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"Eingriff in den Markt ist aus unserer Sicht das schlechteste Mittel"

Von Marina Delcheva und Thomas Seifert

Wirtschaft

Der Verbund-Vorstandsvorsitzende über Verwerfungen am Energiemarkt, staatliche Eingriffe und fehlende Kohle.


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Normalerweise sind üppige Gewinne für jedes Unternehmen ein Grund zur Freude. Aber heuer ist das etwas anders. Ein Gespräch mit Verbund-Chef Michael Strugl, dem Präsidenten von "Oesterreichs Energie", über die aktuelle Gaskrise, hohe Strompreise, den Ausbau der Erneuerbaren, ein Kohlekraftwerk, das eigentlich niemand haben will, und Ökostrom zum Nulltarif - theoretisch.

"Wiener Zeitung": Die Tonlage der deutschen Bundesregierung schraubt sich langsam von Besorgnis zu Panik hoch. In Österreich gibt man sich in Regierungskreisen entspannter. Auf welchem Panik- Level sind Sie eigentlich?

Michael Strugl: Also auf einem Panik-Level würde ich mich nicht sehen, aber wir sind sehr konzentriert und nehmen die Situation sehr ernst.

Welche Vorbereitungen für einen Gaslieferstopp werden getroffen?

Unsere Aufgabe ist es, die Versorgungssicherheit bei Strom für Österreich zu gewährleisten. Das ist ein Zusammenwirken aller Akteure im System. Dafür gibt es auch entsprechende engmaschige Sicherheitsnetze, insbesondere, wenn es darum geht, Vorsorge gegen Blackouts und Störfälle zu treffen. Dann haben vor allem die Netzbetreiber sehr gut geübte Prozesse, wie sie relativ schnell solche Situationen beherrschen können. Die ungeplanten Stromunterbrechungen in Österreich belaufen sich statistisch auf 27 Minuten pro Jahr - das Jahr hat 8.760 Stunden. Was wir jetzt erleben, ist eine Gas-Versorgungskrise. Daher arbeiten wir mit der Gaswirtschaft eng zusammen. Eben hatte ich wieder ein Briefing, in dem darüber gesprochen wurde, was sich in Europa tut, wie sieht es mit den Gasflüssen, den Speicherständen aus? Wir sind also über die Lage informiert und informieren unsererseits die Behörden, das Ministerium und die E-Control.

Ihr Betriebsergebnis hat sich im ersten Quartal vervielfacht. Die Gewinnerwartungen für heuer sind
2 Milliarden Euro. Normalerweise ist das ein Grund zum Jubeln. Inwiefern ist das heuer anders?

Energieunternehmen, deren Erzeugerbasis auf Erneuerbaren fußt, sind derzeit Gewinner. Jeder private Windparkbetreiber ist genauso Profiteur von hohen Marktpreisen bei Strom wie ein Wasserkrafterzeuger. Der Gaspreis hat sich verfünffacht, und dieser Gaspreis hat dann auch den Strompreis in die Höhe gezogen. Darüber wird sich wohl niemand in Europa freuen, das ist klar. Die andere Frage ist freilich: Was macht ein Unternehmen wie der Verbund mit dem Gewinn?

Und was macht der Verbund?

Je höher die Strompreise sind, desto höher sind auch die Steuereinnahmen der Republik. Und die Republik profitiert auch von der Dividenden-Ausschüttung. Sie wissen, wir haben als Vorstand vorgeschlagen, eine Sonder-Dividende auszuschütten. Damit würde die Gesamtdividende insgesamt rund 1,2 Milliarden Euro betragen. Die restlichen 800 Millionen investieren wir in eine Vielzahl von Projekten. Wir haben ungefähr eine Milliarde im Jahr im Investitionsplan. Diese Investitionen sind auch dringend notwendig, um die Klimaziele zu erreichen, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten und um langfristig wieder den Strompreis runter zu bringen. Diese Gewinne ermöglichen uns ein hohes Investitionsvolumen.

