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"Eine ziemliche Ego-Geschichte"

Von Hannah Stadlober und Konstanze Walther

Wirtschaft
Phil Libin weist am Podium des Pioneers Festival auf die Schönheit des Scheiterns hin.
© pioneers/farkas

Evernote-Gründer Phil Libin über das Zeitfenster, das erwischt werden muss.


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Wien. Bei dem Pioneers Festival in Wien geben sich zwei Tage lang alte und neue Start-ups der Technologie-Branche Tipps, wie man im Investoren-Dschungel überlebt und Tiefschläge mit Humor nimmt. Der 41-jährige Phil Libin gründete drei erfolgreiche Start-ups und steht bei Evernote, seinem jüngsten Baby, als CEO weiter an der Spitze. Die 2008 gestartete Selbst-Organisations-Plattform war oft konkursreif, heute expandiert sie auf allen Kontinenten und hält derzeit bei 80 Millionen Kunden. Phil Libin ist auch im Silicon Valley ein gefragter Redner bei Start-up-Konferenzen. In Wien durfte er nun nicht fehlen, die "Wiener Zeitung" hat ihn in der Hofburg getroffen.

"Wiener Zeitung": Ich wollte vorhin etwas im Internet nachsehen, aber die Verbindung ist komplett überlastet. Passiert das auch bei Konferenzen im Silicon Valley?Phil Libin: Oh ja. Es ist auf Konferenzen immer schlecht. Ich kann mich an keine Tagung erinnern, bei der es eine gute Internet-Verbindung gegeben hat. Außer bei einer von uns organisierten Konferenz vor ein paar Wochen in San Francisco. Da war die Internet-Verbindung wirklich gut, aber verdammt teuer. Wir haben spezielle Lkw dafür angeheuert, die mit Ausrüstung vorgefahren sind. Aber wir haben uns gedacht, es wäre irgendwie peinlich, wenn es bei unserer Technologie-Konferenz eine schlechte Internet-Verbindung geben würde.

Sie haben bei Ihrem Vortrag gesagt, man solle sich gar nicht mit Menschen anfreunden, mit denen man kein Start-up gründen möchte.

Das ist ein sehr schlechter Ratschlag für normale Menschen. Normale Menschen sollten auch kein Unternehmen gründen. Aber wenn du ein Start-up gründest, dann sollten deine besten Freunde mitmachen. Sonst siehst du sie ohnedies nicht mehr.

Worin besteht der Unterschied zwischen "normalen Menschen" und Start-up-Gründern?

Ein Start-up ist viel Arbeit. 24 Stunden am Tag für viele Jahre. Es gibt lange keine finanzielle Entschädigung. Man hat keine Zeit für Familie, Hobbys oder Freunde. Wenn deine Motivation Geld, Lebensqualität oder Freizeit ist, dann solltest du die Finger von einem Start-up lassen.

Was treibt Sie an?

Ich optimiere mein Leben für Einfluss und Bedeutung. Es ist wichtig, dass man sich fragt, wofür will man sein Leben optimieren? Da gibt es einen Haufen Antworten: für Familie, für Geld. Ich mache es für Einfluss. Ich will, dass das Universum weiß, dass ich gelebt habe. Das ist eine ziemliche Ego-Geschichte, was nicht besonders gut ist. Das bin nur ich, der ich vielleicht arrogant und eitel bin, mit meinem Anspruch, das Universum soll wissen, dass es mich gegeben hat. Wenn man diesen Anspruch hat, empfiehlt es sich, Musiker, Schriftsteller oder Politiker zu werden. Ich bin zu all dem leider zu unbegabt. Ein Unternehmensgründer zu sein, ist meine einzige Chance, die Welt ein bisschen zu verändern.

Evernote ist ein webbasierter Notizdienst, von dem viele sagen, dass er das Leben deutlich erleichtert und verbessert. Wie kam es zu der Idee?

Schrift, Papier und Technologie wurden erfunden, um sich besser organisieren zu können. Es ist keine neue Idee. Für Start-up-Entrepreneure ist es meines Erachtens ohnedies ein Fehler, sich auf die Idee zu konzentrieren. Vielmehr kommt es auf die Ausführung an. Alte Ideen zu verschönern, das ist alles, was man braucht.

