Um Coronavirus-Infektionen zu finden, sind keine Nasen-Rachenabstriche mehr nötig. Wie funktionieren die Gurgeltests?
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Zwei Stunden lang nicht gurgeln, nicht Zähne putzen und nicht essen. Personalausweis, Führerschein oder Reisepass zum Test mitnehmen. Gründlich die Nase putzen, bevor jemand vom Roten Kreuz einen Strohhalm, ein Teströhrchen und die Gurgellösung reicht. Mit der Lösung 30 bis 60 Sekunden im gesamten Hals- und Racheraum gurgeln und sie dann über den Strohhalm in das Proberöhrchen fließen lassen. Strohhalm entfernen, Röhrchen verschließen, Testkit zurückgeben, fertig. Das lernt man in einem Erklärvideo der Stadt Wien.
Im Coronavirus-Testcenter am Vorplatz des Ernst-Happel-Stadions in Wien wurden bis Dienstag, 2.30 Uhr, 1392 Proben entnommen, gab ein Sprecher von Sozialstadtrat Peter Hacker der "Wiener Zeitung" bekannt. Beim Stadion können sich zurückgekehrte Urlauber aus Kroatien, für das nun eine Reiswarnung gilt, gratis testen lassen, selbst wenn sie keine Symptome der Lungenkrankheit Covid-19 aufweisen. Die Personen mit Hauptwohnsitz in Wien müssten lediglich glaubhaft machen, dass sie aus dem Nachbarland zurückgekehrt sind, so die Stadt zu der laufenden Aktion.
Cocktail aus Zellen und Viren
Wie funktioniert der neuartige PCR-Test? "Wenn man das Coronavirus einatmet, bleibt es mit seinen Zacken im Rachen hängen. Wenn man mit einer Kochsalzlösung gurgelt, wird der Speichel mit der Rachenflüssigkeit gemischt. Epithelzellen aus dem Rachen bleiben in der Flüssigkeit", erklärt Manuela Födinger vom Institut für Labordiagnostik des Kaiser Franz Joseph Spitals in Wien: "In dem Cocktail aus Flüssigkeit und Epithelzellen ist das Coronavirus enthalten."
Bisher lief der Nachweis einer Infektion mit Sars-CoV-2 über Abstriche aus Mund-, Nasen- und Rachenraum. Ein Wattestäbchen soll eine ausreichende Menge Zellen mit Viren mitnehmen. In geprüften Labors wird das virale Erbgut durch einen molekularen Test namens "Real-time Reverse Transkriptase Polymerase-Kettenreaktion" (PCR) nachgewiesen. Durch den Einsatz fluoreszierender Stoffe sieht man die gesuchten Gensequenzen.
Mineralstoff Kochsalz
"Bisher musste man für die Proben Stäbchen nach oben in die Nase und nach hinten in den Rachen schieben, was anatomisch schwierig sein kann. Die Kochsalz-Lösung fließt nach hinten und erreicht einen größeren Raum im Rachen", erklärt Födinger, Koordinatorin der Labor-Diagnostik des Wiener Gesundheitsverbundes.
Kochsalz steht für Natriumchlorid und ist der wichtigste Mineralstoff für Menschen und Tiere. Der Körper eines Erwachsenen enthält 150 bis 300 Gramm Kochsalz. Fachstudien zum Nutzen der Substanz für Viren-Tests wurden nun im Bezug auf Covid-19 erprobt. Födinger und ihr klinischer Kollege Christoph Wenisch haben den Gurgeltest an bisher 500 Erwachsenen getestet. "Als die Pandemie im Frühjahr ausbrach, gab es einen Riesenbedarf. Wir mussten uns breit aufstellen und die Qualität prüfen", sagt sie.
