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Vielleicht ist es ja nur ein subjektiver Eindruck. Aber irgendwie scheint es, als hätte man bei den Wiener Linien vor allem ein Problem: Dass Passagiere in den öffentlichen Verkehrsmitteln essen. Erneut weisen derzeit Plakate darauf hin, dass Döner-Verspeisenden die U-Bahntüre vor der Nase zugeschlagen wird. Das ist würdig und recht. Keiner räumt gern erst einmal die Zwiebelringe vom Sitz. Aber ob das das wichtigste Achtsamkeits-Anliegen in der Wiener Bus- und Bimlandschaft sein soll, ist fraglich. In Zeiten, in denen Menschen, mit Kopfhörern und Smartphones der realen Umgebung nachhaltig entrückt, nicht einmal dann den Platz räumen, wenn sie schon auf einem gekennzeichnet-reservierten Sitz für Ältere, Behinderte oder Schwangere sitzen, hätte man vielleicht andere Prioritäten im Verhaltensregeln-Marketing setzen können.
Neuerdings beschäftigen sich wieder mehr Menschen mit der aussterbenden Kunst der Höflichkeit. Die dienstbaren Geister von Amazon, Google, Apple haben - bei all den anderen Nachteilen, etwa im Datenschutzbereich - auch das Potenzial, ganze Generationen zu verderben, wie eine gestrenge Mutter auf Twitter attestierte: "Solange man zu Alexa und Co nicht ,Bitte‘ und ,Danke‘ sagen muss, kommt mir das Zeug nicht ins Haus. Kinder lernen damit, dass man nur wen anblaffen muss, um etwas zu bekommen." Einer antwortete: "Ich werde niemals zu einer Maschine bitte sagen." Es war wahrscheinlich der einzige Mensch auf der ganzen Welt, der noch nie "Bitte nicht abstürzen, Computer!" gefleht hat. Respekt ist manchmal auch sehr situationselastisch.