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"Eine ziemlich dominante Stille"

Von Eva Zelechowski

Politik

Amnesty-Bericht zeigt "unmenschliche Behandlung" in Traiskirchen und "unnötige administrative Strukturen".


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Wien/Traiskirchen. Nach einer Überprüfung im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen präsentierte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International am Freitagvormittag ihren Bericht mit den Ergebnissen. Positives gibt es vom AI-Research-Team zur menschenrechtlichen Situation in den Bereichen Unterbringung, Verpflegung und medizinischer Versorgung nicht zu berichten. "Die Situation in der Bundesbetreuungsstelle Traiskirchen ist schwer menschenrechtsverletzend", urteilt Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International.

Am 6. August hatte ein Team, darunter AI-Kommunikationschefin und Head of Mission Daniela Pichler sowie der Arzt Siroos Mirzaei, Zugang zum Lager erhalten. Bei ihrem Aufenthalt, der mehrere Stunden dauerte und zum Teil von Mitarbeitern der Lagerbetreuungsfirma ORS und des Innenministeriums begleitet wurde, konnten sie sich ein genaues Bild über Unterkunft, Administration, Verpflegung, medizinischer Versorgung und der Situation für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge machen. Auch fanden einzelne Gespräche mit den Asylsuchenden statt.

Der Wunsch, in Frieden zu leben

"Das erste Gefühl, das sich beim Betreten der Einrichtung einstellt, ist Betroffenheit. Zu sehen, wie Menschen in der enormen Hitze versuchen, Schatten zu finden, ist schrecklich. Häufig liegen sie auf dem Asphalt. Es herrscht eine ziemlich dominante Stille", erzählt Pichler von ihren persönlichen Eindrücken. Sie habe erwartet, dass unzählige Menschen auf sie einströmen würden, aber es kamen nur vereinzelt Personen, die ihre Geschichte erzählen wollten. Sehr beeindruckt sei sie von der Bescheidenheit der Menschen, die aus ihrer Heimat vor Krieg und Verfolgung fliehen mussten und "eigentlich nur einen Wunsch haben: in Frieden zu leben, in Österreich oder am liebsten bald wieder in ihrem Heimatland".

Den Fakten-Bericht teilte das Research-Team in vier Bereiche: Unterkunft, Verpflegung, medizinische Versorgung und Betreuung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge.

1500 Obdachlose

Wenig überraschend ist das Ergebnis zu den Unterkünften: Es gebe keine angemessenen Unterkünfte. "Es gibt über 1.500 Obdachlose innerhalb des Areals der Erstaufnahmestelle, hinzu kommen zahlreiche Menschen, die sich außerhalb des Zauns befinden und warten", sagte Pichler.

Wie viele Menschen außerhalb des Lagers ausharren, wisse man nicht, auch wenn täglich zwei Teams unterwegs sind, um Standzählungen vorzunehmen. Durch die Aufnahme einiger Asylsuchender in der Sicherheitsakademie des Innenministeriums (SIAK) und den zehn Bussen vor dem Aufnahmezentrum sei die Zahl der Menschen ein wenig gesunken.

Für die Menschenrechtler kommt diese Unterbringung jedoch "einer unmenschlichen Behandlung gleich". In den Autobussen sei es brütend heiß und Kinder wie Frauen seien dadurch "einer erhöhten Schutzlosigkeit" ausgeliefert.

"Unnötige administrative Strukturen"

Ein miserables Zeugnis wird auch der Administration und Verwaltung in der Bundesbetreuungsstelle Traiskirchen ausgestellt. Für die sogenannten Identifikationskarten müssten die Flüchtlinge stunden-, manchmal auch tagelang anstehen, viele verpassen dadurch Essensausgaben, wo man sich ebenfalls stundenlang in Warteschlangen einreihen muss.

Die Karten seien besonders wichtig für die Asylsuchenden, da sie für Identität und Bewegungsfreiheit stehen. "Im Haus gibt es nur einen Drucker, der angeblich oft nicht funktioniert", erzählt Pichler. Das Ganze sei ein "unnötiges administratives Vorgehen, das nicht sein muss".

Kinderrechte klar verletzt

Besonders prekär und laut Patzelt "eine klare Verletzung der Kinderrechtskonvention" sei die Situation in Traiskirchen für die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge. Mehrere Mängel und Versäumnisse habe AI beobachtet: Die Jugendlichen und Kinder erhalten keinen gesetzlichen Vormund, der ihnen rechtlich zustehe, sie würden nicht - oder erst nach langer Wartezeit - in geschützte Strukturen wie etwa eine Pflegefamilie oder ein betreutes Heim überführt, aber besonders das Unwissen und unzureichende Informationen zu ihrer Situation habe "schreckliche Konsequenzen".

Daniela Pichler erzählt von einem 14-jährigen Buben, mit dem sie in Traiskirchen gesprochen habe: "Er hat den Zettel auf seiner Zimmertür nicht gesehen, auf dem er über das Datum seiner Überstellung in eine andere Unterkunft informiert wurde. Das hat ihn so frustriert, dass er sich die Unterarme aufgeschnitten hat."

