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Einmal in der Badewanne Marschall Titos plätschern

Von Inge Santner

Politik

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Zur Begrüßung keuchen schneidige marxistische Kampflieder aus dem Lautsprecher. Ein Chor schmettert die "Internationale". An der Kassa werden rote Sterne angeboten, wahlweise aus Blech oder Marzipan, daneben originalgetreue KP-Mitgliedsbücher und proletarische T-Shirts ("The Best Worker"). "Sowas gibt's nur in Budapest" strahlt der Fremdenführer.

Wohin ist man geraten? Per Zeitreise zurück ins Budapest der Genossen Mátyás Rákosi bis János Kádár? Oder nach vorne in ein gottbehüte schon wieder kommunistisches Ungarn?

Weder, noch. Die Begegnung mit den Gespenstern der Vergangenheit findet in der demokratischen Gegenwart statt, und zwar im "Szoborpark" (= "Denkmalpark") an der südwestlichen Peripherie Budapests, wo die magyarische Hauptstadt allmählich ins ländliche Ambiente ausfranst. Die meisten Besucher kommen auf ausdrückliche Empfehlung des offiziellen ungarischen Tourismusamts.

Nicht politisches Kalkül, sondern pure Verlegenheit ist die Triebfeder des skurrilen Unternehmens gewesen. Die Ungarn sind bekanntlich ökonomisch denkende Leute. Als die "Wende" 1989/90 ganze Hundertschaften von Lenin-Statuen, Marx-Büsten und bronzenen Rotarmisten dahingerafft hatte, tat ihnen herzhaft leid um das teure Zeug. Was tun mit den entsockelten Helden, die keiner mehr wollte? Zerschlagen und verschrotten? Im Depot verstauben lassen? Einfach zum Müll werfen? Alles unrentabel.

Schließlich obsiegte die Idee der touristischen Umweg-Verwertung. Zumindest die prominentesten der Vorkämpfer, Fahnenträger und Muskelmänner des abgehalfterten Kommunismus landeten auf neu errichteten Postamenten im erwähnten Szoborpark. Dort stehen sie seit 1994, kopfschüttelnd bestaunt vom brav zahlenden Publikum. Sie verdienen erstmals Geld, statt Geld zu kosten. Inzwischen hat Ungarns lukrativer Umgang mit den kommunistischen Relikten reihum Schule gemacht. Im gesamten ehemaligen Ostblock dämmert - spät, aber doch - die Erkenntnis, dass nicht notwendigerweise alles unbrauchbar sein muss, was von Stalin & Co übrig blieb. Schließlich hinterließ die rote Diktatur sehr wohl Sehenswertes oder wenigstens Nachdenkenswertes. Als Crashkurs in Zeitgeschichte bewähren sich ihre Überbleibsel allemal.

Zugegeben, womit der Tourist in Sachen KP-Erbe zuerst konfrontiert wird, wirkt eher abstoßend. Egal ob im Baltikum, in Rumänien oder der Slowakei, überall sieht er genormte Dörfer und Marktplätze mit brutal hineingepressten Amtsgebäuden oder Einkaufszentren. Schlimmer noch, er sieht uralte Städte im Würgegriff abstrus hässlicher Satellitensiedlungen aus vorfabrizierten Beton-Paneelen. Genau hinschauen!

Diese "Burgen der werktätigen Bevölkerung" waren das allgegenwärtige Markenzeichen kommunistischer Sozialpolitik. Allein in Tschechien existieren 1,16 Millionen Platten-Wohnungen - jede zweite Prager Familie sitzt in einer. Die meisten davon bröseln längst abbruchreif vor sich hin. Trotzdem werden sie mangels Ersatz noch mehrere Jahrzehnte überleben. Auch sind sie keineswegs unbeliebt. Ihre Miete ist niedrig, ihr Unterhaltungswert dagegen ziemlich hoch. Dank ihrer dünnen Wände erfährt jedermann im Detail, worüber die Nachbarn gerade streiten.

