Zum Hauptinhalt springen

Einkaufen als Spießrutenlauf

Von Rosa Eder-Kornfeld

Wirtschaft
Mühsam: Einkaufen mit Rollstuhl. Doch nicht nur schlecht erreichbare Ware erzeugt Frust. Foto: Lebenshilfe

Barrierefreies Einkaufen ist noch nicht Realität. | Handel will Mitarbeiter stärker sensibilisieren. | Wien. In der Obst- und Gemüseabteilung eines Supermarktes packt ein weißhaariger Herr langsam und umsichtig einige Paradeiser in das dafür vorgesehene Plastiksackerl. Dann legt er es auf die Waage - eine Vielzahl von Tasten mit Zahlen erscheint. Er drückt auf die erstbeste: Es ist die für Bananen. Einen Gang weiter scheitert eine Frau im Rollstuhl am Versuch, ein Tiefkühlregal zu öffnen: Der Griff ist zu hoch oben, und weit und breit ist keine Hilfe in Sicht.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Auch die Schachtel mit Kartoffelteig ist für die Frau unerreichbar. Ihre Freundin wiederum kann die zu kleine Beschriftung auf einer Packung mit Käse nicht entziffern.

Das alles passiert in einem rund vierminütigen Film, der im Auftrag der Lebenshilfe Wien gedreht und im Rahmen einer Podiumsdiskussion über barrierefreies Einkaufen präsentiert wurde. Die dargestellten Situationen sollen demonstrieren, auf welche Hindernisse Menschen mit Behinderung - sei es körperlicher oder intellektueller Natur - im Alltag stoßen können. Um am gesellschaftlichen Leben uneingeschränkt teilnehmen zu können, sei es aber wichtig, dass Menschen mit Behinderung ihre Einkäufe ohne fremde Hilfe erledigen können, betont Bernhard Schmid, Generalsekretär der Lebenshilfe Wien.

Die Liste der Verbesserungswünsche ist lang: Serviceklingeln im Eingangsbereich und an mehreren Stellen im Supermarkt, mit denen man Hilfe anfordern kann, größere Aufschriften auf den Verpackungen oder Lupen an den Regalen oder am Einkaufswagen, Obst- und Gemüsewaagen mit Symbolen statt Zahlen, Bodenmarkierungen in großer Schrift zur besseren Orientierung, ausreichend breite Gänge, niedrigere Einkaufswagen und gut erreichbare Bankomatkassen für Rollstuhlfahrer - sowie mehr Verständnis und Geduld seitens des Personals.

Handel setzt aufSchulung des Personals

"Auch ich mag eine freundliche Verkäuferin, eine geduldige Kassierin und eine gut lesbare Schrift auf den Produkten", bekräftigt Spar-Pressesprecherin Nicole Berkmann, die als Vertreterin des Handels aufs Podium gebeten wurde. Manche der Forderungen seien jedoch nicht so leicht umsetzbar. Waagen mit Symbolen etwa hätten sich nicht bewährt, da es zum Beispiel mehrere Sorten Äpfel oder Bananen gebe. Über Serviceklingeln könne man reden. Sie werde das Thema bei Spar aufs Tapet bringen, verspricht Berkmann.

Bei Spar sieht man in der Schulung des Personals den Schlüssel zu mehr Zufriedenheit speziell bei Kunden mit Behinderung. Seit etwa einem Jahr bringen Vertreter von Behindertenorganisationen Spar-Mitarbeitern in der Steiermark bei, wie der Alltag für Menschen mit Seh- oder Höreinschränkungen aussieht. Und Spar will auch die Lehrlinge für das Thema barrierefreies Einkaufen sensibilisieren. Berkmann: "Wir wollen unseren Jugendlichen beibringen, wo man helfen kann und soll."

Im Idealfall braucht niemand erst um Hilfe zu rufen. "Ich kenne in meinem Supermarkt eine Kassierin, die hilft mir immer", sagt Sylvia Zagler, die Rollstuhlfahrerin aus dem Film. Oft sei es jedoch so, dass das Verkaufspersonal nicht weiß, wie es mit Menschen mit Behinderungen umgehen soll. Aus dem Publikum meldet sich eine hörbehinderte Dame. Sie schildert, wie schwierig für sie Gespräche an der Feinkosttheke ablaufen und würde sich weniger Hintergrundmusik und mehr Aufmerksamkeit seitens des Verkaufspersonals wünschen. "Das wichtigste ist der Dialog mit den Betroffenen, und wir stellen uns gern der Diskussion", sagt Alfred Matousek, Umwelt- und CSR-Beauftragter von Rewe International (Billa, Merkur, Bipa, Penny, Adeg). Er gesteht: "Bei den Mitarbeiterschulungen sind wir erst am Beginn." Was den Abbau räumlicher Barrieren betrifft, sieht Matousek schon große Fortschritte. Er räumt jedoch ein, dass es bei Filialen mit alter baulicher Substanz oft schwierig sei, sie rollstuhltauglich zu machen.

"Barrierefreiheit wird oft nur räumlich gesehen, sie sollte sich aber viel mehr in den Köpfen abspielen", sagt Hansjörg Hofer vom Sozialministerium. Er verwies auf das vor fünf Jahren in Kraft getretene Behindertengleichstellungsgesetz, laut dem auch die Anbieter von Waren und Dienstleistungen diese für jedermann gleich zugänglich machen müssen. Fühle sich jemand diskriminiert, könne er sich an eine Schlichtungsstelle wenden. Strafen seien nicht vorgesehen, aber Schadenersatzzahlungen. Das Ziel des Gesetzes sollte aber eine reale Änderung im täglichen Leben der Menschen mit Behinderung sein, betonte Hofer.