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Europa, genauer gesagt der EU - oder noch konkreter: den Vertretern der 28 EU-Staaten - fällt ein Stein vom Herzen, so groß, dass man die Erleichterung noch im Rest der Welt spüren kann: Das kleine Belgien, also drei autonome Regionen samt Zentrale, hat sich buchstäblich
5 Minuten nach 12 durchringen können, dem Ansehen der EU eine Blamage von Rang zu ersparen, indem es dem Freihandelsabkommen mit Kanada seinen Segen erteilt (es sei denn, es tun sich jetzt noch weitere Hürden auf).
So kommentieren es die EU-Oberen und Regierungschefs, so bewerten es die Kommentatoren.
Und genau diese Sichtweise ist ein mindestens so großes Problem wie das Chaos um die europäische Unterschrift unter das Ceta-Abkommen.
Europa ist in den Köpfen seiner eifrigsten Befürworter und Motoren bereits sehr viel weiter integriert als in der politischen Realität. Wir haben uns daran gewöhnt, dass Widerstand weniger oder einzelner Mitgliedstaaten gegen die Vorhaben einer Mehrheit mit mehr oder weniger sanftem Druck beseitigt wird. Meist durchaus unter dem Beifall der öffentlichen und veröffentlichten Meinung.
Dafür hat es in fast jedem Einzelfall gute, manchmal sogar sehr gute Gründe gegeben, zumal die EU einem demokratiepolitischen Fleckerlteppich gleichkommt, wo die Möglichkeiten direkter Mitsprache einem Glücksspiel ähneln. Und trotzdem kommt es einem Offenbarungseid gleich, wenn die Inanspruchnahme verfassungsrechtlich und/oder EU-vertraglich zugesicherter Mitspracherechte als "anti-europäisch" abgewertet wird.
Die Europäische Union ist nicht nur eine Solidar-, sondern auch eine Vertragsgemeinschaft. Dass beide mitunter miteinander in Konflikt geraten - beim Euro, bei den Flüchtlingen und in etlichen weiteren Fällen -, gehört zum Wesen der Union als einer politischen Institution ganz eigener Art. Die Aufgabe konstruktiver Politik muss es sein, diese Gegensätze in eine Win-win-Situation für alle zu übertragen - und wenn das nicht möglich sein sollte, dann eben auf das geringstmögliche Übel für alle hinzuarbeiten.
Europa ist kompliziert, und wem das als Politiker zu mühsam sein sollte, der kann sich ja jederzeit ein anderes Betätigungsfeld aussuchen, zumal sich das auf absehbare Zeit nicht ändern wird.
Es war noch nie die Aufgabe von Politik, den Politikern ihre Arbeit zu erleichtern.