Dank ihrer Gleichförmigkeit gibt es immer was zu lachen. Die Standardgeschichte erzählt von einem abenteuerlustigen Ehemann, der zwischen kaum unterscheidbaren Wohnblöcken umherirrt, dabei den Stiegenaufgang seiner Geliebten mit dem eigenen verwechselt und am Ende im Pyjama vor der verdutzten Gattin steht, von der er sich zwanzig Minuten vorher wegen eines unaufschiebbaren Nachtdienstes verabschiedet hat.

Doch zum Glück der heutigen Touristen ist dem Kommunismus nicht nur Uniformes für die kleinen Leute eingefallen. Er sorgte sich auch um all jene, die gleicher als die Gleichen waren, also um die Führungskader von Partei, Polizei und Armee. Ihnen legte er komfortable Appartements, Sanatorien und Renommierpaläste zu Füßen, die nun gutteils als First-class-Hotels dienen.

Wie wäre es etwa mit etlichen Ferientagen in der einstigen Sommerresidenz von Josip Broz Tito im slowenischen Bled? Exklusiver Charme winkt. Freilich, im Inneren der stattlichen "Vila Bled" herrscht nicht gerade lupenreine Stilsicherheit. Alles herum jedoch ist Luxus pur: Man schaut auf einen der hübschesten Alpenseen, lustwandelt in einem riesigen Park, schlürft den Mokka in einem Pavillon aus der Hand des Meisterarchitekten Jozef Plecnik.

Solcherart auf Titos Geschmack gekommen, riskiert man vielleicht einen Abstecher zur Wasserburg Otocec auf einer Insel im Krka-Fluss. Auch dort nämlich pflegte der eleganteste Expartisan aller Zeiten gelegentlich abzusteigen. Im Besonderen, so erzählt der Hotel-Direktor, entzückte ihn die Nasszelle seiner Spezialsuite - ein lustergekröntes Badezimmer im Superformat mit einer gleichfalls superformatigen Wanne, ideal geeignet für 100-Kilo-Menschen.

Das weiße Urlaubsdomizil des bulgarischen Langzeitregenten Todor Schiwkow, das ebenfalls auf betuchte Klientel wartet, mag allzu verschlafen am Schwarzen Meer liegen. Das Prager Holiday Inn hingegen, einstens das Paradehotel der tschechoslowakischen Armee, wäre ein heißer Tipp für den nächsten Aufenthalt an der Moldau. Im sowjetischen Zuckerbäckerstil errichtet, entstand es ab 1952 als Minikopie der Moskauer Universität. Bauherr des 14-stöckigen Prestigeobjekts war Verteidigungsminister Alexej Cepicka, ein Schwiegersohn des gefürchteten Staatspräsidenten Klement Gottwald. Natürlich mussten die teuersten Materialien und die renommiertesten Künstler her. Das Ganze war ja als Symbol für den Triumph der neuen Ideologie gedacht. In ihrem Stolz ging die Prager Führung sogar so weit, Josef Stalin höchstpersönlich zur Eröffnungsfeier einzuladen. Eine heikle Sache. Das Protokoll brütete Wochen über Wochen. Schließlich stand die einzig angemessene Begrüßungszeremonie fest: Auf den 26 Stufen vom Foyer hinauf zum Empfangssaal sollten je zwei Generäle salutierend stramm stehen. Der Einfall gefiel allgemein. Indes, es gab in der damaligen CSSR lediglich 44 Generäle, um acht zu wenig. Cepicka verbrachte schlaflose Nächte. Mit Obersten glaubte er sich unmöglich begnügen zu dürfen. Zuschlechterletzt befahl er, die Anzahl der Stufen auf 22 zu verringern. Seither liegt die Beletage im Mitteltrakt um 60 cm tiefer als in den Seitenflügeln. Wegen nichts und wieder nichts noch dazu. Denn Ehrengast Stalin vermochte den Eröffnungstermin 1954 nicht wahrzunehmen. Er war zum entsprechenden Zeitpunkt bereits ein volles Jahr tot.

Schade, jammerschade um die vielen osteuropäischen Zeugnisse des "sozialistischen Realismus", die im Überschwang der Befreiung zerstört oder radikal geschönt wurden. Manche hätten die Eignung zu veritablen Tourismusattraktionen der Zukunft in sich gehabt. Das gilt etwa für Ungarns einzigartige kommunistische "Musterstadt" Sálgotarján, ein gut funktionierendes, wenngleich eiskaltes Betonensemble ohne menschelnde Attribute wie Cafés, rauchige Kneipen und verwinkelte Gassen.

