesetzt wurde, weil er bis zu seiner Bestellung als Minister sehr viele Causen als Verteidiger betreut und daher als "PR-Maßnahme" pro forma die Verantwortlichkeit dem Weisen- bzw. Weisungsrat übereignet hat. Das kann nichts daran ändern, dass der Justizminister der allein Verantwortliche bleibt.

StPO im Fokus

Es ist zu hinterfragen, ob der Gesetzgeber mit beiden Instituten, Rechtsschutzbeauftragtem und Weisungsrat, nicht selbst die Nichteinhaltung von § 9 StPO und Art. 6 EMRK provoziert. Verfahrensbeschleunigend wirken beide nicht.

Roland Miklau gestaltet eine komprimierte und übersichtliche Entwicklung der Geschichte des Ermittlungsverfahrens inklusive der Reform der Strafprozessordnung 2004/2008, während Farsam Salimi in "Kripo und Staatsanwalt in der StPO" deren komplexes Verhältnis auf den Prüfstand stellt und für mich charmante Vorschläge zu einer weiteren Reform erstattet, wie unter anderem weitere Spezialisierungen der Staatsanwaltschaften analog der WKStA in Richtung Internet- und Cyber- sowie Kunstkriminalität. Andere mir wohltuend erscheinende Reformvorschläge sind beim neuesten Exposee von Eckart Ratz "Verfahrensführung und Rechtsschutz nach der StPO" ausführlich und erschöpfend, wie auch im Wiener Kommentar zur StPO, nachzulesen.

Das gegenständlich besprochene Werk stellt eine Zeitreise mit allen nur denkbaren juristischen Facetten dar und sollte in jeder Bibliothek vorzufinden sein.

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