Dollfuß machte unser Blatt zum Propaganda-Organ. Doch im Feuilletonteil tobten sich Freigeister wie Ernst Krenek aus.
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Sie "galt als die langweiligste Zeitung, die man sich vorstellen konnte". So äußerte sich einst der Komponist und Schriftsteller Ernst Krenek (1900 bis 1991) über unser Blatt. Diskreditieren wollte er es aber keineswegs. Im Gegenteil: Er machte ihm eine Liebeserklärung. Schließlich ist in chaotischen, finsteren Zeiten eine langweilige, nüchterne Zeitung Gold wert. Und wirklich, Krenek lebte in finsteren Zeiten.
Zwischen 1934 und 1938 publizierte er zahlreiche Feuilletons und Buchrezensionen in der "Wiener Zeitung", die damals in einer schwierigen Lage war. Schon 1933 hatte Kanzler Engelbert Dollfuß das Traditionsblatt transformiert: Aus dem altehrwürdigen Kulturorgan sollte ein Sprachrohr der Regierung werden. Für eine solche Umgestaltung konnte er den bisherigen Chefredakteur Rudolf Holzer, einen Literaten und Kulturmenschen, nicht gebrauchen. Auf dessen Posten kam daher Ferdinand Reiter. Dem freien Mitarbeiter Krenek erschien dieser "wie ein wohlwollender Bürokrat", der "von allem, was über seinen engen Horizont hinausging, nicht die leiseste Ahnung hatte". In einer Redaktion kann das durchaus Vorteile haben.
Während der politische Teil der Zeitung Propaganda zu publizieren hatte, gab es im Feuilleton kaum Zwänge. Denn, so Krenek in seinen Memoiren, "die halboffizielle Meinung" lautete, dass "es keine große Rolle spiele, was in diesem Teil gedruckt wurde, weil ihn ohnehin niemand lese". Zumindest für die Staatsspitze dürfte das gestimmt haben. Das Blatt wurde also "von allen in Ruhe gelassen". Somit genoss die "Wiener Zeitung" größere Freiheiten als andere Gazetten, obwohl (oder gerade weil) sie in den Händen der Machthaber war.
Weiße Flecken
Insgesamt bot die Medienlandschaft in Österreich ein trauriges Bild. Ab März 1933 wurden kritische Stimmen mehr und mehr zum Verstummen gebracht. Das Regime führte eine Art Vorzensur ein, das heißt, es konnte angeordnet werden, dass Belegexemplare noch vor der Auslieferung der Behörde abzugeben waren. Wenn einzelne Passagen missfielen, mussten sie in letzter Minute aus den Druckplatten gestemmt werden. Dadurch entstanden weiße Flecken - besonders oft in der "Arbeiter-Zeitung", solange diese noch erscheinen durfte. (Sie wurde nach den Februarkämpfen 1934 in Österreich verboten.)
So kam es, dass die "Wiener Zeitung" Themen anschnitt, die andere Blätter "aus lauter Angst nicht anzupacken wagten", wie Krenek es formulierte. Eine entscheidende Rolle spielte der Leiter des "WZ"-Feuilletons, Edwin Rollett, den Krenek mit Karl Kraus verglich, wobei ihm jedoch dessen Streitlust fehlte. Rolletts Position beschrieb Krenek als "den ruhigen Punkt im Zentrum eines Wirbelsturms".
Rollett verlangte von seinen Autoren lediglich einen gesetzten, würdevollen Tonfall. Abgesehen davon konnten sie schreiben, was sie wollten. Krenek packte die Gelegenheit beim Schopfe und rezensierte unter anderem prononciert linke Autoren wie Bertolt Brecht oder Ernst Bloch, auch wenn er mit deren Ansichten keineswegs übereinstimmte.
Musikalische Themen überließ Krenek, der unter anderem als Komponist der Oper "Jonny spielt auf" bereits größere Bekanntheit erlangt hatte, lieber anderen. Doch er machte Ausnahmen.
Typisch österreichisch?
So zerpflückte er einen Vortrag, den der Dirigent Bruno Walter im April 1935 anlässlich seiner Berufung an die Staatsoper in Wien gehalten hatte. Im Publikum war neben anderen Politikern auch der damalige Kanzler Kurt Schuschnigg gesessen. Ein Seitenhieb Walters auf atonale Musik hatte Zustimmung im Auditorium gefunden - dieses "wohlige Beifallsknurren" erwähnte Krenek bitterböse in seiner Kritik. Ihm missfiel Walters Anbiederung an die niederen Instinkte seiner hochrangigen Zuhörerschaft.
