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Eine zentrale Bankenaufsicht mit vielen Fragezeichen

Von Hermann Sileitsch

Analysen

Eine Kernfrage aller Europa-Visionen lautet: Bleibt Großbritannien an Bord?


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Wer nichts erwartet, kann nur positiv überrascht werden. Deshalb darf dieser EU-Gipfel als erstaunlich produktiv gelten. Der Eintrag in den Geschichtsbüchern wird dennoch kurz ausfallen. Ein Befreiungsschlag oder gar eine historische Wende in Richtung eines politisch, wirtschaftlich und fiskalisch enger verzahnten Europas ist das nicht. Immerhin: Das Vorhaben steht weiter auf der Agenda. Vorerst bleiben Europas Spitzenpolitiker jedoch ihrer Krisenstrategie treu: nur das Nötige - und das im letzten Moment.

Erst jetzt, wo Spanien und Italien das Wasser bis zum Hals steht, wurden Mängel der bisherigen Rettungsinstrumente behoben: Die Zutrittshürden für Geld aus den Hilfstöpfen werden reduziert. Endlich wird die Möglichkeit geschaffen, dass Banken direkte Hilfe aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) erhalten - ohne Umweg über die jeweilige Regierung. Dies fordert der Internationale Währungsfonds seit Monaten. Denn wenn Hilfskredite für marode Banken erst recht die Staatsschulden hochtreiben, sind sie wenig hilfreich, sondern sogar schädlich - siehe Spanien.

Nicht minder wichtig ist: Der ESM gibt offenbar seinen Sonderstatus als bevorzugter Gläubiger auf. Das ist im Gipfeldokument mit Blick auf Spanien vorgesehen, und es ist schwer vorstellbar, dass das von Fall zu Fall entschieden wird. Warum wäre das bedeutsam? Bisher war vorgesehen, dass ESM-Kredite gegenüber anderen Gläubigern bevorzugt werden. Damit wird privaten Investoren, die überlegen, beispielsweise spanische Staatsanleihen zu kaufen, signalisiert: Ihr bekommt im Pleitenfall euer Geld als Allerletzte zurückbezahlt. Kein besonders starker Kaufanreiz - das soll nun offenbar behoben werden. Die Kehrseite: Das Ausfallrisiko für den ESM und die beteiligten Euroländer steigt im Haftungsfall.

Erfreulich - wenn auch keine Neuerung - ist, dass die Euroländer sich festgelegt haben, dass sie Länder wie Italien und Spanien notfalls mit Anleihenkäufen unterstützen werden. Das Instrument gab es schon seit vorigem Herbst, aber es war nicht klar, ob es den politischen Willen gibt, es auch einzusetzen.

Auf Weg zu mehr Europa lauern viele Sprengfallen

Was wurde bei diesem Gipfel aus der Langfristvision, wonach das Gründungsmanko der Währungsunion behoben und diese um eine Banken-, Fiskal- und Politunion ergänzt werden sollte? Hier zeigen sich die Sollbruchstellen des integrierten Europas. Deutschlands Abwehrhaltung gegenüber einer Schuldengemeinschaft ist längst nicht die einzige Hürde. Als erster Schritt in Richtung Bankenunion soll recht flott eine zentrale Bankenaufsicht installiert werden. Diese braucht es allein schon als Gegengewicht für die direkten Hilfszahlungen aus dem ESM. Wie die Aufsicht aussehen soll, ist aber alles andere als geklärt. Die Kernfrage lautet: Ist Großbritannien mit an Bord? Oder liegt darin der Sprengstoff, der über kurz oder lang zum "Brixit" ("Economist"), zum EU-Austritt der Briten, führen könnte?

Wohl nicht von ungefähr hat EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy die Gipfelagenda kurzerhand auf den Kopf gestellt und das Treffen der 17 Eurostaaten vorgezogen: Das ist der Länderkern, der die Integration vorantreibt. Eine zentrale Bankenaufsicht nur über Euroländer wäre aber widersinnig. Was wäre dann mit den Assets österreichischer Banken in Nicht-Euroländern wie Ungarn oder Tschechien? Wie sinnvoll wäre eine Aufsicht, die nicht den Mega-Finanzplatz London im Visier hätte?

Ein Türchen bleibt für Großbritannien und Co. offen: Die Aufsicht soll offenbar nicht bei der Europäischen Zentralbank (EZB) angesiedelt sein. Anders als im Entwurf heißt es im Abschlussdokument nur, dass die EZB "eingebunden" wird. Ein wesentlicher Unterschied: In der Zentralbank in Frankfurt sind klarerweise die Länder der Währungsunion am Ruder - allen voran Deutschland. Es gibt zwar den "erweiterten EZB-Rat", in dem Briten, Polen und andere Nicht-Euroländer mitplaudern dürfen. Das sei aber "ein Gremium zum Krenreiben", sagen Insider. Die EZB würde sich als Hüterin der Geldpolitik und Bankenaufseherin zudem gewaltige Interessenkonflikte aufhalsen.

Damit könnte die Stunde der EBA, der Europäischen Bankenaufsicht in London, schlagen. Die gibt es schon. Sie müsste aber ordentliche Durchgriffsrechte erhalten - und von der kurzen politischen Leine gelassen werden.