Keine getrennten Duschen und Toiletten

Über die katastrophalen Zuständen sanitären Anlagen wurde bereits mehrmals berichtet. Nach ihrem Lokalaugenschein bestätigt Amnesty International viele Berichte Betroffener, dass es keine getrennten Duschen oder Toiletten gebe.

Eine gegensätzliche Aussage kommt aus dem Innenministerium. Auf Anfrage der "Wiener Zeitung" diesbezüglich vor einigen Tagen bei der Betreuungsfirma ORS Service, antwortete Innenministeriums-Sprecher Karl-Heinz Grundböck: "Im Widerspruch zu Behauptungen wird festgehalten, dass die Sanitärbereiche sehr wohl nach Geschlechtern getrennt sind."

Laut Amnesty International gebe es in den Duschen zwar Nischen, aber keine Türen oder Vorhänge. Die Lage ist höchst heikel, die Frauen müssten sich gegenseitig vor den Männern abschirmen.

Arzt: "Erster Eindruck war Elend"

Äußerst mangelhaft sei auch die medizinische Versorgung der aktuell 3.800 Menschen in der EAST Traiskirchen. "Der erste Eindruck, den ich als Mediziner beim Betreten des Lagers hatte, war Elend", sagt Mirzaei.

Vier Ärzte seien im Lager für Tausende Menschen zuständig, für die Behandlung hätten sie aber nur wenige Stunden Zeit, weil der Großteil ihrer Arbeitszeit auf die Erstuntersuchung fällt. Ein Mann erzählte dem AI-Team von seiner zehnjährigen Tochter, die minderwüchsig sei und wegen Hautwucherungen dringend ärztliche Behandlung benötige. Er warte bereits seit Tagen in der Warteschlange und habe noch nicht mit einem Arzt sprechen können. Manche, sagt Pichler, trauen sich nicht, sich untersuchen zu lassen, aus Angst, dann nicht in ein Privatquartier transferiert zu werden.

Ehrenamtliche, also kostenlose Ärzte, die von NGOs und Organisationen wie "Ärzte ohne Grenzen" in Traiskirchen angeboten werden, lehnt das Innenministerium ab. Stattdessen nimmt man in Kauf, dass nur vier Mediziner Tausende Menschen betreuen müssen. Patzelt mache dieses Vorgehen "unsagbar zornig".

"Völlig unzureichend" sei auch die psychologische Betreuung. Drei Psychologen seien für Tausende Menschen zuständig, von denen viele Krieg, Flucht, Folter und andere traumatische Erlebnisse hinter sich haben. Alle Jugendlichen müssten zur Altersbescheinigung eine radiologische Untersuchung über sich ergehen lassen. "Obwohl es keine seriöse wissenschaftliche Überprüfung dafür gibt, belaufen sich die Kosten für diese Untersuchung auf mehr als 100.000 Euro im Jahr", sagt Mirzaei.

In Versorgung und Unterkunft wäre dem Mediziner zufolge das Geld wesentlich sinnvoller investiert. Auch er spricht die hygienischen und sanitären Missstände an: "Die Trennung in den Duschen von Männern und Frauen ist sehr problematisch und wäre sehr leicht zu lösen."

Überfüllte Lager als politisches Kalkül

Kritik feuert Patzelt auch in Richtung Politik, die seiner Meinung nach die katastrophalen Zustände in Traiskirchen nicht ungewollt herbeigeführt habe. Er spricht damit das von Vielen als Kalkül gesehene Prozedere an, Österreich auf diese Weise als Zielland unattraktiver zu machen.

Im bewussten Produzieren schrecklicher Bilder aus überfüllten Flüchtlingslagern stecke ein von Österreich und anderen EU-Staaten gemeinsam beschlossenes Vorgehen. Man demonstriere eine harte EU-Haltung bei Zuwanderung und gleichzeitig würde der Druck auf EU-weite Quoten der Umverteilung von Asylsuchenden erhöht. Für Patzelt sei die Unterbringung und Situation in Traiskirchen "eine Barbarei", die nicht durch eine Notsituation argumentierbar sei und durch politisches Kalkül herbeigeführt wurde.

Wie geht es weiter? Das Innenministerium habe weiterführende Gespräche zugesagt. Amnesty International habe außerdem "sehr gute zuverlässige Quellen", um regelmäßig über mögliche Verbesserungen im Erstaufnahmezentrum informiert zu werden, deutete der AI-Generalsekretär an. "Wenn dieser Bericht und die Gespräche keine Wirkung zeigen, werden wir schnell wieder im Lager sein", so Patzelt.

Der AI-Bericht zu Traiskirchen (PDF-Download)

Die Caritas sucht freiwillige Helfer zum Sortieren von Sachspenden in Traiskirchen. Anmeldungen hier: https://doodle.com/giwxdhuwpaynu6df