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Einheit mit Irak ist nicht gefragt

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Mit dem Tod von Jalal Talabani verstummt eine der letzten kurdischen Stimmen, die um einen Ausgleich mit Bagdad bemüht waren.


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Erbil. Es ist gespenstisch: Der Flughafen der Kurdenmetropole Erbil ist völlig leer. Wo sonst am späten Nachmittag ein Jet nach dem anderen aus aller Welt ankam, herrscht jetzt gähnende Leere. Nur die Maschine aus Bagdad rollt ans Gate, brechend voll mit Reisenden, die in der irakischen Hauptstadt umgestiegen sind, um in den kurdischen Teil des Landes zu gelangen.

Seit fünf Tagen besteht eine Luftraumblockade. Ausländische Fluggesellschaften dürfen auf Anweisung Bagdads die Flughäfen Erbil und Suleimanija nicht mehr anfliegen. Nur innerirakische Flüge sind erlaubt. Grund ist das Referendum über ein von Zentralirak unabhängiges Kurdistan, das von der kurdischen Regionalregierung am 25. September abgehalten wurde und bei dem sich eine Mehrheit der Teilnehmer für einen souveränen Kurdenstaat ausgesprochen hat. Die Regierung in Bagdad akzeptiert dieses Referendum nicht.

In der Ankunftshalle in Erbil erwartet die Fluggäste aus Bagdad ein Meer von kurdischen Fahnen. "Ja zur Unabhängigkeit" steht auf unzähligen Transparenten. Kurdische Unabhängigkeitslieder, die kurdische Hymne und Freiheitsgesänge dröhnen über Lautsprecher durch die Halle. Soll heißen: "Wir trotzen dem Boykott, wir beugen uns nicht."

Auch dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan im Schulterschluss mit Bagdad handelt und die Schließung seiner Grenzen zu Irak-Kurdistan androht, der Iran bereits einen Grenzübergang geschlossen hat, beeindruckt die Kurden im Irak bislang wenig. Dass Erdogan nach Jahren frostiger Beziehungen jetzt nach Teheran reist, um gemeinsame Maßnahmen gegen die Kurden zu verabreden, scheint ebenfalls fast unterzugehen. Denn mitten in die Aufregung um das Referendum platzt die Nachricht vom Tod Jalal Talabanis. Er war 83 Jahre alt und starb in einem Krankenhaus in Berlin.

"Mam Jalal" (Onkel Jalal), wie die Kurden ihren Führer in Suleimanija liebevoll nannten, war lange Jahre der Gegenspieler von Masud Barzani in Erbil. Die beiden Kurdenführer fochten Mitte der 1990er Jahre einen erbitterten Bruderkrieg aus und versöhnten sich schließlich nach dem Sturz Saddam Husseins 2003. Der Aufbau weitgehender Autonomie in den vier Kurdenprovinzen Erbil, Dohuk, Suleimanija und Halabja demonstrierte die Einheit Kurdistans und brachte enormen Einfluss im politischen Geschehen im neuen Irak.

Barzani wurde Präsident der autonomen Region Kurdistan, Talabani ging nach Bagdad und wurde 2005 zum ersten nicht-arabischen Präsidenten Iraks gewählt. Das hat es in der Geschichte des Landes noch nicht gegeben, dass ein Mitglied einer Minderheit - die Kurden bilden etwa 20 Prozent der Einwohner Iraks - ein so hohes Staatsamt bekleidete.

Talabani wurde zu "Mam Jalal", zum "Onkel" aller Iraker. Stets auf Ausgleich bedacht, agierte er bis zu seinem Schlaganfall im Dezember 2012 im Sinne eines geeinten Iraks, in dem unterschiedliche Volksgruppen zusammenleben können. Nach eineinhalb Jahren medizinischer Behandlung in Deutschland kehrte Talabani im Sommer 2014 nach Suleimanija zurück - sichtlich angeschlagen.

In seiner Abwesenheit war der Kampf um seine Nachfolge in seiner Partei Patriotische Union Kurdistans (PUK) voll entbrannt. Zwei Fraktionen bildeten sich heraus. Das wurde auch in den unterschiedlichen Haltungen zum Referendum deutlich.

Die eine Seite stimmte im Einklang mit Barzani für die Volksabstimmung, die andere zweifelte am Zeitpunkt, der ihr nicht angemessen schien. Buchstäblich in letzter Minute forderte die PUK jedoch als Ganzes die Kurden dazu auf, zur Abstimmung zu gehen. Nach dem Tod ihres Führers ist jetzt davon auszugehen, dass die Stimmen, die wie Talabani eine gemäßigtere Haltung forderten, verstummen werden. Dabei wäre das in der jetzigen Situation notwendiger denn je.

"Wir halten an der Unabhängigkeit fest", beharrt der Bruder des Kurdenpräsidenten Masud Barzani, Sihad Barzani, auf der Position der zweiten großen Kurdenpartei, der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP). Beim Empfang des deutschen Generalkonsulats zum Tag der Deutschen Einheit verteidigt der General der Peschmerga, der kurdischen Kampfeinheiten, die Absicht, den Irak zu verlassen und einen eigenen kurdischen Staat zu gründen.

Dass nicht nur Türken und Iraner dem ablehnend begegnen, sondern auch Russland, die USA und Europa scheint den stämmigen Kurden in traditioneller Tracht nicht zu stören. Wenn die Türkei den für Kurdistan überlebenswichtigen Ölhahn zum Mittelmeerhafen Ceyhan zudreht, würden die Kurden eben die Pipeline nutzen, die durch Syrien geht, meint Sihad Barzani.

"Syrien ist schwach, das kriegen wir hin." Notfalls auch mit Gewalt. "Krieg sind wir gewohnt." Letztlich sei alles eine Frage des Geldes, meint der Peschmerga-Kämpfer noch und unterhält sich weiter mit einigen Offizieren der deutschen Bundeswehr, die in Erbil die kurdischen Peschmerga ausbilden und in ihrem Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) unterstützen. Doch vom IS ist in Kurdistan derzeit nicht mehr die Rede. Alles dreht sich um die Unabhängigkeit. "Wenn Frau Merkel uns hilft, schaffen wir das", sagt ein weiteres Mitglied der Barzani-Partei KDP.

Als die irakische vor der kurdischen und deutschen Hymne erklingt, verfinstern sich die Gesichter vieler kurdischer Gäste. Von Einheit will an diesem Abend niemand von ihnen etwas wissen.