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"Eine kontinuierliche, langfristige Wachstumsperspektive ist nötig."
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"Wiener Zeitung": Anfang Juni wird ein neuer FWF-Präsident gewählt, Sie müssen nach drei Perioden aus der Funktion ausscheiden. Unter Ihrer Präsidentschaft wurde das "Open Access Netzwerk Austria" gegründet zur Förderung frei zugänglicher Wissenschaftspublikationen im Internet. Haben gedruckte Publikationen oder auch Lehrbücher noch eine Chance?Christoph Kratky: Es ist ein bisschen so, als hätten Sie Anfang des 19. Jahrhunderts gesagt, dass Dampfschiffe nur als Kriegsschiffe eingesetzt werden würden, aber nicht für Passagiere. Heute gibt es zwar noch Segelschiffe, aber nur für Liebhaber, ebenso wie Pferde nicht mehr die Grundlage des Transportsystems sind. So ähnlich ist es mit dem Buch. Die Leute werden sich gegenseitig Bücher schenken, besonders solche mit Widmungen, aber als prinzipieller Informationsträger wird das Buch an Bedeutung verlieren. Wissenschaftliche Publikationen sind sowieso bereits online und teilweise frei zugänglich.
Open Access hat Schattenseiten. Zweifelhafte Verlagsgruppen verlangen unerwartet Gebühren, es gibt eine schwarze Liste. Wie kann man sich in dem Dickicht zurechtfinden?
Jede Innovation birgt auch die Möglichkeit des Betrugs, aber das ist kein Argument gegen Open Access. Außerdem passiert es, so wie die Globalisierung. Sie können zwar sagen, ich bin gegen die Globalisierung, aber das ist vollkommen wurscht. Selbst die riesigen Verlage können Open Access allenfalls verstehen, verzögern oder beschleunigen, aber nicht verhindern. Wie in der Musikbranche verbreiten Wissenschafter schon jetzt Artikel untereinander.
Derzeit noch können Sie auf die Zeitschriftenartikel nicht legal zugreifen ohne Subskription. Die Ergebnisse werden aber in aller Regel von öffentlich geförderten Forschern und Instituten erzielt, dennoch muss die Universität noch einmal zahlen dafür, dass sie lesen kann, was die Kollegen auf Kosten der Allgemeinheit publiziert haben. Dieses Copyright ist problematisch. Bei Open Access kann jeder jederzeit einen Artikel lesen und nicht der Leser zahlt, sondern der Autor. Dass Forscher dafür bezahlen, dass jemand das Manuskript beurteilt und ediert, ist nur legitim, dafür gibt es dann auch keine Einschränkungen bei der Nutzung der Ergebnisse. Und dass nicht nur reiche Universitäten sich alle Subskriptionen leisten können, ist für die Wissenschaft gut. Freilich ist die jetzige Übergangsphase gemischter Medien teuer, deswegen will der FWF sie ja verkürzen.
Worauf sind Sie noch stolz? Und wo fehlt es noch immer, jetzt erst recht oder schon wieder?
Dass wir bei einer Forschungsquote von 2,81 Prozent stagnieren, ist unerfreulich, betrifft aber nicht nur uns. Was mich aber wirklich wurmt, ist, dass wir die Overheads (Kosten für Räumlichkeiten und Geräte bei Forschungsprojekten, Anm.) nicht für alle Projekte durchbringen konnten. Das ist ein wirklicher Nagel im Schuh, und es ist auch ein Stück weit empörend. Ich verstehe, dass es finanzielle Restriktionen gibt, aber diese Maßnahme, die nicht allzu viel Geld kostet, ist nicht einmal umstritten und steht sogar in der Forschungsstrategie der Bundesregierung. Ich muss der Politik den Vorwurf machen, es wider besseres Wissen nicht durchzuführen.
Von welchem Betrag sprechen wir?
Wir sind derzeit bei 20 Prozent Overheads für Einzelprojekte. Wenn wir das in einem ersten Schritt auf alle Projekte ausdehnen, wären es 30 bis 40 Millionen Euro. Langfristig geht es um eine Vollkosten-Finanzierung.
Was hat dagegen gut geklappt?