Ebenso gilt das für Kneipen die für die Metrostation Prag-Moskevská. Sie war ein Geschenk der Russen und punktete mit einer Mosaikwand aus bunten Marmorsteinen. Über die künstlerische Meisterschaft dieser Mixtur aus Kreml, Puschkin, Plattenhäusern und Basilius-Kirche wurde mit Recht gestritten. Dennoch, ihr Raritätswert stand außer Diskussion. Wie gesagt, schade drum. Heute präsentiert sich die Moskevská unter ihrem neuen Namen Andel langweilig und bildlos.

Wer anno 2001 noch ein typisches Revolutionsmuseum erleben möchte, muss weit reisen, am besten gleich ins georgische Gori, den Geburtsort eines gewissen Herrn Dschugaschwili, genannt Stalin. Georgische Eigenstaatlichkeit hin oder her, in den dortigen Museumshallen regieren wie eh und je die alten Mythen und Märchen. Sogar die Führerin stammt noch aus den Zeiten der Sowjetunion. Nirgendwo ein Bild von Leo Trotzki und anderen Verfemten des Stalin'schen Terrors. Kein Satz über die Millionen Opfer der "Säuberungen", der Gulags und der Umsiedlungen. Weder die ukrainische Hungersnot, noch der Pakt mit Hitler wird erwähnt. Umso wortreicher plaudert die Führerin über die kleinen Schwächen des großen Sowjetführers - schön geputzte Schuhe habe er gerne getragen, guten Rotwein habe er gerne getrunken ("aber stets nur ein Gläschen").

Immerhin, ein paar beachtliche Gustostückerln kommunistischer Gigantomanie offerieren sich auch im Nahbereich. Dazu zählen primär der Warschauer "Kulturpalast" aus den frühen 50er Jahren und der Bukarester "Palast des Volkes", den sich Rumäniens omnipotenter Cheful Nicolae Ceausescu ausgedacht hat. Beide verweisen die herkömmliche Baukunst ins Zwergenreich.

Als der sowjetische Kosmonaut Juri Gagarin die polnische Hauptstadt besuchte und zur Aussichtsterrasse des Kulturpalastes gebracht wurde, traute er seinen Augen kaum. "Mein Gott, von hier ist die Erde schrecklich weit entfernt" witzelte er. Und wirklich, so empfindet man's.

Der 231 Meter hohe Turm gleicht einer steinernen Rakete und lässt alle übrigen Warschauer Bauten inklusive Königspalast mickrig erscheinen. Wie man erfährt, enthält er 46.000 Tonnen Stahl, 40 Millionen Ziegelsteine, 80.000 Kubikmeter Beton und 150 Kilometer Telefonkabel. Die 30 Stockwerke addieren sich zu 3.000 Räumen. "Größer ging's nicht mehr" denkt man.

Irrtum, es ging sehr wohl noch größer, wie der rumänische Staats- und Parteichef Ceausescu überzeugend bewies. Sein kafkaeskes Utopia mitten in Bukarest kam nicht mit kümmerlichen 3.000 Zimmern aus. Es brauchte 6.000, ferner gigantische Empfangssäle, breite Treppen, goldverbrämte Korridore und den schwersten Teppich der Welt, ein Ding von angeblich präzis ermittelten 42 Tonnen. Laut jüngstem Tourismusprospekt handelt es sich um den "grandiosesten Verwaltungsbau Europas". Besuchstouren finden täglich zwischen 10 und 16 Uhr statt. Sofern man sich halbwegs überzeugend als VIP ausgeben kann, kriegt man sogar die Ceausescu-Büros zu sehen. Unsichtbar allerdings bleiben die Abgeordneten der zwei Parlamentskammern, denen das Endlos-Labyrinth vor sechs Jahren zugeteilt wurde. Kritiker der postkommunistischen rumänischen Demokratie argwöhnen, dass sie ihre Arbeitsstätten noch immer nicht gefunden haben.