Immer mehr Menschen haben Probleme, ihre Stromrechnung zu zahlen. Reicht die Sonderdividende?

Wir leisten mit der Ausschüttung der Sonderdividende einen Beitrag, damit Entlastungsmaßnahmen finanziert werden können. Natürlich braucht es da viel mehr als die Summe, die wir abliefern. Aber wir sind ja nicht das einzige Unternehmen, das Steuern zahlt. Und wir sind nicht das einzige Unternehmen, das Dividenden an die Republik ausschüttet. Eines ist völlig klar: Diese Inflation belastet die Bevölkerung, insbesondere die einkommensschwachen Gruppen. Und daher ist es auch klar, dass sozialpolitische Instrumente gebraucht werden. Es ist eine Aufgabe der Politik, mit sozialpolitischen Mitteln den Bürgerinnen und Bürgern in dieser Frage zu helfen.

Der Grund für die stark steigenden Preise liegt unter anderem am Preisbildungssystem, der sogenannten Merit Order (das letzte zugeschaltete Kraftwerk im Netz, meist Gas, bestimmt den Preis, Anm). Was halten Sie von der Debatte, Gas temporär herauszunehmen?

Das Merit-Order-Preisbildungsmodell im Strommarkt hat in den vergangenen 20 Jahren sehr gut funktioniert, weil sich herausgestellt hat, dass im Vergleich zu einem amtlich regulierten Preis der Strompreis für den Konsumenten sinkt. Die Unternehmen müssen im Wettbewerbsmarkt effizienter und damit konkurrenzfähiger werden und können damit auch den Strom günstiger anbieten. Die Merit-Order-Logik begünstigt die erneuerbare Erzeugung, weil sie günstiger ist als die Erzeugung aus fossilen Energieträgern. Damit gibt es ein Preissignal, das Investoren ermuntert, in diese Technologien zu investieren. Nun gibt es aber aufgrund des Gaspreisschocks enorme Verwerfungen. Auf europäischer Ebene hieß es nun, man wolle sich das Preisbildungsmodell noch einmal ansehen. Pricecaps, Steuern auf Windfall-Profits - all das steht zur Diskussion. Ein Eingriff in den Markt ist aus unserer Sicht das schlechteste Mittel der Wahl, daher lehnen wir das auch ab. Denn die Preissignale sind ja die richtigen. Es lohnt sich, mehr in Erneuerbare zu investieren. Der Schönheitsfehler ist im Moment, dass auch erneuerbarer Strom aufgrund des Gaspreises viel kostet. Das muss man nun mit anderen Instrumenten kompensieren.

Könnten Sie bitte etwas ins Detail gehen?

Ich denke an sozialpolitische Instrumente. Die Regierung hat die Ökostrompauschale und die Ökostromabgabe ausgesetzt. Sie hat die Energieabgabe und die Erdgasabgabe auf das Minimum, das die EU zulässt, reduziert. Sie hat einen Energiekostenausgleich, den Teuerungsausgleich beschlossen jetzt und noch ein weiteres Paket vorgelegt. Für die Industrie wurde eine Strompreis-Kompensation beschlossen.

Ein Vergleich mit der Pandemie: Zu Beginn haben die Produzenten von Hygienemasken enorme Gewinne erzielt. Doch dann hat es immer mehr Hersteller gegeben, die angefangen haben, Masken zu produzieren. Warum? Weil sie bemerkt haben, dass es in diesem Markt Opportunitäten gibt. Und schlagartig ist der Preis der Masken gesunken. Pharmafirmen haben sehr viel Geld in die Erforschung von Impfstoffen gesteckt. Wenn die das Signal bekommen würden, dass die Gewinne abgeschöpft werden, dann sind die Anreize, in derartige Forschung zu investieren, geringer. Es gibt eben Situationen, wo man viel verdient, und es gibt Situationen, wo man wenig verdient. Das nennt man unternehmerisches Risiko. Es gab auch schon Zeiten, in denen der Strompreis unter 20 Euro pro Megawattstunde gesunken ist. Hat da jemand gefragt, wie man den Unternehmen der Energiewirtschaft helfen könnte? Denn damals haben sehr viele den Strom unter ihren Gestehungskosten verkaufen müssen.

