Will Romney Obama bezwingen, führt kein Weg am "Sunshine State" vorbei.
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Miami. Kubanische Musik dringt dezent aus einem der bunten einstöckigen Häuser. Im Viertel herrscht Ruhe. Hie und da kreuzen Frauen die Straße auf dem Weg zur "Carniceria", zum Fleischhauer - gehen vorbei an vier älteren Kubanern, die es sich in ihren Stühlen auf dem Gehsteig gemütlich gemacht haben. Der Stadtteil Little Havana in Miami ist dem US-Wahlkampf, was dem Hurrikan sein Auge ist. Stille, während alles rundherum in Aufregung tost und tobt. Stille dort, wo das Zentrum des Ereignisses ist.
Florida ist entscheidend im Rennen um das Weiße Haus. Es sind prinzipiell nur eine Handvoll Bundesstaaten, die im US-Präsidentschaftswahlkampf technisch eine Rolle spielen. In den meisten steht entweder schon vorher fest, wer gewinnen wird, oder sie sind zu unbedeutend, oder beides. Anders ist es bei den sogenannten Swing States. Sie gehen mal an die Demokraten, mal an die Republikaner und haben dabei noch eine gehörige Anzahl an Wahlmännern zu bieten, also jenen Repräsentanten, die ganz formell den Präsidenten wählen.
Pennsylvania gehört dazu mit 20 Wahlmännern; Ohio ist auch so ein Swing State und hat 18. Der größte unter ihnen ist allerdings Florida. Da geht es um 29 Wahlmänner. Barack Obama hat der Sunshine State 2008 den Sieg beschert. Wie knapp und wie entscheidend es hier zugeht, hat im Jahr 2000 der Sieg von George W. Bush gezeigt: 537 Stimmen erhielt er mehr als sein Rivale Al Gore, kassierte die damals noch 25 Wahlmänner und gewann die Präsidentenwahl mit nur einer Stimme Mehrheit 271 zu 270.
Auch dieses Mal verspricht die Wahl zwischen dem demokratischen Präsidenten Barack Obama und seinem republikanischen Herausforderer Mitt Romney äußerst knapp auszugehen.
Im ersten Stock eines zweistöckigen Hauses an der ersten Straße in Miami sitzt Alfredo Fuentes, Kampagnenleiter der Demokraten in Little Havana. Der smarte Enddreißiger ist vor Euphorie kaum zu bremsen: "Die Häuser, die in der Calle Ocho Werbung für Mitt Romney machen, kannst du an einer Hand abzählen." Calle Ocho, die achte Straße, ist die Hauptstraße in Little Havana, gespickt mit Geschäften, Restaurants und Zigarrenhändlern. Da in den USA Wahlwerbung an öffentlichen Plätzen verboten ist, bitten die Wahlkämpfer Privatleute, Werbung für ihren Kandidaten zu machen, indem sie dessen Poster hinter ihre Fensterscheibe geben. Besonders beliebt sind die Auslagen von Geschäften. An der Anzahl der Werbungen kann man ein wenig die Stimmung in der Gegend ablesen. Dass hier in der kubanischen Hochburg Obama voran sein soll, überrascht. Immerhin sind die Kubaner stets Garanten für republikanische Stimmen gewesen. Dem Kommunismus in ihrem Land entflohen, suchen die meisten von ihnen das andere Ende des politischen Spektrums.
Latinos haben mehr Macht denn je
"Ursprünglich habe ich Angst gehabt, dass ich hier als Demokrat alleine auf weiter Flur unter lauter Republikanern sein werde", sagt Fuentes. Doch es sei anders gekommen, als erwartet. Bis Ende der 90er strikt kubanisch und republikanisch, leben in Little Havana inzwischen nicht mehr nur Kubaner. Latinos aller Art hätten sich hier angesiedelt und die wählen grundsätzlich lieber demokratisch. Doch auch die Kubaner seien inzwischen demokratisch eingeschworen, ist Fuentes überzeugt. Die Statistik spricht allerdings eine andere Sprache: 57,1 Prozent der kubanischstämmigen Amerikaner in Florida wollen letzten Umfragen zufolge Romney ihre Stimme geben. Bei den restlichen Latinos steht es hingegen 64 zu 33 für Obama.
"Noch nie haben die Latinos bei einer Wahl so viel Macht gehabt wie heuer", erklärt Eduardo Gamarra, Professor für Politikwissenschaft an der Florida International University. Knapp ein Viertel der floridianischen Bevölkerung stellend, können sie das Zünglein an der Waage in diesem knappen Rennen sein und letztlich bestimmen, wer ab nächstem Jahr im Weißen Haus sitzt. 201 zu 206 steht es für Romney bei den Wahlmännern, hat das Meinungsforschungsunternehmen Realclearpolitics errechnet, 131 (aus insgesamt zehn Staaten) sind noch im Spiel, darunter Florida, wo einander Romney und Obama ein knappes Rennen liefern.
