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Miami/Havanna · Im Streit um das Schicksal des kubanischen Flüchtlingskindes Elian Gonzalez sind dessen in Florida lebende Verwandte offenbar zum Einlenken bereit. Der Anwalt der Familie | sagte Sonntag dem Nachrichtensender CNN, die Familie wolle Elian der US-Einwanderungsbehörde INS übergeben, wenn diese es verlange. Man hoffe jedoch auf ein psychologisch behutsames Umgehen mit | Elian, da der Sechsjährige nach dem monatelangen Tauziehen um seine Zukunft in einem labilen Zustand sei.
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Der kubanische Präsident Fidel Castro kündigte am Sonntag in Havanna an, dass der Vater von Elian auch ohne die Begleitung von Angehörigen und Freunden aus Kuba in die USA reisen wolle. Juan
Miguel Gonzalez sei bereit, "gleich morgen allein zu reisen, um Elian abzuholen und sofort nach Kuba zurückzukehren". Ursprünglich war vorgesehen, dass Elians Vater in Begleitung einer rund 30-
köpfigen Delegation in die USA reist.
"Im Fall Elian ist das Gesetz eindeutig", betont US-Justizministerin Janet Reno. Die meisten Juristen teilen ihre Meinung, dass der kubanische Flüchtlingsbub, der vor mehr als vier Monaten vor der
Küste Floridas vor dem Ertrinken gerettet wurde, zurück zu seinem Vater nach Kuba geschickt werden muss. Ganz anders sehen es die Exil-Kubaner in Florida und zumeist republikanische Politiker, die
für den Kleinen politisches Asyl fordern. So wurde der Sechsjährige unfreiwillig zum Politikum zwischen den Vereinigten Staaten und Kuba, deren Beziehungen noch immer einer Logik des Kalten Krieges
gehorchen. Dass das Kind aus der ganzen Sache unbeschadet hervorgeht, halten Psychologen für unwahrscheinlich.
Das Tauziehen hatte bereits bizarre Ausmaße angenommen: So argumentieren Elians Verwandte in Miami, die nun offensichtlich zum Einlenken bereit sind, nicht nur damit, dass das Kind aus dem "Paradies
Miami" nicht zu seinem leiblichen Vater in die "Hölle Castros" zurückgeschickt werden könne. Sie sehen gar Erscheinungen der Jungfrau im Umfeld des Kleinen und führen dies auf eine göttliche Fügung
zurück. Sollte Elian nach Kuba zurückgebracht werden, drohten sie bisher sogar mit gewalttätigem Widerstand. Die Bürgermeister der Gemeinden um Miami schlugen sich auf die Seite der Exilkubaner im
Streit mit Washington und verkündeten, dass sie ihre Polizei nicht gegen mögliche Unruhestifter einsetzen werden.
Castro seinerseits nutzte den Fall auf der kommunistischen Karibikinsel für Massenmobilisierungen gegen die "Yankees", bezeichnet den Großonkel Elians als Kinderschänder und äußert die Befürchtung,
dass die Exil-Kubaner in Florida den Jungen eher umbringen würden, als ihn in seine Heimat zurückzuschicken.
"Der Fall Elian kam der (von radikalen Exil-Kubanern betriebenen) Kubanisch-Amerikanischen Nationalstifung in Miami gerade recht", sagt der in Mexiko ansässige Kuba-Experte Clemente Garcia. "Sie
befindet sich seit dem Tod des Gründers Jorge Mas Canosa in einer Führungskrise und kann sich durch Elian neu profilieren." Das gelingt umso besser, als gerade ein Wahlkampfjahr ist, in dem die
Politiker immer besonders gut unter Druck zu setzen sind.
Deswegen haben sich sowohl der republikanische Präsidentschaftsanwärter George W. Bush als auch sein demokratischer Herausforderer Al Gore dafür ausgesprochen, Elian vorerst in den USA zu behalten.
Denn die 25 Wahlmänner aus Florida können bei der Präsidentschaftswahl am 7. November entscheidend sein. Vizepräsident Gore nahm dafür sogar einen Bruch mit der Linie der US-Regierung in Kauf. "Das
ist bei beiden reine Demagogie", sagt der auf Einwanderungsfragen spezialisierte Washingtoner Anwalt Jose Pertierra.
"Letztendlich wird aber Castro als der große Sieger dastehen", meint Garcia. "Wenn Elian nicht zurückgeschickt wird, ist er das Opfer des Imperialismus', was Castro für seine Anti-US-Propaganda
nützt. Wird er zurückgeschickt, steht Castro als der strahlende Sieger des Machtkampfes da." Das Blatt könnte sich höchstens noch wenden, wenn Elians Vater, Juan Miguel Gonzalez, dem Castro grünes
Licht für eine Reise in die USA gab, Asyl in den USA beantragen sollte.
Elian hingegen weiß mittlerweile gar nicht mehr, wo er hingehört. In einem Interview mit dem TV-Sender ABC sagte er vergangene Woche, ihm gefalle es weder in Miami noch in Kuba. "Der Junge ist
dreifach traumatisiert: erst die Trennung seiner leiblichen Eltern, dann der Tod seiner Mutter bei der Flucht nach Florida und schließlich der ganze Medienrummel, in dem er hofiert wird wie ein
kleiner König", warnt der mexikanische Psychologe Jaime de Leon.