Am Sonntag wird geringe Beteiligung erwartet. | Neuauflage von Großer Koalition wahrscheinlich. | Tallinn. (apa) Am Sonntag wählen die Esten ein neues Parlament. Das heißt, jene die nicht schon im Voraus ihre Stimme auf herkömmliche Weise oder über das Internet deponiert haben. Und vor allem jene, die überhaupt wählen gehen - Umfragen lassen auf eine Wahlbeteiligung von zwischen 55 und 65 Prozent schließen.
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Der Wahlkampf war nicht gerade reich an Sachthemen. Die beiden großen Regierungsparteien mit ihren jeweiligen Anwärtern auf das Amt des Ministerpräsidenten, die rechtsliberale Reformpartei des Amtsinhabers Andrus Ansip (50) und die Zentrumspartei des alten Polit-Fuchses Edgar Savisaar (56) fuhren ihre Wahlkampagnen auf der gleichen scheinbar sicheren Schiene: Beide versprachen den Bürgern höhere Einkommen. Die Reformpartei versprach gar, Estland, das derzeit mit einem Bruttoinlandsprodukt von 55 Prozent des EU-Durchschnitts immer noch zu den Armenhäusern der Union gehört, innerhalb von 15 Jahren zu einem der reichsten Länder Europas machen zu wollen.
Streit um Denkmal
Echte Unterschiede zwischen den beiden, die nach allgemeiner Auffassung eine fortgesetzte Regierungszusammenarbeit anstreben, ergaben sich allerdings in der Steuerpolitik und in der Frage des umstrittenen Rote-Armee-Denkmals in Tallinn. Die Zentrumspartei würde gerne die zum wirtschaftspolitischen Identitätsmerkmal Estlands gewordene Flat-Tax zu Gunsten eines progressiven Steuersystems verschrotten, Premier Ansip will dagegen die vor zwei Jahren fixierte, schrittweise Senkung der Einheitssteuersatzes von derzeit 22 auf 18 Prozent durchziehen.
Im so genannten Denkmal-Streit setzte sich die Zentrumspartei mit Blick auf ihre russischsprachigen Wähler für den Verbleib des sowjetischen "Bronze-Soldaten" in Tallinn ein. Die Reformpartei plant, das Denkmal auf einen entlegenen Friedhof zu verlegen. Hier hofft man auf Honorierung durch die konservative estnische Patriotenschaft. Die Angelegenheit hatte zuletzt hohe Wellen geschlagen, als die Reformpartei und eine Mehrheit nationalistisch eingestellter Abgeordneter ein extra zu diesem Zweck gestaltetes Denkmal-Gesetz noch vor den Wahlen durchpeitschte. In Moskau protestierte man lautstark.
Präsident Toomas Hendrik Ilves machte zwar aus seiner Sympathie für das Gesetz kein Hehl, legte aber wegen Verfassungswidrigkeit dennoch ein Veto ein. Damit wurde die Entscheidung in die kommende Legislaturperiode verlegt.
Spannend könnte die Regierungsbildung vor allem dann werden, wenn die beiden großen Regierungsparteien entgegen den Umfragen schlecht abschneiden oder die Neuauflage der Achse Ansip-Savisaar unter Einbindung der ländlich verankerten Volksunion aus anderen Gründen scheitert. Dann kämen vermutlich vor allem das Rechtsbündnis Pro Patria/Res Publica unter dem zweifachen Ex-Premier Mart Laar ins Spiel, oder die Grünen, die bei ihrem ersten Antreten seit 1992 mit dem Einzug ins Parlament rechnen. Umfragen sagen den Grünen zwischen sieben und zwölf Prozent Wählerstimmen voraus. Auch die eher mitte-rechts angesiedelten Sozialdemokraten könnten ein Wörtchen mitzureden haben.