Der ehemalige OMV-Chef Gerhard Roiss hat in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin "profil" angeregt, der Verbund solle einen Versorgungsauftrag beim Gas bekommen und die Versorgungssicherheit garantieren. Was halten Sie davon?

In unserer Strategie kommen solche Überlegungen nicht vor. Unser Fokus ist die erneuerbare Energiezukunft - von der Stromerzeugung über den Transport, die Speicherung bis hin zu Handel und Vertrieb, ergänzt um Energie-Innovationen wie grünen Wasserstoff.

Ihr Vorgänger hat das letzte Stück Kohle aus dem Kraftwerk in Mellach dem Museum übergeben. Jetzt muss dieses Kohlekraftwerk unter Umständen wieder reaktiviert werden. Wie sieht der Zeitplan aus? Und wo soll die Kohle herkommen?

Unser Team in Mellach arbeitet sehr intensiv an diesen Fragen. Wir denken, dass die technischen Arbeiten am Kraftwerk bis Mitte November machbar sind. Das Kraftwerk wurde 2020 auf Gas umgerüstet und ist derzeit ja stillgelegt. Nun müssen wir eine völlig neue Mannschaft aufstellen, da geht es um 40 bis 50 Leute, die wir erst rekrutieren müssen. Wir müssen entweder Leute aus der Pension, aus der Altersteilzeit zurückholen oder am Arbeitsmarkt suchen. Jeder, der den Arbeitsmarkt heute ein wenig kennt, weiß, wie schwer es ist, 40 bis 50 Leute, die in der Lage sind, ein Kraftwerk zu betreiben, zu bekommen. Parallel müssen die ganzen Genehmigungen noch einmal geprüft werden. Und der größte Unsicherheitsfaktor ist die Verfügbarkeit der Kohle und die Sicherung der Transportkapazität. Derzeit sind am Markt größere Kohlemengen schwer zu bekommen, die Logistik ist ebenfalls eine ziemliche Herausforderung. Wir haben unsere Anfragen bei Lieferanten zwischen Polen und Südafrika gestartet.

Inwieweit haben sich durch den Energieschock Ihre Ausbaupläne verändert?

Wir haben eine Reihe von Hydroprojekten, einige sind schon im Bau, wir entwickeln gerade ein großes Windprojekt in der Steiermark. Wir würden noch mehr machen wollen, wenn es Flächen und Genehmigungen dafür gibt.

Hat sich der Wind - was Genehmigungen und Debatten betrifft - bereits gedreht?

Um das zu illustrieren: Als wir das Gemeinschaftskraftwerk mit der Energie Steiermark in Graz gebaut haben, hat es massivste Proteste gegeben. Jetzt beim Spatenstich in Graz war es dann still. Es gibt Bundesländer, die derzeit massiv pushen, etwa das Burgenland.

Ein weiteres Marktproblem: Stromerzeuger wollen Konsumentinnen und Konsumenten Strom verkaufen. Doch wie bringen Sie Kunden zum Stromsparen?

Wir haben ja viel weniger Strom zur Verfügung, als wir bräuchten. Beim Verbund kommen wir nicht in die Verlegenheit, Strom nicht verkaufen zu können. Wir haben enormen Bedarf in der Industrie, bei der Dekarbonisierung, Elektromobilität, Wärmepumpen, Elektrifizierung von Produktion bis hin zur Erzeugung von Wasserstoff. Es ist also in unserem Interesse, dass Strom von den Haushalten, Betrieben und der Industrie hocheffizient eingesetzt wird. Wir sind sogar durch das Energieeffizienz-Gesetz dazu angehalten, gemeinsam mit unseren Abnehmern dafür zu sorgen, dass Energie-Einsparungen angegangen werden. Und wir bieten auch Modelle an, die dem Bürger die Teilhabe an der Energiewende ermöglichen.

