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Eine Zugfahrt mit Franz

Von Engelbert Washietl

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Der Autor ist Vorsitzender der "Initiative Qualität im Journalismus"; zuvor Wirtschaftsblatt, Presse, und Salzburger Nachrichten.

Die Sorge um den wackelnden SPÖ-Vorsitzenden Alfred Gusenbauer kann drahtlos auch unbeteiligte ÖBB-Passagiere erfassen: Fragmente einer mobilen Rettungsaktion.


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Immer wenn im IC546 von Wien nach Salzburg das Handy schrillt, meldet sich der Besitzer mit "Franz hier" oder "Hier Franz" oder "Franz spricht".

Er sitzt im 1. Klasse-Großraumwaggon zwei Sitze weiter entfernt von mir, seine sonore Stimme macht im halben Wagen kommunikative Freude. Zunächst nur übliches Geschwätz, wie der richtige Arzt für einen richtigen Patienten besorgt wird und ob die Therapie zu einem guten Ende führen werde. "Also gut, das mach ma schon." Geübte Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel schaffen es, dabei die Ohren zuzuklappen und das subjektive Gefühl zu entwickeln, nicht gestört zu sein.

Handynutzer sind sowieso ungestört. So geht Franz dazu über, bei etwa dem dritten oder vierten Telefonat so richtig amtszuhandeln oder zu intrigieren oder beides, weil es sowieso zusammengehört. "Wir müssen alles vermeiden, was in die Öffentlichkeit gerät", redet er auf seinen Gesprächspartner ein. Das "waast eh" deutet darauf hin, dass er zur Riege mittelwichtiger Beamter oder Funktionäre gehört und auf der Fahrt in die Landeshauptstadt St. Pölten ist. Aber nein, er wird weiter fahren. "Also waast, das mit dem Vertrag, der soll doch morgen beim Verkehrsminister unterzeichnet werden. Jetzt muss ich nach Salzburg fahren, weil ja schon wiederum nichts fertig ist. Das glaubt man gar nicht."

O ja, so etwas glauben alle anderen im Waggon sofort, so geht es in der Bürokratie zu. Nächstes Telefonat, Franz outet sich als Freund des Bundeskanzlers und SPÖ-Vorsitzenden Alfred Gusenbauer, dieser wird es zu schätzen wissen: "Also waast, man kann übern Gusenbauer sagen was man will. Aber mir geht gegen den Strich, was für Wappler sich jetzt vordrängen. Also der andere, den sie jetzt ham, ist ja net amal die Hälfte vom Gusenbauer."

Ich kenne den anderen nicht und will mich nicht direkt ins Gespräch einschalten, es darf ja nichts in die Öffentlichkeit kommen, wie ich erneut vernehme. "Das wär nämlich völlig kontraproduktiv", sagt Franz. "Ein Brief des Landesvorsitzenden, der an die Öffentlichkeit gerät, ist gefährlich."

Entweder leben wir in einer gefährlichen Zeit oder unter gefährlichen Landesvorsitzenden. Zum Glück gibt es Franz: "Ich bin für alles zu haben. Ich würde selektiv an Einzelne herantreten, waast? Du musst nämlich damit rechnen, das bleibt nicht geheim, wenn es einen Brief des neuen Landesvorsitzenden gibt." Das klingt plausibel. Gäbe es den Brief, würde er jetzt im Zug laut vorgelesen. Man kann sich in jeder Weise auf Franz verlassen. "Du kannst davon ausgehen, dass unsere Sache in guten Händen ist."

Beruhigt mache ich mich fertig, um in St. Pölten auszusteigen. Ich höre gerade noch, wie Franz dem sechsten Gesprächspartner seine Handynummer deutlich und so langsam diktiert, dass dieser mitschreiben kann. Es handelt sich wieder um ein Gespräch mit sozialem Hintergrund, es geht aber nicht um den SPÖ-Vorsitzenden, sondern um den Hund. "Waast, das Problem ist unser Hund, er ist schon 16 Jahre alt. Für an Hund ist das schon sehr betagt. Er ist ein männlicher Dackel."

Auf dem Bahnsteig lese ich auf der Anzeige, dass der Zug den aufmunternden Namen "Licht für die Welt" hat. Ich blicke ihm nach und denke mir, dass bis Salzburg manches ins rechte Lot kommen werde, entweder für Alfred Gusenbauer oder den Landesvorsitzenden oder den Dackel. Vielleicht hätte ich bis Salzburg weiterfahren sollen, dann wüssten wir es jetzt alle.