Dass der FWF immer noch existiert. Das ist nicht trivial. Der FWF verfolgt eine strenge und konsequente Politik der Qualitätssicherung. Dieses Konzept durchzuhalten, ist die erste Aufgabe. Das ist fraglos gelungen. Grundlagenforschung muss sich immer die Frage gefallen lassen: Hat es Sinn, so viel Geld für etwas rauszuwerfen, aus dem ja nur Publikationen entstehen? Wäre es nicht wichtiger, gesellschaftliche Herausforderungen anzunehmen und etwa in die Alzheimer- oder Krebsforschung zu investieren? Die Politik hat das Recht, das zu sagen, und es ist nicht unvernünftig. Aber es ist ineffizient. Wirkliche Innovationen kann können nur gelingen, wenn man nicht vorab festlegt, was der Nutzen der Forschung sein soll.
Daher machen wir keine thematischen Vorgaben - so wie ein Gärtner, der sagt, wir gießen einmal alles. Natürlich gießen wir nur, was gut ist - das heißt, kein Unkraut. Aber in einem kleinen Land sind thematische Vorgaben tödlich. Wenn 30 Millionen Euro nur für Alzheimer vergeben werden, gibt es vielleicht nicht genug erstklassige Leute. Oder es bewerben sich Forscher, die nur auf diesem Gebiet forschen, weil es dort Geld gibt. Zudem ändern sich thematische Vorgaben schnell. Eine Regierung setzt auf Nanotechnologie, die nächste auf Mobilitätsforschung. Grundlagenforschung hat aber Zyklen von Jahrzehnten.
Laut dem EU-Innovationsanzeiger liegt Österreich im Ländervergleich auf Platz neun. Hat das indirekt mit Forschungsförderung zu tun?
Wenn in das System richtigerweise investiert wird, wird es wachsen, aber nicht von heute auf morgen. Grundlagenforschung ist eine Lebensentscheidung.
Die Schweiz hat die höchsten Pro-Kopf-Zitationen. Österreich will auch so gut werden, hat aber weniger Geld. Wie geht sich das aus?
Österreich hat vor 35 Jahren 18 Prozent oder ein Fünftel der Leistung der Schweiz gebracht. Wir haben diesen relativen Anteil seit dem auf 36 Prozent verdoppelt. Dafür mussten wir die Zahl unserer Zitationen aber nicht verdoppeln, sondern verzehnfachen, und wir sind immer noch nur ein Drittel der Schweiz, und je höher wir kommen, desto mehr Geld brauchen wir für ein Prozent Wachstum. Um in die Spitzenklasse der Grundlagenforschung zu kommen, bräuchten wir noch einmal so lange - schnell nach vorne katapultieren können wir uns nicht.
Wenn Sie alles Geld in einen Bereich stecken könnten, worin würden Sie investieren?
Man müsste den kompetitiven, leistungsbezogenen Anteil im Gesamtsystem erhöhen und braucht ein ständiges, kontinuierliches, vorhersehbares Wachstum der relevanten Budgets. Wir fordern, dass der Wachstumspfad, der bis 2008 verfolgt wurde, fortgesetzt wird. Will man an die Spitze, ist das ohne Alternative. Das Wesen der Grundlagenforschung ist, dass man auf die kollektive Erwartung an die Zukunft setzt. Anwendungen entstehen von selbst.
Dass die Forschungsquote stagniert, ist ein ganz schlechtes Zeichen. Das Teuerste ist das Aushungern - keine Perspektive zu geben. Der Effekt ist genau der. Es bemühen sich zwar alle, aber man sagt: In schlechten Zeiten müssen alle den Gürtel enger ziehen. Die wirklich forschungsstarken Länder tun das nicht.Kein Problem hätte ich dagegen damit, wenn der Wissenschaftsminister hinterfragt, ob wir alle 21 Universitäten brauchen oder die Universitätslandschaft bereinigen sollte, etwa durch Zusammenlegungen.
Christoph Kratky, geboren 1946 in Graz, ist seit 1995 Professor für Physikalische Chemie an der Universität Graz. Er promovierte 1976 in Chemie an der ETH Zürich, ging danach als Postdoc an die Universität Harvard, verweist auf 187 Publikationen und hat Rechte an zwei Patenten. Seit 2005 ist Kratky Präsident des Wissenschaftsfonds, seine Amtszeit endet nach der dritten Periode im Juni. Der FWF-Aufsichtsrat wird heute Hearings mit Bewerbern durchführen und am Donnerstag einen Dreiervorschlag veröffentlichen. Nachdem er das Amt seinem Nachfolger übergeben hat, will Kratky "zurück an die Uni Graz und dann in Pension gehen".