Kaum Infektionsfälle gab es bei einer über das Kaiser Franz Joseph Spital und an die Uni Wien durchgeführten Studie zur Verbreitung von Sars-CoV-2 an Wiener Schulen. Nur einen einzigen positiven Test bei einer Lehrerin verzeichnete man bei 5100 Gurgelproben von Schülern und Pädagogen. "Die Schulstudie zeigte aber klar, dass mehr als 80 Prozent der Kinder in der Lage sind, zu gurgeln. Anders als bei Nasen-Rachenabstrichen, die nur durch geschultes Personal durchgeführt werden können, wäre somit die Möglichkeit gegeben, sich selbst zu testen", stellt die Expertin in den Raum. Es hätte jeder Mensch in regelmäßigen Abständen die Möglichkeit, im eigenen Wohnzimmer zu prüfen, ob er oder sie sich infiziert hat.
Derzeit sind Teststraßen auf Verdacht, wie jene im Happel-Stadion, die Ausnahme. Aus der zuständigen Abteilung für Gesundheit der Wiener Stadtregierung war am Dienstag zu erfahren, dass Gratis-Tests darüber hinaus nur bei Screenings, etwa von Risikogruppen, zur Anwendung kämen. Und das Gesundheitsministerium ließ wissen, wie sich die nationale Test-Strategie im Pandemieverlauf verändert. "Zu Beginn hat man bei Krankheitssymptomen die Nummer 1450 gewählt. Dann kam ein mobiles Team und machte einen Nasen-Rachenabstrich. Jetzt aber reicht ein einziges Symptom für einen Test, wobei es Ländersache ist, welche Testform zum Einsatz kommt", erklärte Sprecher Adrian Hinterreiter. Symptomfreie Personen, die sich auf Verdacht oder aus Vorsicht testen lassen wollen, könnten sich an eines der auf der Homepage des Gesundheitsministeriums gelisteten Labors wenden, müssten aber privat bezahlen.
Den bequemeren, in Drogeriemärkten erhältlichen Gurgeltests fehlt die behördliche Zertifizierung. Während eine noch im Juli im Drogeriemarkt dm erwerbbare Version wieder vom Markt genommen wurde, läuft zu einem von Bipa angebotenen Gurgeltest für zu Hause beim Bundesamt für Medizinische Sicherheit ein Prüfverfahren. "Das Argument ist, dass man nicht wisse, wer den Test gemacht hat", erklärt Werner Windauer von der Agentur für Ernährungssicherheit (Ages). "Es ist etwas anderes, wenn jemand von der Gesundheitsbehörde zusieht, wer gurgelt und ins Röhrchen spuckt. Beim Eigenbedarf kann niemand überprüfen, ob die Lösung zum Namen auf dem Teströhrchen gehört."
Streit um Zertifizierung
Der "Wiener Zeitung" war es dennoch die Probe aufs Exempel wert. Sie musste laut Anleitung in der dazugehörigen App aber nicht 30 bis 60 Sekunden, sondern "mindestens 60 Sekunden" gurgeln, sich selbst beim Gurgeln filmen, sich zusammen mit Pass und Passnummer fotografieren und eine sechsstellige Nummer abgleichen. Das (negative) Ergebnis kam binnen 36 Stunden per E-Mail.
"Das Wichtige ist, dass man lange genug gurgelt, damit man genug Virus-Menge in der Spülflüssigkeit hat", erklärt der Wiener Virologe Christoph Steiniger, der diesen Test mit seiner Firma Lead Horizon erfunden hat, bei dem ebenfalls eine Kochsalzlösung zum Einsatz kommt: "Auffallend ist, dass der Testkit der Stadt Wien genau so aufgebaut ist wie unserer, den es seit einigen Wochen gibt."
"Wir haben bei der Gurgelstudie zusammengearbeitet", betont Födinger. Zu möglichen Teststrategien betont sie: "Für Schulen ist die Strategie anders als für Gesundheitsberufe oder Pflegeheime. Das Risiko hängt vom Umfeld ab, es gibt kein One fits all" - selbst wenn Verbraucher sich eine einfache Lösung vielleicht wünschen.