Zum Hauptinhalt springen

Eine Zugabe für Europa

Von Martyna Czarnowska

Kommentare

Die Rufe nach einer Vertiefung der Europäischen Union sind rarer geworden - doch nicht verstummt.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 8 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Es war einmal, vor nicht allzu langer Zeit, eine Debatte, ob sich die EU erweitern oder vertiefen soll. Da gab es die Enthusiasten einer größer werdenden Gemeinschaft und die Mahner vor einer Überforderung. Integration, meinten diese, sei jetzt angesagt, enger zusammenrücken statt sich ausbreiten. Die nächste Erweiterung müsse gut vorbereitet sein und die Bevölkerung auf den Zuwachs auch, argumentierten sie. Denn die Skepsis, vor allem in Westeuropa, sei ernst zu nehmen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nahm dies sogar so ernst, dass er gleich bei der Übernahme seines Postens erklärte, während seiner Amtszeit werde die Union kein neues Mitglied erhalten.

Nun ist aber von Vertiefung ebenfalls kaum mehr die Rede. Das dürfte jetzt gerade auch nicht passen, scheint sich so mancher Politiker zu denken. Die Briten stimmen über ihren Verbleib in der EU ab, in etlichen Staaten werden nationalistische Tendenzen spürbar, und Politiker, Experten sowie interessierte Beobachter weisen immer wieder auf die Multi-Krise, Polykrise, Krisenanhäufung hin, mit der sich die Europäer herumschlagen müssen. Stärke und Einigkeit wird dabei manchmal beschworen, vertiefte Zusammenarbeit jedoch schon seltener. Stattdessen kreisen mehr Ideen wieder um ein Konzept, das weder neu noch strahlend ist. Wenn Großbritannien aus dem Ganzen ausfällt, müssen einige Teile sich zu einem Kerneuropa formieren. Doch welche? Deutschland und Frankreich, das einstige Führungsduo, scheint manchen nicht mehr geeignet zu sein. Der EU-Abgeordnete Reinhard Bütikofer, Vorsitzender der Europäischen Grünen Partei, beispielsweise wünscht sich, Polen und Italien in den Kreis aufzunehmen, der die Richtung vorgeben könnte. Von einer föderalen Souveränität, einem Europa der vereinigten Staaten, will er nicht träumen.

Von solchen Gedankenspielen hält auch EU-Ratspräsident Donald Tusk wenig. In einer Rede warnte er vor kurzem vor Utopien und mahnte zu praktischen Aktivitäten, wie Sicherung der EU-Außengrenzen oder Vollendung der Bankenunion. Antworten auf aktuelle Probleme seien nämlich nicht in "Europa-enthusiastischen Visionen der völligen Integration" zu suchen. Diese seien vielmehr "lyrisch" und "naiv". Und paradoxerweise würden genau sie dazu beitragen, EU-Skepsis zu schüren.

Rufe nach einer Vertiefung der EU sind rarer geworden. Da ist es für jene, die sie gern hören, angenehm, wenn die Direktorin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, in Wien die Anziehungskraft Europas betont. Oder der Wiener Bürgermeister in Brüssel nach "mehr Europa" verlangt. Michael Häupl, in der belgischen Hauptstadt zu Besuch, um das zwanzigjährige Bestehen des Wien-Hauses zu feiern, plädierte gegen "Defätismus" und für "mutige Schritte". Die würden zu einer parlamentarischen Demokratie führen, mit einer gestärkten EU-Volksvertretung und einer Regierungsvollmacht für die EU-Kommission. Die Dominanz des Rates, der Versammlung der Mitgliedstaaten hingegen würde zurückgedrängt. Mit Mutlosigkeit sei jedenfalls nichts zu schaffen. Und "nix tun", befand Häupl, "geht nicht".