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Eingeschlafene Wirtschaft wartet, wachgeküsst zu werden

Von WZ-Korrespondent Christian Wehrschütz

Wirtschaft

Entgegen der Erwartung der Politiker erfasste die Krise auch Serbien.


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Belgrad. Als im Jahre 2008 die Finanz- und Eurokrise ausbrach und dann auch in eine Wirtschaftskrise in Europa mündete, verkannte die serbische Führung in Belgrad offensichtlich den Ernst der Lage. Serbien wurde zunächst von der Finanzkrise durch eine bessere Kapitalausstattung seiner Banken nicht so stark getroffen und war und ist natürlich in das internationale Finanzsystem noch weit weniger integriert. Staatspräsident Boris Tadic und der damalige Wirtschaftsminister Mladjan Dinkic verkauften die Krise als große Chance, die es nur zu nützen gelte, damit Serbien sogar gestärkt aus der Krise hervorgehen könne.

Vier Jahre später sieht die Lage anders aus. Statt der im Wahlkampf vor vier Jahren versprochenen zusätzlichen 200.000 Arbeitsplätze gingen in Serbien offiziell 250.000 Arbeitsplätze verloren; rechnet man Landwirtschaft und Schattenwirtschaft dazu, dürften es sogar etwa 400.000 sein. Die Arbeitslosenrate stieg von 15 auf 24 Prozent.

Niedrige Einkommen

locken Investoren

Serbien hat im Jahre 2012 noch nicht die Wirtschaftsleistung des Jahres 2008 erreicht, das war das letzte Jahr vor der Krise. Die Verschuldung stieg um sechs Milliarden Euro, wobei das Geld vor allem in Pensionen und in Gehälter für den öffentlichen Sektor gesteckt wurde, der noch immer nicht wirklich reformiert ist.

Die Einkommen der Bevölkerung dürften um 20 Prozent gesunken sein, der Durchschnittslohn liegt bei 350 Euro netto, während die Lebenshaltungskosten drastisch gestiegen sind. Der Preis für einen Liter Eurodiesel hat sich binnen vier Jahren mehr als verdoppelt und liegt nun bei 1,4 Euro.

Besser geschlagen als so mancher Nachbarstaat hat sich Serbien bei den ausländischen Direktinvestitionen. Das Vorzeigeprojekt der Regierung heißt Fiat in Kragujevac, der viertgrößten Stadt des Landes. Etwa 2500 Personen werden in der neuen Fabrik des italienischen Automobilherstellers wieder beschäftigt, und die Serienproduktion soll in einigen Monaten anlaufen. Endziel ist eine Produktion von 200.000 Autos pro Jahr, doch dazu muss noch die gesamte Infrastruktur der Stadt modernisiert werden. Gleichzeitig zeigt Fiat aber auch eine Strukturschwäche Serbiens auf, denn die Autobleche müssen importiert werden, weil das lokale Stahlwerk in Smederevo die entsprechende Qualität nicht liefern kann.

Das Werk mit seinen 5000 Beschäftigten führt derzeit die Regierung, weil sich US-Steel vor einigen Monaten auch wegen des Einbruchs bi den Weltmarktpreisen für Stahl zurückgezogen hat. Wie groß die Konkurrenz aus Asien ist, zeigt der Umstand, dass der Stahl für die neue Brücke in Belgrad aus China noch immer billiger importierte wurde als er in Smedervo hätte geliefert werden können.

Für Investitionen in Serbien gibt es drei Gründe. Erstens die niedrigen Löhne, sprich die Rolle Serbiens als verlängerte Werkbank. Diesen Umstand wird auch der Tiroler Kristallkonzern Swarovski nutzen, der im kommenden Jahr im Grenzgebiet zu Ungarn mit dem Bau einer Fabrik beginnen wird.

Großes Potenzial durch Nachholbedarf Serbiens

Zweitens verfügt Serbien trotz aller Probleme im Bildungswesen bei technischen Berufen über gut ausgebildete Arbeitskräfte. Studenten der Elektrotechnischen Fakultät in Belgrad sind begehrt. Etwa 40 beschäftigt beispielsweise die österreichische Firma Teletrader, die Software zur Analyse und Darstellung von Finanzdaten entwickeln, die auch Börsenmakler in Frankfurt nutzen.

Drittens ist der Nachholbedarf in Serbien noch immer groß. In Belgrad wurde nach mehr als 30 Jahren nun eine neue Brücke gebaut, die serbische Hauptstadt hat noch keine wirkliche Kläranlage und Umweltschutz, Mülltrennung und Abfallwirtschaft werden auf dem Weg Richtung EU immer wichtiger werden. Hinzu kommt, dass in Serbien Großprojekte politisch noch viel leichter durchsetzbar sind als etwa in Österreich oder Deutschland. Generell wurde die Infrastruktur in den vergangenen vier Jahren verbessert, doch die Modernisierung dauert viel länger als etwa im Nachbarland Kroatien.

Auf dem Weg zu einem modernen Staat hat Serbien, abgesehen von Bürokratie, Korruption und schlechter Gerichtsbarkeit, mit drei Hauptproblemen zu kämpfen: der wirtschaftlichen Erblast von Slobodan Milosevic, in dessen Zeit ganze Industriezweige verschwanden (Textil, Schuhe). Hinzu kommt eine ungünstige Bevölkerungsstruktur - auf 1,7 Millionen Beschäftigte kommen bereits etwa gleich viel Pensionisten - und mit einem Durchschnittsalter von 41,4 Jahren hat Serbien die fünfälteste Bevölkerungen in Europa. Tendenz steigend.

So ist nach vorläufigen Ergebnissen der Volkszählung von 2011 die Bevölkerung von 7,5 auf unter 7,3 Millionen gesunken, und das verheißt mittel- und langfristig auch für den Arbeitsmarkt nichts Gutes.