Das derzeitige Gesundheitssystem treibt die USA allmählich in den Bankrott. Es auszuweiten, ohne die innere Dynamik zu verändern, ist eine Torheit.
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Es tut weh, die Mitschriften von US-Präsident Barack Obamas jüngsten Reden zur Gesundheitsreform zu lesen. Er sagt zwar das Richtige, aber seine Zuhörer werden ungeduldig, und je angestrengter er versucht, sein Gesundheitsprogramm zu verkaufen, desto lauter und wilder wird die Auseinandersetzung.
Das erinnert mich an die ähnlich polarisierende Irak-Debatte vor einigen Jahren. Verzeihen Sie mir die Analogie zwischen Krieg und Gesundheitswesen - aber was Obama jetzt braucht, dürfte ein medizinisches Äquivalent von General David Petraeus sein, also ein Profi, der es schafft, das politische Hickhack zu durchbrechen und eine Reformstrategie vorzulegen, die das Land wieder zusammenführt.
Für die Rolle des medizinischen Kommandanten hätte ich einen Vorschlag, der wohl niemanden, der die Debatte verfolgt, sehr überraschen wird: Denis Cortese, Leiter der Mayo Clinic. Er verwirklicht bereits das, was die USA jetzt brauchen, nämlich Gesundheitsversorgung mit hoher Qualität zu relativ geringen Kosten. Jedes Mal, wenn ich höre, wie Cortese erklärt, was im US-Gesundheitssystem falsch läuft, komme ich zum selben Schluss: Lassen wir ihn und andere smarte Gesundheitsprofis uns aus der politischen Klemme befreien.
Daher habe ich mich diese Woche mit Cortese darüber unterhalten und bekam vor allem zwei Themen zu hören, die mitten ins Herz der laufenden Debatte treffen. Erstens glaubt er, dass Obama einen Fehler macht, wenn er so sehr auf eine Reform der Krankenversicherung hindrängt: Was die USA jetzt nämlich tatsächlich bräuchten, sei eine Reform des Gesundheitssystems. Eine Ausweitung der Krankenversicherung würde alles nur verschlimmern, wenn im System nicht Änderungen zur Senkung der Kosten und zur Erhöhung der Effizienz vorgenommen werden. Das jetzige Gesundheitssystem treibt die USA allmählich in den Bankrott. Es auszuweiten, ohne die innere Dynamik zu verändern, ist eine Torheit.
Und zweitens, sagt Cortese, sollten die Reformer endlich aufhören, über eine "öffentliche Option" zu streiten. Natürlich brauchen wir einen Maßstab, um die Kosten und die Effektivität messen zu können, aber wir sollten uns zuerst einmal um die öffentlichen Einrichtungen kümmern, die wir bereits haben.
Cortese nennt vor allem sechs davon, die zu Werkstätten der Reform werden könnten: Medicare, mit 45 Millionen Patienten; Medic-aid, mit 34 Millionen Patienten; die Militärmedizin; das Department of Veterans Affairs; die Tricare-Versicherung für Militärpensionisten; die US-Beamtenversicherung.
Weitere öffentliche Einrichtungen hinzuzufügen, könnte nützlich sein, aber im Moment ist es nicht notwendig. Es erzeugt nur eine giftige Debatte. Wenn die Liberalen zeigen wollen, dass sie es ernst meinen, dann sollten sie mit den existierenden Kolossen beginnen, mit Medicare und Medicaid. Cortese schlägt vor, dass das Weiße Haus sich für Umstrukturierungen innerhalb von drei Jahren einsetzen soll - weg vom jetzigen Honorarsystem, um die Kosten zu senken und die Qualität zu verbessern. Wenn Ärzte dann unnötige Tests durchführen, wird ihre Vergütung gekürzt.
Dieses "Pay for value"-Prinzip würde im US-Gesundheitswesen einer Kulturrevolution gleichkommen. Es würde das aufgeblähte System sowohl kostengünstiger als auch besser machen. Die Maßnahmen wären einfach umzusetzen und das Sträuben der Ärzteschaft würde sich mit Cortese an der Spitze wohl am ehesten in Grenzen halten lassen.
Obama hat eine sehr entschlossene, heftige Kampagne in diesem verrückten Sommer voller Scheindebatten geführt, aber nun verliert er die Bodenhaftung. Hoffentlich sieht er ein, dass sein Gesundheitsplan in tödlicher Gefahr ist und es Zeit wird, einen Arzt zu rufen.
Übersetzung: RedaktionSiehe auch:Obama knickt vor seinen Gegnern ein