Bildung ist eine Frage der sozialen Schicht, Maßnahmen dagegen müssten schon im Kindergarten gesetzt werden. Dafür werden die Pädagogen aber nicht gut genug ausgebildet und entlohnt, sagen diese - und sind streikbereit.
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Wien. Unmittelbar nach der Geburt scheinen sie alle gleich zu sein. Windel, Strampler, Bändchen mit Namen und Geburtsdatum um den Arm. Nur wenig später sind sie es nicht mehr. Bereits im Kindergartenalter entscheidet sich, inwieweit die Talente eines Kindes gefördert werden oder nicht. 98 Prozent aller Kinder kommen hochbegabt zur Welt, sagt der Neurowissenschafter Gerald Hüther. Nach der Schule seien es nur noch zwei Prozent. Was passiert in den Jahren dazwischen, dass Genialität verkümmert - oder, anders gefragt: Was passiert nicht?
Es ist ein Teufelskreis. Eltern, die keine Arbeit haben, schicken ihre Kinder selten in den Kindergarten. 90 Prozent der Kinder, die nicht in den Kindergarten gehen, besuchen später laut "Bildung in Zahlen" der Statistik Austria eine Hauptschule. Von 100 Kindern, deren Eltern lediglich einen Pflichtschulabschluss haben, absolvieren nur 14 die Matura und fünf ein Hochschulstudium. Und hier schließt sich der Kreis: Denn unter den Personen mit maximal Pflichtschulabschluss ist die Arbeitslosigkeit am höchsten.
"Konzept der Gesamtschule scheitert an höherer Schicht"
Bildung ist nach wie vor vererbbar. Wer in ein kulturelles und soziales Umfeld hineingeboren wurde, kommt schwer wieder heraus. Die einen haben einen Startvorteil, die anderen nicht. Ein Beispiel: "In einem Haushalt, in dem keine Bücher stehen, haben Kinder einen geringeren Anreiz, zu lesen", sagt Bernhard Heinzlmaier vom Institut für Jugendkulturforschung. Seine Herkunft könne man nicht abstreifen wie eine Hose oder ein Kleid. Viele wollen es auch gar nicht - nämlich die, die aus einer höheren sozialen Schicht kommen.
Daran scheitere auch die Gesamtschule in ihrer derzeitigen Form, sagt Heinzlmaier. In ihrer Grundidee, dass alle Kinder die gleiche Schulform besuchen, hätte sie zwar den Effekt, dass Bildungsferne profitieren - hat sie aber nicht. "Weil höher Gebildete ihre Kinder abziehen." Wer es sich leisten kann, schicke seinen Nachwuchs in eine Privatschule oder -kindergarten. Wo die Kinder Geigespielen, Ballett und Reiten lernen können. Wo Exkursionen ins Museum auf dem Tagesplan stehen, Erzieherinnen fünf Sprachen sprechen. Und wo man von mehreren hundert Euro aufwärts im Monat zahlt.
Das Bestreben, in Sachen Bildung auf Gleichheit zu setzen, funktioniert laut Heinzlmaier daher nicht. Zielführender wäre es, die individuelle Förderung vom Kindergartenalter an voranzutreiben, der verpflichtende Gratis-Kindergarten sei ein erster Schritt dorthin. Dann könnten auch jene ohne Startvorteil aufholen, und man könnte dem Auseinanderklaffen der Schichten entgegenwirken.
Das funktioniert allerdings nur, wenn es kleine Gruppen und eine hohe Zahl an Betreuern gibt. Letztere müssten freilich bestens ausgebildet sein - und dementsprechend gut entlohnt werden.
Davon sind wir allerdings weit entfernt. In Deutschland ist die Situation ähnlich, im Vormonat gab es einen landesweiten Streik der Beschäftigten von Kindertagesstätten. Mehr als 30.000 Erzieher gingen in Frankfurt und Hamburg auf die Straße und forderten mehr Lohn und Anerkennung.
"Auch in Österreich sind wir streikbereit", sagt Raphaela Keller, Vorsitzende des Berufsverbandes der Kinderpädagoginnen in Österreich, zur "Wiener Zeitung". Der Berufsverband fordert ein bundesweites Rahmengesetz und einheitliche Kollektivverträge, mehr Betreuer für weniger Kinder sowie eine höhere Qualität der Ausbildung. Für Kindergartenassistentinnen zum Beispiel existieren keinerlei Schulungsstandards. Die Ausbildung der Pädagoginnen wiederum müsse laut Keller akademisiert werden. Derzeit ist diese in Bildungsanstalten für Kindergartenpädagogik für 13- bis 19-Jährige sowie in Kollegs nach der Matura möglich.
Im ersten Entwurf für das neue Lehrerdienstrecht war die Akademisierung der Kindergartenpädagoginnen-Ausbildung noch fix vorgesehen. Das Dienstrecht wurde im Dezember 2013 beschlossen und brachte unter anderem eine Erhöhung der Anfangsgehälter für Lehrer mit sich - die Kindergartenpädagoginnen waren allerdings daraus verschwunden.
Vier Gewerkschaftenmüssten sich vereinen
Für einen Streik hätte sich also genug Missmut aufgestaut. Ganz so einfach wie in Deutschland funktioniert das in Österreich allerdings nicht. Denn vier Gewerkschaften sind involviert, sie müssten sich zum Streik vereinen. Konkret sind das die GÖD für den öffentlichen Dienst, die GdG-KMSFB für den Gemeindedienst, die GPA-djp der Privatangestellten sowie die Vida, die die Interessen der Helferinnen im Privatbereich vertritt.
Vor drei Jahren haben sich einige der Betroffenen - die Wiener Elementar-, Kindergarten- und Hortpädagoginnen - zuletzt aufgebäumt und auf dem Ballhausplatz gegen die unzumutbaren Rahmenbedingungen in elementaren Bildungseinrichtungen demonstriert. Damals war allerdings nur die GPA-djp involviert.
Heute führt diese zumindest Gespräche mit der GÖD, um erneut auf die Straße zu gehen, sagt Reinhard Bödenauer von der GPA-djp zur "Wiener Zeitung". Auch die übrigen Gewerkschaften schimpfen über zu niedrige Löhne und den "Fleckerlteppich", der derzeit bei der Ausbildung und den Bestimmungen herrscht. Konkrete Verhandlungen der Vier sind aber noch nicht geplant.
Dabei wäre es so wichtig, im Elementarbereich anzusetzen, sagen Heinzlmaier und auch die Bildungspsychologin Christiane Spiel. Um das Phänomen der Vererbbarkeit von Bildung langfristig eindämmen zu können, brauche es aber mehr als das. Genauer gesagt eine Änderung des Bildungssystems. "Die Übergänge müssten fließend sein", so Spiel. "Kinder sollten zum Beispiel nicht mit einem bestimmten Alter in die Schule kommen, sondern sobald sie reif dafür sind."