Kritik gibt es an den Einspeisetarifen für Erneuerbare. Diese würden den Privaten nicht wirklich gute Anreize bieten, Photovoltaik aufs Dach zu montieren.

Diese Kritik verstehe ich. Deshalb verändern wir unsere Einspeisetarife jetzt massiv - wobei man sagen muss, den attraktivsten hat die ÖMAG - die Abwicklungsstelle für Ökostrom. Da kommt auch derzeit keiner mit. Aber wir sind gerade in der Umsetzung der Anhebung der Einspeisetarife.

Und was die Abnahmemengen betrifft?

Das hängt auch immer vom Netz ab - daher sind das Themen für die Netzbetreiber.

Ein wichtiges Thema: Wie sieht es denn beim dringend notwendigen Netzausbau aus?

Es ist wohl Konsens, dass wir die Netze ausbauen wollen und müssen. Dazu braucht man aber Voraussetzungen. Es gibt einen Netz-Entwicklungsplan, basierend auf der europäischen Planung, dem sogenannten Ten Years Net Development Plan. Der wird alle zwei Jahre evaluiert und angepasst.

Wo liegen die Stolpersteine?

In den Genehmigungsverfahren. Und man braucht dazu die entsprechenden regulatorischen Rahmenbedingungen, vor allem eine faire Verzinsung auf das eingesetzte Kapital.

Zurück zur Merit Order: Wenn unser Strom zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energiequellen kommt und diese keine Grenzkosten haben, also vorrangig eingespeist werden, dann kommt dieser Strom ja eines Tages zum Nulltarif aus der Steckdose.

Theoretisch, ja.

Und in der Praxis?

Hat es noch nirgends so funktioniert.

Arbeiten Sie da nicht gegen Ihr Geschäftsmodell?

Das ist ja der Grund, warum es nicht funktionieren würde. Denn stellen Sie sich vor, man verdient nichts mehr mit Erzeugungsanlagen. Würden Sie dann jemanden finden, der in neue oder bestehende Anlagen investiert? Zudem: Welche Energiequelle schultert die Grundlast? Ich hätte dann ja nur Wasser, Wind, Sonne und Biomasse. In Österreich könnte Wasser die Grundlast zum Teil abdecken, aber im Jänner würde das auch nicht funktionieren. Wir müssten also so viel Überkapazität installieren, damit wir auch im Jänner durchkommen - das ist weder sinnvoll noch realisierbar.

Wie sieht es mit Pumpspeicherkraftwerken aus oder anderen Speichertechnologien?

Wir haben in Österreich sicherlich die besten topografischen Voraussetzungen für Speicherkraftwerke. Um die Energiewende schaffen zu können, ist es auch wirklich notwendig, Speicherprojekte massiv auszubauen. Speicherkraftwerke allein werden aber nicht reichen. Ich sehe derzeit kein Szenario, wo diese Fiktion funktioniert. Man wird das also europäisch denken müssen. Wenn Strom am Markt fehlt, dann importiere ich. Je mehr erneuerbare Erzeugung wir haben, umso besser.

Da kann es auch in der Solar-Mittagsspitze eines Tages negative Strompreise geben. Für den Fall, dass Importe nicht möglich sind, werden wir aber auch in Zukunft thermische Kraftwerke vorhalten müssen.

Was halten Sie von der Aussage: Was Greta Thunberg in puncto Energiewende nicht geschafft hat, erledigt jetzt Wladimir Putin?

Na ja, niemand wünscht sich, dass man einen Krieg braucht, der so viel Leidensdruck erzeugt, dass man endlich in die Gänge kommt. Der Klimawandel wäre eigentlich schon Druck genug.

Michael Strugl ist Vorstandsvorsitzender der teilstaatlichen Verbund AG und Präsident des Interessenverbands "Oesterreichs Energie".