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Die Ottensheimer zeigen vor, wie Flüchtlingshilfe geht. Eine Reportage aus dem oberösterreichischen Containerdorf.
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Ottensheim. Seit Montag leben 75 Flüchtlinge in Containern im oberösterreichischen Ottensheim. Die Bewohner organisieren Deutschkurse, sammeln Spenden und organisieren Ausflüge.
Eine Gruppe Kinder flitzt auf Fahrrädern über den asphaltierten Hof. Eine Frau aus der Nachbarschaft bringt ein Blech Kuchen und stellt ihn auf den Plastiktisch beim Hofeingang. Ein kleiner Bub beäugt kritisch die grünen Stückchen im Zucchini-Kuchen. Ein fragender Blick zum Vater. Der nickt: Ja, das kann man essen.
Vor wenigen Stunden erst sind die Flüchtlinge in das Containerdorf in Ottensheim, Oberösterreich, eingezogen. Anstatt Schneepflügen stehen nun 30 Container im Hof der ehemaligen Straßenmeisterei. Und dank der gespendeten Fahrräder fühlen sich zumindest die Kinder schon zuhause. Immer wieder kommen auch Menschen aus dem Ort, bringen Kuchen oder kommen einfach zum Plaudern - in einer Mischung aus Englisch, Deutsch, Arabisch, im Notfall mit Händen und Füßen. In der Fahrradwerkstatt, die in einem Nebengebäude eingerichtet ist, reparieren Flüchtlinge mit Freiwilligen die gespendeten Fahrräder.
Und von diesen Freiwilligen gibt es viele: 160 Menschen stehen mittlerweile auf dem Mailverteiler der Gruppe "Willkommen Ottensheim.at". Gefunden haben sich die Freiwilligen bei einem ersten Infotreffen der Caritas im Juli. Damals gab es noch viele kritische Stimmen in der Bevölkerung: Können dann Frauen noch allein auf die Straße gehen? Wer soll die Container putzen?
Nun sind die Fragen andere: Hat jemand ein Kinderbett für ein neugeborenes Baby? Wie sieht es mit dem Mitgliedsbeitrag für Flüchtlinge in den hiesigen Vereinen aus? Und könnte schnell jemand mit einem Akkuschrauber im Containerdorf vorbeischauen?
Mittlerweile haben sich Arbeitsgruppen gebildet: Die Arbeitsgruppe Kultur organisiert ein Willkommensfest, die AG Sachspenden koordiniert Spenden. Am allerwichtigsten sind den Bewohnern aber die Deutschstunden, sagt Susanne Possegga, eine ehrenamtliche Helferin. "Am besten jeden Tag und mehrere Stunden. Viele von den Flüchtlingen sind Akademiker und Studenten und lernen unglaublich schnell." Der Deutschunterricht erfolgt nach einem vorgegebenen Skript in Kleingruppen. Auf einen Ottensheimer Deutschlehrer kommen zwei bis drei Flüchtlinge.
Possegga hat sich vom ersten Treffen an bei "Willkommen Ottensheim.at" engagiert. "Erstens geht es darum, persönlich zu helfen und selbst ein Zeichen zu setzen", sagt sie. "Aber zweitens haben wir auch gar keine Wahl: Die Menschen kommen zu uns, was sollen wir denn machen?" "Einfach einmal menschlich sein", fügt Franz Wielend, der ebenfalls im Kernteam engagiert ist, hinzu.
Ohne Ehrenamtliche wie Possegga und Wielend sähe die Versorgung der Flüchtlinge ganz anders aus, sagt Bürgermeisterin Ulrike Böker (Bürgerliste Pro-O). Denn vom Land Oberösterreich kommt nicht immer Unterstützung. Böker setzte sich schon länger dafür ein, dass die Straßenmeisterei zur Flüchtlingsunterkunft umfunktioniert werde. "Das Land hat aber dann ein bisschen gebraucht, sich mit seiner eigenen Liegenschaft zu beschäftigen", kritisiert sie.
Dass dann gleich 75 Flüchtlinge auf dem Gelände einziehen sollten und das Land dazu Container zur Verfügung stellen sollte, wurde - für Böker überraschend - im Juli entschieden. "Das ist schon schwierig: 75 Personen auf so einem kleinen Gelände - egal woher sie kommen."
Der Ottensheimer Architekt Klaus Hagenauer beschäftigt sich damit, wie dieses Zusammenleben aussehen kann, wie "Dorfcharakter" erzeugt werden könnte. Die Container sollten Vordächer bekommen. Zusammengesetzte Container sollten Familien größeren Wohnraum bringen.
Geliefert wurden die Container dann allerdings so, dass Letzteres nicht funktioniert. Betten sollen in zwei bis drei Wochen geliefert werden. Inzwischen ist das Rote Kreuz mit Feldbetten eingesprungen. Ein Kinderbett für das Baby gibt es nicht. "Ich hoffe, dass wenigstens der Sanitärbereich bis zum Abend fertig ist", sagt Hagenauer. Von den Vordächern redet er erst gar nicht mehr.
In der Fahrradwerkstätte wird inzwischen weiter mit Händen und Füßen über Reifen und Öl diskutiert. Und endlich wird auch ein Kinderbettchen für das Baby organisiert. "Wir schaffen das", ist Böker überzeugt.