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Einsam für den Austritt

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Politik

In der Labour Party gibt es kaum noch Sympathien für den Brexit. Zum großen Missmut der Mitglieder hält Parteichef Jeremy Corbyn jedoch eisern an der Notwendigkeit einer radikalen Abkoppelung von der EU fest.


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London. Kurz vor dem großen Entscheid in Westminster wollen die meisten Labour-Anhänger vom Brexit nichts mehr wissen. Jüngsten Umfragen zufolge finden fast drei Viertel aller Wähler der maßgeblichen Oppositionspartei Großbritanniens, dass der Austritts-Beschluss von 2016 ein Fehler war. Bei den Labour-Mitgliedern denken das sogar nahezu 90 Prozent.

Ein fast identischer Anteil in beiden Befragungsgruppen gibt an, im Falle eines neuen Referendums statt für Mays Deal lieber "für den besseren Deal" - für den Verbleib in der EU - stimmen zu wollen. Einen "No-Deal"-Sprung in totale Ungewissheit, wie ihn die Tory-Rechte anpeilt, will ohnehin niemand in der linken Volkspartei.

Aber was will Jeremy Corbyn, der Parteivorsitzende? Anders als seine Partei plädiert Corbyn nicht für ein zweites Referendum. Was den Labour-Chef interessiert, ist allein ein Sturz der Regierung über die Brexit-Frage samt Neuwahlen, die ihn nach Downing Street tragen sollen. Wenn er erst einmal als neuer Regierungschef installiert wäre, würde er schon etwas Vernünftiges mit der EU aushandeln, hat er verkündet. Etwas, was der britischen Arbeiterschaft zugutekommt.

"Einen besseren Deal erzielen"

Kurioserweise klingt der Linkssozialist Corbyn, der sich gern radikal vom "Tory-Establishment" absetzt, in Sachen Brexit gar nicht so viel anders als die Brexiteers auf der "blauen" Tory-Seite. Wie vormals Boris Johnson glaubt auch Corbyn, "reibungslosen Warenverkehr" mit der EU aushandeln zu können, ohne Mitglied im EU-Binnenmarkt zu sein.

Und was Personenfreizügigkeit angeht, teilt Corbyn die Ansicht Mays und ihrer Minister, dass Zuwanderung aus dem EU-Bereich künftig reguliert werden müsse. Migrationspolitik habe sich "an den Bedürfnissen der Wirtschaft zu orientieren", hat Corbyn kürzlich einmal erklärt.

Überraschend kommen diese Äußerungen nicht, auch wenn sie viele Parteigänger Labours jetzt zusehends beunruhigen. Jeremy Corbyn hat sich, wie natürlich jedermann weiß, noch nie für "Europa" erwärmt. Zeitlebens hat der Politiker, der immer weit links stand, an der Überzeugung der Labour Party aus den 70er Jahren festgehalten, dass die EU nichts als ein kapitalistischer Klub sei, der allen Sozialismus zugrunde richten will.

Davon rückte Corbyn auch nicht ab, als Partei und Gewerkschaften in den 1980er Jahren die EU als Bündnispartnerin gegen den Thatcherismus entdeckten und auf eine pro-europäische Linie einschwenkten. Diesen Schwenk hat Corbyn bis heute nicht mitvollziehen wollen. Regelmäßig betont er, Brüssel würde einer Linksregierung in London in den Arm fallen und sie zum Beispiel daran hindern, der britischen Industrie mit Staatsmitteln neu auf die Beine zu helfen.

Es regt sich Widerstand

Seine Kritiker in der Partei akzeptieren diese Auffassung nicht. Vor allem halten sie Corbyn vor, dass ein Ausstieg aus der EU, und zumal ein "harter Brexit", eine Labour-Regierung der wirtschaftlichen Basis für alle soziale Reformen berauben würde. Mit größter Mühe haben pro-europäische Kollegen Corbyns beim letzten Labour-Parteitag durchgesetzt, dass ein neues Referendum zumindest als "Option" erhalten bleibt - so die Regierung nicht, wie von Corbyn erhofft, aus der Macht zu hebeln ist.

Corbyn aber hat keinerlei Absicht erkennen lassen, sich im Sinne seiner Gefolgschaft für einen Brexit-Stopp einzusetzen. Gefragt, ob er den Brexit abwenden würde, wenn er das könnte, meinte er: "Wir können ihn nicht aufhalten." Ein anderes Mal hat er gesagt: "Dieser Zug ist abgefahren."

Schon während der Referendums-Kampagne von 2016 hatte sich Corbyn ja äußerst schwergetan, die Pro-EU-Linie seiner Partei zu vertreten. Unvergessen ist auch geblieben, wie er am Morgen nach Bekanntgabe des Brexit-Resultats die Regierung aufgeregt drängte, nun gemäß Artikel 50 unverzüglich den Austritt aus der EU zu erklären. Selbst Tory-Hardliner wie der Europa-Abgeordnete David Hannan wunderten sich über so viel Eifer: "Es ist besser, wir lassen uns Zeit und entwickeln erst mal eine Strategie."

Just zum Zeitpunkt der wichtigsten Entscheidung der neueren britischen Geschichte, klagen Labours Pro-Europäer, stehe ihre Partei "praktisch führungslos" da. Auch Labour-Aktivisten, die Corbyn bisher loyal unterstützten, fragen sich neuerdings bang, ob ihr Parteichef den Tories womöglich helfen wolle, den Brexit "durchzudrücken". Es sei "höchste Zeit", meint die Labour-Abgeordnete Luciana Berger, dass Corbyn sich des "einhelligen Willens" seiner Partei bewusst werde, "und dass er sich der enormen Herausforderung dieser Krise stellt".