Faymann und Spindelegger riskieren bei einem Scheitern auch den eigenen Kopf.
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Wien. Es geht um Österreich. Um die Zukunft des Landes und seiner Bürger. Das zu betonen, werden SPÖ und ÖVP dieser Tage nicht müde. Besuche beim Bundespräsidenten, wie ihn Werner Faymann am Montag und Michael Spindelegger am Mittwoch absolvierten, eignen sich für solche Botschaften besonders gut. Vor allem, weil man so schön auf den jeweils Abwesenden mit dem Finger zeigen kann.
Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Aus Sicht von SPÖ und ÖVP geht es vor allem um - die Zukunft von SPÖ und ÖVP. Das treibt natürlich das Spitzenpersonal besonders um, denn ob Faymann und Spindelegger ein Crash-Szenario - SPÖ-Minderheitsregierung, fehlende Mehrheit für ein Budget 2014, Neuwahlen im Frühjahr -, politisch überleben, ist mehr als unsicher.
Für den Bundeskanzler stellt sich die Situation wie folgt dar: Aus Sicht der SPÖ wird alles Sein im Heute von der heraufziehenden Wiener Gemeinderatswahl bestimmt, die spätestens im Herbst 2015 ansteht. Dass im gleichen Jahr unter anderem auch Oberösterreich und die Steiermark wählen (siehe Grafik), fällt für die Deutung der aktuellen Situation kaum ins Gewicht: An Bedeutung überstrahlt das neugotische Wiener Rathaus das barocke Bundeskanzleramt. Klingt eigenartig, ist aber - durch die rote Brille betrachtet - tatsächlich so.
Für die Bundes-SPÖ geht es also darum, alles daranzusetzen, dass die Rathaus-SPÖ 2015 nicht deutlich unter die 40-Prozent-Marke abstürzt (erst- und bisher letztmalig lag die SPÖ in Wien 1996 mit 39,2 unter dieser psychologisch wichtigen Grenze).
Als letzter bundespolitischer Testlauf steht nur noch die EU-Wahl im Mai auf dem Kalender - aus heutiger Sicht ein Dreikampf zwischen SPÖ, ÖVP und FPÖ um Platz eins. Im Falle eines Absturzes auf Rang drei dürften bei der Kanzlerpartei, vor allem in der Wiener Landesgruppe, die Alarmglocken schrillen. Faymanns Sessel könnte dann gefährlich in Schieflage geraten.
Über einen Mangel an Durchsetzungsfähigkeit sollte man sich keinen Illusionen hingeben: Wenn es hart auf hart geht, haben die Wiener in der SPÖ das letzte Wort. Und im Rathaus weiß man ganz genau: Einfacher als gegen den Bund lassen sich in Wien keine Wahlen gewinnen. Das zeigten die Erfahrungen 2001, als Michael Häupl die Absolute im Abwehrkampf gegen Schwarz-Blau locker zurückholte.
Vor diesem Hintergrund wird das Bemühen der SPÖ verständlicher, alle Zumutungen für die eigene Klientel aus einem Regierungsübereinkommen herauszuhalten. Darunter fallen einschneidende Reformen bei den Pensionen genauso wie Forderungen nach Privatisierungen, Kürzung des Arbeitslosengeldes (wie es sich angeblich auf einer Liste mit ÖVP-Sparvorschlägen findet), die Wiedereinführung von Studiengebühren oder die Erhöhung bestehender Massensteuern. Ein SPÖ-Vorsitzender, der sich auf solche Pläne für eine künftige Regierungszusammenarbeit einlässt, riskiert politisch Kopf und Kragen.
Werner Faymann, Jahrgang 1960, ist also um seine innerparteiliche Lage nicht zu beneiden, in die Haut von Michael Spindelegger, der 1959 das Licht der Welt erblickte, möchte er deshalb aber wohl noch lange nicht schlüpfen. Wie der Kanzler muss auch der Vize Verhandlungserfolge liefern. Das Problem dabei ist: Was unter "Erfolg" zu verstehen ist, definiert jede schwarze Interessengruppe ganz allein - gemeinsam ist allen nur ein Nein zu neuen Steuern, insbesondere zur Einführung von Vermögens- oder Erbschaftssteuern. Jenseits dieses Minimalkonsenses verfolgt jeder seine ganz eigene Agenda.
Am lautesten protestieren die Familienverbände. Das ist zwar schmerzlich, innerparteilich gerät dadurch jedoch kein heikles Gleichgewicht ins Wanken.
Ganz anders ist das mit den Bauern. Als jetzt durchsickerte, dass hier Kürzungen in Ausmaß von mehr als 500 Millionen Euro bis 2018 im Raum stehen, versammelten sich noch am Mittwoch die Spitzenvertreter des Bauernbundes stundenlang, um das weitere Vorgehen zu beraten. Anders als Frauen und Familien sind die Bauern in der Volkspartei ein Machtfaktor. Treuere Wähler hat die Volkspartei nicht mehr, auch wenn ihre Zahl seit Jahrzehnten stark rückläufig ist.
Gleichzeitig pocht der finanzkräftige Wirtschaftsflügel auf klar definierte und vor allem rasch wirksame Schritte bei den Pensionen, um hier die Kostendynamik in den Griff zu bekommen. Doch dabei liegen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der ÖVP übers Kreuz: So mancher schwarze Gewerkschafter aus dem ÖAAB kann sich durchaus mit "Reichensteuern" anfreunden, was wiederum geeichten Wirtschaftsbündlern die Zornesröte ins Gesicht treibt. Umgekehrt haben die Beamtengewerkschafter, die härtesten Kämpfer gegen die Einführung einer Gesamtschule der 10- bis 14-Jährigen, genau null Verständnis, wenn es um die bildungspolitischen Ideen von Wirtschaft und Industrie geht. Kurz gesagt: Es knirscht in der ÖVP-internen Sozialpartnerschaft (in der SPÖ fällt dieser potenzielle Interessenkonflikt mangels eines relevanten Arbeitgeberflügels weg).
Angesichts dieser innerparteilichen Machtverteilung kann man sich vorstellen, welche Freude Spindelegger, der selbst aus dem ÖAAB kommt, hatte, als die SPÖ ihn mit der Idee konfrontierte, Ausnahmen bei der Körperschaftssteuer für Unternehmen zu streichen. Und Spindeleger hat noch ein ganz persönliches Motiv, Sparpläne für die kommenden Jahre möglichst konkret in ein Regierungsübereinkommen hineinzuschreiben: Als möglicher künftiger Finanzminister müsste er ansonsten höchstpersönlich ein aus den Fugen geratenes Budget für die Jahre 2016 ff. verantworten.
Faymann und Spindelegger stehen also vor der Herausforderung, einen Pakt zu schließen, der die Kernklientel beider Parteien zu gleichen Teilen belastet. Ein Verhandlungserfolg des einen ist gleichbedeutend mit dem Sturz des anderen. Und wenn keine Einigung gelingt, stehen die Chancen hervorragend, dass beide demnächst Geschichte sind.
Wahrscheinlich ist es diese Aussicht, welche die beiden Verhandlungsführer dazu bringen wird, doch noch eine Einigung herbeizuführen. Womöglich sogar vor Weihnachten. Die Nationalratssitzung am 17. Dezember würde sich anbieten, eine neue Regierung zu präsentieren.