Letzten Umfragen zufolge führt der Republikaner mit 48,7 Prozent der Stimmen gegenüber dem Demokraten mit 46,6 Prozent. Zeitweise hatte der Staat sogar leicht zu Obama hin tendiert, doch dann kam die fatale erste TV-Debatte des Präsidenten. Buchstäblich über Nacht brach Obama in den Umfragen ein. Allein dieser Schwenk zeigt, wie unbeständig die Stimmung ist. "Letztes Mal habe ich Obama gewählt, doch dieses Mal gehe ich gar nicht erst zur Wahl", sagt Wendy Petit, Taxifahrer in Miami. So wie er haben 97 Prozent der Afroamerikaner letztes Mal für Obama gestimmt. Nun droht er auch hier an Boden zu verlieren. Nicht, dass er etwas falsch gemacht hätte: "Ich weiß schon, dass er für vieles, das nicht geklappt hat, nichts dafürkann", sagt Petit. Romney würde er schon gar nicht wählen, doch die Motivation ist dahin, die Aufbruchstimmung von vor vier Jahren verflogen.
Den Demokraten treu - Floridas jüdische Wähler
Florida bildet sehr gut die Gesellschaft der USA ab: Es gibt große Städte und Landwirtschaft, Afroamerikaner und Latinos, lediglich bei den Alten gibt es überdurchschnittlich mehr als im Rest der USA. Eine besonders wichtige Gruppe stellen jüdische Wähler dar. Zwar stellen sie lediglich 3,4 Prozent der Bevölkerung Floridas, zeichnen sich aber seit jeher durch eine hohe Wahlbeteiligung aus. Traditionell halten sie den demokratischen Kandidaten die Stange. 78 Prozent wählten im Jahr 2000 Al Gore, 76 Prozent im Jahr 2004 John Kerry und ebenfalls 76 Prozent bei der letzten Wahl Obama. Doch auch hier beginnt die Front des Präsidenten zu bröckeln. Der letzten Umfrage zufolge ist sein Wert bereits unter 70 Prozent gerutscht.
Schon bei der letzten Wahl hatte die Kabarettistin und überzeugte Demokratin Sarah Silverman Juden aus ganz Amerika aufgerufen, ihre Großeltern in Florida zu besuchen, um sie davon zu überzeugen, doch Obama zu wählen. Sollten die Enkel von Unternehmer Weinerman aus Miami Beach Silvermans Aufruf gefolgt sein, so ist ihnen der Umstimmungsversuch nicht geglückt. Der 84-Jährige hat sich erfolgreich in 1001 Geschäftssparten betätigt: Petrochemie, Microchips, Gold. Auch heute noch ist er der Vorstand eines Bankenkonsortiums. "Ich war nie ein Experte in all diesen Geschäftsfeldern, aber ich habe ein Händchen dafür, mir immer die besten Mitarbeiter auszusuchen. Deshalb war ich so erfolgreich", erklärt er. Auch ein Teamchef sei immer nur so erfolgreich wie seine Spieler und ebenso verhalte es sich bei der Wahl. "Obama hat doch keine Ahnung und keine Erfahrung. Romney hingegen weiß, wie man ein Unternehmen führt, und genau so jemanden brauchen wir als Präsidenten", ist er überzeugt.
Historisch gesehen ist Florida für Romney ein Staat, den er gewinnen muss: In den letzten 90 Jahren ist nie ein Republikaner Präsident geworden, wenn er nicht im Sunshine State und Pensionisten-Paradies gewonnen hat. Und auch unter Demokraten ist es seit 1960 lediglich Bill Clinton gelungen, ohne den Sunshine State Präsident zu werden. Analysten, die sehen, dass sich die Stimmung gegen Obama wendet, rechnen sich inzwischen krumm, wie Obama das clintonsche Kunststück ebenfalls gelingen kann, auch ohne Florida doch noch Präsident zu werden. Aktuelle Überlegung: Er müsste in den vier weiteren Schlüsselstaaten Wisconsin (10 Wahlmänner), Ohio (18), Iowa und Nevada (je 6) punkten. Die ersten zwei sind ein Muss; verliert er Iowa oder Nevada müsste er die Niederlage mit anderen Staaten wettmachen; beide, Nevada und Iowa zu verlieren, könnte er sich nicht erlauben, geht die Rechnung weiter und so fort.
Die vier Kubaner auf der Straße in Little Havana kümmert das unterdessen wenig. "Einer wird schon gewinnen", sagt einer von ihnen und genießt wieder Ruhe und Sonne.