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Sein Ehrgeiz und sein Tatendrang kennen keine Grenzen. Mit dem spanischen Gesetzbuch unter dem Arm zieht der Madrider Untersuchungsrichter Baltasar Garzon gegen Ex-Diktatoren in Lateinamerika zu
Felde. Vor einem Jahr ließ er Chiles früheren Militärherrscher Augusto Pinochet in London festnehmen. Nun will er auch 98 argentinische Militär, darunter die früheren Juntachefs Jorge Videla und
Leopoldo Galtieri, vor Gericht stellen.
In Spanien ist der 44-Jährige nicht nur der bekannteste, sondern auch der umstrittenste Richter. Die einen halten ihn für einen unbestechlichen Ermittler, der vor niemandem zurückschreckt. Bei seinem
Amtsantritt 1988 blies Garzon zur Jagd auf die Barone der Drogenmafia und auf korrupte Politiker. Der Bauernsohn aus Andalusien, der sich sein Jura-Studium mit Ferienjobs als Maurer und Kellner
verdient hatte, stieg rasch zum "König Baltasar der spanischen Justiz" auf und wurde populär wie ein Fußballstar.
Die Gegner werfen dem Richter vor, sich von Eitelkeit und zuweilen gar von Rachegelüsten leiten zu lassen. Garzon wird nachgesagt, sich vornehmlich um spektakuläre Fälle zu kümmern, die Schlagzeilen
versprechen. Auch sein Vorgehen gegen Spaniens Ex-Regierungschef Felipe Gonzalez, dem er illegale Praktiken bei der Bekämpfung baskischer Terroristen zur Last legte, brachte ihm Kritik ein. Garzon
hatte nämlich als Staatssekretär selbst der Regierung angehört, sich aber aus der Politik verabschiedet, angeblich weil Gonzalez ihm einen Ministerposten vorenthielt.
Mit den Haftbefehlen gegen Pinochet und gegen die argentinischen Ex-Diktatoren gewinnt Garzon bei der Linken verlorenen Kredit zurück. Er füllt gewissermaßen die Lücke, die sich in der
internationalen Rechtsprechung durch das Fehlen eines weltweiten Tribunals auftut. Allerdings werden die Haftbefehle gegen die Ex-Juntachefs kaum konkrete Auswirkungen haben. Argentinien wird sie
nicht vollstrecken und die 98 Militärs nicht an Spanien ausliefern. Immerhin werden die Ex-Diktatoren und ihre Folterknechte in ihrem Land "gefangen bleiben": Sie werden Argentinien möglicherweise
bis an ihr Lebensende nicht mehr verlassen können, wenn sie nicht riskieren wollen, dass es ihnen ähnlich ergeht wie Pinochet.
In Lateinamerika werden Garzons Ermittlungen vielfach als Einmischung verstanden. In Argentinien kommt noch hinzu, dass die Ex- Juntachefs · anders als Pinochet in Chile · bereits in ihrer Heimat
abgeurteilt, später aber von Präsident Carlos Menem begnadigt worden waren. Viele Argentinier und Chilenen stoßen sich zudem daran, dass ausgerechnet die Justiz der ehemaligen Kolonialmacht Spanien
in Lateinamerika Vergangenheitsbewältigung betreibt.
Dabei hatten die Spanier selbst wegen der Franco-Diktatur (1939 - 1975) niemanden vor Gericht gestellt. "Was würden wir wohl sagen, wenn ein ausländischer Richter bei uns wegen der Folterungen
während des Franco-Regimes Anklage gegen die Verantwortlichen erheben würde?" fragt die Madrider Zeitung "El Pais".