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Einheitsfeier ohne Einheit

Von Georg Friesenbichler

Europaarchiv

Jubiläum von Streit überschattet. | Präsident ruft zu Zusammenhalt auf. | Rom. Überall in Italien erstrahlten Gebäude in den Nationalfarben Grün-Weiß-Rot, Flaggen in den gleichen Farben hingen aus den Fenstern. 100.000 Menschen fanden sich in Rom zu Konzerten, Veranstaltungen und einem Feuerwerk ein. Ganz Italien feierte am Mittwochabend und am Donnerstag die 150. Wiederkehr des Tages, an dem König Vittorio Emanuele II. die neue vereinigte Nation Italien ausgerufen hatte.


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Ganz Italien? Nein. Die rechtsföderalistische Regierungspartei Lega Nord boykottierte die Feierlichkeiten ebenso wie Südtirol. "1919 hat man uns auch nicht gefragt, ob wir Teil des italienischen Staates sein wollen", argumentierte Südtirols Landeshauptmann Luis Durnwalder. Das stieß bei der Rechten in Rom auf harsche Kritik, die Haltung der Lega Nord wiederum verstörte die linke Opposition. Staatspräsident Giorgio Napolitano sah sich denn auch genötigt, den Nutzen der nationalen Einheit hervorzustreichen, dank der Italien ein modernes Land geworden sei. "Wenn wir weiter auf Zusammenhalt setzen, werden wir die Schwierigkeiten bewältigen, die uns bevorstehen", sagte er.

Doch von Zusammenhalt kann schon jetzt keine Rede sein. Mario Borghezio, EU-Parlamentarier der Lega Nord, zeigt sich überzeugt, dass es in Zukunft zwei Italien geben werde. Die Lega tut das Ihre dazu. In ihrer politischen und emotionalen Heimat, in der sie zahlreiche Provinzpräsidenten und Bürgermeister stellt, zweifelt sie sogar an der gemeinsamen Sprache. Parteichef Umberto Bossi fordert, die örtlichen Dialekte in der Schule zu unterrichten, und es gibt Straßenschilder in der regionalen Sprache.

Tatsächlich ist die heutige italienische Sprache ein auf dem Florentinischen beruhendes Produkt des 19. Jahrhunderts, das sich erst nach der nationalen Einigung durchsetzte. Die Lega, die ihre Politik auf dem alten Gegensatz zwischen Nord- und Süditalien aufbaut, sieht daher sowohl in der Sprache als auch im Staat und seiner Flagge eine Fehlkonstruktion.

Die Skepsis gegenüber der zentralistisch gebildeten Einheit gab es freilich schon bei der Gründung der Nation. Ansätze zu einer Dezentralisierung sind indes immer wieder gescheitert. Nun soll es nach dem Willen der populistischen und fremdenfeindlichen Lega endlich gelingen: Seit sie in der Regierung sitzt, fordert sie nämlich nicht mehr die Teilung des Staates, sondern eine Föderalisierung - und meint damit vor allem eine Steuerreform, bei der den Gemeinden zulasten des Staates mehr Steuerkompetenzen zugesprochen werden. Bisher ist die Durchsetzung aber gescheitert - unter anderem an der Weigerung von Napolitano, das entsprechende Dekret zu unterschreiben.

Ein weiterer Faktor für die Verzögerung dieser Reform ist die anhaltende Unruhe um Ministerpräsident Silvio Berlusconi, dessen zahlreiche Skandale die Regierungsführung erschweren. Die Quittung dafür bekam er gleichfalls bei den Einheitsfeierlichkeiten: Er wurde ebenso ausgepfiffen wie sein Verteidigungsminister und der römische Bürgermeister Gianni Alemanno.