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Einigung einer Partei

Von Martina Madner

Politik

Quo vadis, Sozialdemokratie? Diese Frage stellt sich die SPÖ bei einer Klausur des Präsidiums.


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Wir müssen die SPÖ neu denken, so radikal, wie wir es seit ihrer Gründung nicht mehr gemacht haben", richtete Parteichefin Pamela Rendi-Wagner den Freundinnen und Freunden der Sozialdemokratie und den "Genossinnen und Genossen" via Facebook aus.

Nachdem sie im ORF-Report eine konkrete Antwort auf die Frage, wofür die Partei steht, schuldig blieb, trafen sich die die SPÖ-Granden, darunter der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig, der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser und die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures, am Freitagvormittag zu einer Präsidiumsklausur im Renner-Institut in Wien. Man wollte nicht über Posten oder die Chefin, sondern die strukturelle, organisatorische und inhaltliche Erneuerung der Partei sprechen. Denn, so Rendi-Wagner: "Mit Personaldiskussionen haben wir uns in den vergangenen Jahren oft über inhaltliche Fragen hinweggeschummelt."

Sozialdemokratische Ergebnisse einer Ideensuche

"Die Ursache dieses unwürdigen Zustandes ist nicht in einzelnen politischen Einrichtungen zu suchen", ist aus Kreisen der Sozialdemokratie zu vernehmen. Es gelte, sich "politisch zu organisieren" und "allgemeine Grundsätze" aufzustellen. Aktionismus klingt an, wenn es um die Verbreitung solcher Grundsätze und Ideen geht. Da müsse man "alle Mittel der Öffentlichkeit", nicht nur Medien, sondern auch "Vereine und Versammlungen voll ausnützen".

Zu den Grundsätzen der Sozialdemokratie gehört, dass sie "eine internationale Partei" ist, die sich gegen Bevorzugungen und Benachteiligungen aufgrund der Herkunft, des Eigentums oder des Geburtslandes richtet. Bei den Ideen geht es aber auch um den "Wert des Parlamentarismus", dessen Grundlage das "allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht ohne Unterschied des Geschlechts" sei.

Eine inhaltliche Definition von Sozialdemokraten kommt nicht ohne Antworten auf Fragen aus der Arbeitswelt aus. Deshalb geht es auch darum, dass Arbeitseinkommen nicht im Vergleich zu Lebenserhaltungskosten sinken. Betont wird auch die "lückenlose und ehrliche" Gesetzgebung zum Schutz der unselbstständig arbeitenden Bevölkerung. Es gehe um Kontrolle in den Betrieben, also Betriebsräte. Überraschend deutlich ist die Forderung nach einer "weitestgehenden Beschränkung der Arbeitszeit." Zuletzt im SPÖ-Wahlkampf ging es im Gegensatz dazu nur darum, einen Rechtsanspruch auf eine Vier-Tage-Woche und das leichtere Erreichen der sechsten Urlaubswoche - ohne eine Arbeitsverkürzung zu fordern, obwohl Arbeitszeiten zuletzt vor mehr als 40 Jahren reduziert wurden.

Es ging auch um ungelöste Bildungsfragen; auch das, was oft unter dem Stichwort "Lebenslanges Lernen" firmiert, die Fortbildung, ist Thema. Man müsse zu "allen wichtigen politischen und ökonomischen Fragen Stellung nehmen". Auch Steuerfragen treiben die Sozialdemokraten um, bei "indirekten, auf die notwendigen Lebensbedürfnisse gelegten Steuern" ansetzen, da diese "die Bevölkerung umso stärker belasten, je ärmer sie ist". Die Belastung durch indirekte Steuern war zuletzt nur im Zusammenhang mit den Wohnkosten ein Thema.

Natürlich ging es auch darum, "Zwist" und "Streitigkeiten" zu beseitigen - die Parteigranden stellten klar, dass "die Einigung der Partei dem energisch geäußerten Willen der Genossen im ganzen Land entspricht".

So war das bei den Sozialdemokraten zum Jahreswechsel 1888 auf 1889 in Hainfeld in Niederösterreich, dem Einigungsparteitag des "Proletariats" zur "Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs". Es ist in den programmatischen Entschließungen als erklärte Prinzipien nachzulesen.

Die Partei soll sich"an die Arbeit" machen

Die am Hainfelder Parteitag ebenfalls thematisierte drohende Kriegsgefahr, Kinderarbeit, Zensur, Almosen statt einer Sozialversicherung - all das sind Probleme der Vergangenheit, an deren Lösung die SPÖ teils federführend, zumindest aber maßgeblich beteiligt war. Daneben bleibt aber genügend Stoff, wo sich Rendi-Wagner, Genossen wie Genossinnen Anleihen holen können. Da ist von einer "Sozialreform", die den Namen nicht verdient, die Rede.

Pamela Rendi-Wagner spricht nach dem SPÖ-Präsidium von der "Pause-Taste bei der Sozialversicherungsreform", nicht von der deren Absage. Sie spricht vom "Startschuss zu einem Erneuerungsprozess unter dem Motto ‚An die Arbeit‘". Sie spricht vom "Bedürfnis nach Klärung, nach einer Erneuerung, nach einer sozialdemokratischen Erzählung, die nach 21. Jahrhundert klingt".

Die "Zukunftsvorschläge" kommen nicht von ihr, sie spielt den Ball an die Parteiorganisationen weiter. Diese haben nun acht Wochen Zeit solche mit ihren Mitgliedern zu erarbeiten, es folgt ein "Zukunftskongress" und "Zukunftslabore". Dann dürfen die Mitglieder abstimmen; am "Tag der Arbeit", dem 1. Mai, will man fertig sein.

"Der Schrei nach einer starken Sozialdemokratie ist groß", es brauche "Klarheit, um Glaubwürdigkeit und Vertrauen in die Sozialdemokratie zurückzugewinnen", sagt Rendi-Wagner - eine Klarheit, die sie selbst mehr als 130 Jahre nach Hainfeld vermissen lässt.

Programmatische Entschließungen des Hainfelder Parteitages 1888/89.