Dass sein Text Wort für Wort in unserem Blatt gedruckt wurde, wunderte Krenek aber doch, wie er später in seinen Lebenserinnerungen festhielt: "Die einzige Zeitung, die eine scharfe Kritik an Bruno Walters Vortrag druckte, wurde von eben jener Regierung veröffentlicht, die ihn berufen hatte." Für den Autor eine "typisch österreichische Situation". Rückblickend bezeichnete er seine Verbindung zu unserem Blatt als eine seiner "schönsten Erinnerungen aus dieser Zeit vor der Katastrophe". Niedergeschrieben wurden die Reminiszenzen, die schließlich unter dem Titel "Im Atem der Zeit" erscheinen sollten, bereits im US-Exil. Krenek, der aus seiner Abscheu vor den Nazis nie ein Hehl gemacht hatte, verließ Österreich 1938.
Jahre des Schweigens
Für die "Wiener Zeitung" brachen finsterste Zeiten an. Mit dem Einmarsch der Hitler-Truppen war ihr Schicksal besiegelt. In der Redaktion, die damals in den Gemäuern des alten Jesuitenkollegs hauste, blieb es am Abend des 11. März 1938 noch ruhig. Nur manchmal drang das "Geheul der Siegestrunkenen (...) in die stille Bäckerstraße", wie sich der damalige Chefredakteur Reiter später erinnern sollte. Man stellte die Ausgabe für den 12. März unbehelligt fertig, auf der Titelseite Schuschniggs Abschiedsrede, die mit den Worten "Gott schütze Österreich!" endete.
Noch während diese Nummer durch die Druckerpressen lief, wurde das technische Personal angewiesen, die Rede aus dem Blatt zu nehmen. So prangt in einem Teil der Auflage ein weißer Fleck an dieser Stelle.
Kaum zwei Jahre später, am 29. Februar 1940, erschienen wieder Abschiedsworte auf der ersten Seite. Mit einem historischen Rückblick musste der frühere Chefredakteur Rudolf Holzer seine Zeitung, die zuletzt nur mehr ein Schattendasein als reines Amtsblatt geführt hatte, zu Grabe tragen. Auf Seite 2 informierte eine nüchterne Mitteilung: "Die ‚Wiener Zeitung‘ stellt mit heutigem Tag ihr Erscheinen ein." Kaum jemand hätte damals zu träumen gewagt, dass es nur ein vorläufiges Ende war.
Letzte Folge: Samstag, 24. Juni
Eine Serie von Andrea Reisner und Paul Vécsei
Wußten Sie, wie ein "Wiener Zeitung"-Chefredakteur einst die nationale Ehre rettete? Er trug den Spitznamen "roter Heinzi" und war von 1983 bis 2000 Chefredakteur der "Wiener Zeitung". In dieser Funktion folgte er dem damals legendären Hofrat Rudolf Antoni. Den farbigen Beinamen bekam Heinz Fahnler nicht wegen der politischen Grundorientierung, obwohl das Rot hier auch gestimmt hätte. Aber Fahnler (1942 bis 2008) war einer der berühmtesten und erfolgreichsten FußballSchiedsrichter seiner Zeit, der mit gezückter roter Karte gern für Ordnung sorgte. Ähnlich entschlossen führte er auch die "Wiener Zeitung": Entscheidungsfreudig, aber nicht zuletzt auch aufgrund seiner Herkunft als Sohn eines Tischlers aus Margareten mit einem großen Herz für sozial Benachteiligte und "kleine Leute". Mehr als 1.200 Spiele hat er geleitet, 45 davon im Status eines Fifa-Referees. Sein Herz für den Sport hörte auch bei einem Champions-League-Spiel zu schlagen auf - in Madrid als Uefa-Delegierter vor einem Match. An jenem 17. September 2008 liefen ihm zu Ehren dann alle Spieler von Real Madrid und BATE Borisow mit Trauerflor auf. Einmal aber rettete Fahnler in einem Journalistentrio die österreichische Ehre unerwartet in einer anderen Disziplin: Innenminister Franz Löschnak war im November 1990 mit drei Journalisten und einer Beamtendelegation bei seinem sowjetischen Amtskollegen offiziell zu Besuch. Auf übliche Wodka-Trinksprüche bei Tisch wären ja alle vorbereitet gewesen. Aber plötzlich donnerte die sowjetische Seite der Tafel mit einem mehrstimmigen kunstvoll interpretierten Lied los und forderte die Österreicher zum Sängerwettstreit heraus. Die österreichischen Regierungsvertreter zeigten sich so richtig "schmähstad". Weder der Sektionschef noch der Chef der Staatspolizei brachten auch nur einen Piepston heraus. Beherzt stand APA-Journalistin Hermine Schreiberhuber auf und sang ein Solo. Darauf folgte ihr heutiger "Wiener Zeitung"- Autor, der damals den "Standard" in Moskau vertrat. Dann aber schmetterte der "rote Heinzi" mit all seinem Herz "Mei Muaterl war a Weanerin" in den Saal. Das rührte die Sowjets so zu Tränen, dass man sich auf ein Unentschieden mit Punktevorteil für uns einigen konnte. Österreichs offizielle Vertreter und der Minister reagierten mit betretenem Schweigen. Über den Rest der Wodka-Party herrscht redaktionelle Schweigepflicht.