Könnten Sie Evernote heute auch noch gründen?

Das Timing ist wirklich wichtig. Man muss dieses kleine Zeitfenster abpassen. Daran denken, was sich in der Welt so verändert hat, dass ein früher unlösbares Problem inzwischen zu einer knackbaren Herausforderung geworden ist. Davor funktioniert es nicht. Und danach, wenn die Lösung zu leicht wird, wird es zu viele Konkurrenten geben. Bei uns hat alles gepasst, die ganzen Smartphones und Apps sind gerade erst auf den Markt gekommen. Wenn ich heute ein Unternehmen gründen würde, kann ich nicht mehr sagen, das Neue in der Welt sind die Smartphones und Apps. Dafür ist es schon zu spät. Man muss schauen, wo gerade der Umbruch stattfindet. Ich würde mich bei einer heutigen Gründung auf die tragbaren Geräte stürzen, Computer-Uhren und Daten-Brillen. Das ist auch ein Weg, den Evernote einschlägt. Unser Ziel ist, über 100 Jahre lang ein Start-up zu bleiben, das heißt, wir müssen uns jedes Jahr wie eines verhalten.

Sie haben bei Ihrer Podiumsdiskussion gesagt: "Es ist kein Scheitern, wenn man es versucht." Wie oft scheitern Sie noch?

Die ganze Zeit. Darum geht es ja bei diesem Entrepreneur-Sein. Man schlägt sich die ganze Zeit mit Problemen herum. Wir sind am Anfang ein paar Mal am Konkurs vorbeigeschrammt. Wir haben Programme und Features gebaut, die nicht funktionierten. Aber unser letzter großer Tiefschlag, eine Funktion um Informationen mehreren Menschen zugänglich zu machen, hat unsere Philosophie komplett erneuert. Jetzt zum Beispiel designen wir zuerst die Vision, dann kommen die Details. Früher haben wir so eine Check-Liste gehabt, mit Anforderungen, was ein neues Programm theoretisch alles können müsste. Die Liste haben wir nun in den Müll geworfen. Man darf sich von so etwas nicht unterkriegen lassen. Man scheitert erst, wenn man aufhört, es zu versuchen. Versagen ist, es gar nicht versuchen zu wollen.

Dieser Zugang klingt sehr US-amerikanisch.

Wir sind bei vielen Sachen eben sehr naiv.

Welche Ziele hat Evernote?

Wir wollen eine Milliarde Nutzer haben und 100 Jahre existieren. Das bedeutet, wir sind erst bei fünf Prozent der Zeit - uns gibt es erst seit fünf Jahren. Wir haben nur 80 Millionen Nutzer - das heißt, da haben wir erst acht Prozent. Die USA und Europa halten sich mit rund 30 Prozent unseres Markts die Waage, in Asien wachsen wir derzeit sehr stark, auch in Lateinamerika.

Sie verwenden Cloud-Computing, die Datenspeicherung im Internet. Das gilt als unsicher. Die Sensibilität der Nutzer stieg gerade in der jüngsten Vergangenheit an.

Man muss mehrere Aspekte abwägen. Will man einfachen Zugang zu seinen Daten haben oder sie meilenweit weg auf analogem Papier in einem Safe wegsperren? Wie wahrscheinlich ist es, dass man von Kriminellen bestohlen wird? Wie wahrscheinlich ist es, dass das Unternehmen selbst die Daten missbraucht? Bei uns ist Letzteres ausgeschlossen. Alles, was man in Evernote speichert, ist privat. Wir schauen uns das nicht an. Wir verdienen kein Geld mit Daten. Der Kunde ist nicht das Produkt. Bezüglich Hackern versuchen wir jeden Tag, die Sicherheit unserer Produkte zu erhöhen. Es gibt da keinen Königsweg. Es ist unmöglich, etwas 100-prozentig abzusichern. Und die Eingriffe in die Privatsphäre seitens der Regierung werden auch weniger werden. Die derzeitige NSA-Debatte ist sehr schmerzhaft, aber langfristig nützlich, weil jetzt die Aufregung so groß ist, dass früher oder später die Regierung transparenter handeln muss.