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Einhebbare statt gerechte Steuern

Von Erich W. Streissler

Gastkommentare

Wer in einer hochentwickelten Wirtschaft - wissend, worum es geht - Spekulation verurteilt, ist nicht einmal als Säulenheiliger lebensfähig.


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Ich hatte einen Albtraum. Ich sah eine große Schar inbrünstig Betender: Zyprioten orthodox betend, Malteser und Liechtensteiner katholisch, Einwohner der Isle of Man, der Inseln Jersey und Guernsey protestantisch, Schweizer bikonfessionell und viele andere, darunter prominent die Cayman Insulaner, in nicht näher ausmachbarem Ritus.

Und worum beteten sie so inbrünstig? Es geschehe, dass Österreich, zum Vorteil der Betenden, eine Vermögenszuwachsabgabe einführen möge! Vor einer solchen "Spekulantensteuer" hat Erhard Fürst in einem Gastkommentar in der "Wiener Zeitung" am 19. Juni 2008 gewarnt, meines Erachtens jedoch zu zurückhaltend.

Wer in einer hochentwickelten Wirtschaft - wissend, worum es geht - Spekulation verurteilt, ist nicht einmal als Säulenheiliger lebensfähig: Denn auch der Säulenheilige spekuliert darauf, dass ihn andere erhalten werden. Im engeren Sinn ist Spekulation der Versuch, wirtschaftliche Vorteile aus zukünftigen Preisänderungen zu erzielen. Und da Preise sich laufend ändern und hochentwickelte Wirtschaften zukunftsbezogen operieren, sind in ihnen neun Zehntel aller Wirtschaftsentscheidungen Spekulationen.

Zentral sind Spekulationen bei internationalen Kapitalbewegungen. Freier internationaler Kapitalverkehr ist seit dem 1. Juli 1990 von Österreich akzeptiertes materielles EU-Verfassungsrecht. Auch kleine Prozentsätze von "Spekulationsabgaben" kumulieren bei Finanztransaktionen und kumulieren auf alle Fälle im Bankgeschäft. Internationale Finanztransaktionen beruhen vielfach auf pro Einheit winzigen Ertragsunterschieden, die erst in der großen Summe ins Gewicht fallen, die jedoch selbst durch kleinste Steuersätze empfindlich getroffen werden.

Schon jetzt läuft mindestens ein Drittel(!) aller Finanzvermögensveranlagungen über die in meinem Traum beispielhaft erschienenen Steueroasen, die heute noch dazu lebhafte Internet-Werbung betreiben.

Österreichs Banken, die massenhaft über Auslandstöchter verfügen und obendrein zu erheblichem Prozentsatz im Auslandseigentum stehen, können unschwer Aktivitäten, die in Österreich einer speziellen Steuer unterliegen, ins Ausland verlagern. Da sie auch viele andere Steuern zahlen, ist eine Vermögenszuwachsabgabe nur ein probates Mittel, um die Steuereinnahmen insgesamt zu reduzieren!

Im Steuerwettbewerb globalisierter Wirtschaften kann es nie um abstrakte Steuergerechtigkeit gehen, sondern nur um tatsächlich einhebbare Steuern: Umsatzsteuern auf häufig gekaufte Waren, Grundsteuern und Steuern für mittlere Einkommensempfänger, die nicht leicht ins Ausland verziehen können.

Kapital flieht vor Steuern - leichtfüßiger als ein Reh. Und selbst die einst so wettbewerbsfähigen österreichischen 25 Prozent werden im internationalen Steuerwettlauf nach unten nunmehr laufend unterboten. Bitte: Keine Träumereien!