Al-Kaida wie auch der IS suchen im Internet radikalisierte Einzeltäter für Angriffe - diese werden aber für unterschiedlichste Ideologien gewalttätig.
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In einem Thalys-Schnellzugs von Amsterdam nach Paris wurde am Wochenende ein Blutbad verhindert. Al-Kaida ruft ihre Sympathisanten zu Anschlägen auf öffentlichen Plätzen und auf Fluglinien auf. Auch der IS propagiert inzwischen den individuellen Dschihad in den Ländern der "Ungläubigen". In einer Hotelanlage im tunesischen Urlaubsgebiet Sousse tötete im Juni ein Student ganz allein 38 Menschen, zumeist aus Staaten, die mit dem IS-Kalifat im Krieg stehen. Der Syrien-Rückkehrer Mehdi Nemmouche schoss am 24. Mai 2014 im jüdischen Museum in Brüssel mit einer Kalaschnikow um sich und tötete vier Menschen, darunter ein Ehepaar aus Israel. Auch eine Tat eines "einsamen Wolfes". Gezielt jüdische Opfer suchte Mohammed Merah, als er am 19. März 2012 in Toulouse vor einer jüdischen Schule drei Kinder und einen Lehrer erschoss. Und kürzlich sorgten Fälle von islamistischen Radikalen, Einzel- oder Kleinzellentätern in Kopenhagen, Sydney und besonders in Paris für Entsetzen. Der mörderische Anschlag auf das französische Satiremagazin "Charlie Hebdo" löste eine breite Debatte über die Gefährdung der Meinungsfreiheit aus.
"Einsame Wölfe" sind aber keineswegs nur radikale Islamisten. In den USA erschoss im Juni der 21-jährige Dylann Roof in der Emanuel African Church in Charleston neun Menschen. Sein Motiv war blinder Rassenhass. Der bisher drastischste Fall von "Einsamer Wolf"-Terrorismus war das Massaker, das der 32-jährige rechtsterroristische Einzeltäter Anders Behring Breivik im Juli 2011 in Norwegen anrichtete.
Bisher wurde der Spezies der politisch motivierten Mehrfach- und Intensivtäter zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Denn nicht einmal zwei Prozent aller terroristischen Anschläge gehen auf das Konto von "einsamen Wölfen", wobei die Häufung der Fälle in den USA signifikant ist. In den 1990er Jahren sorgte der österreichische rechtsterroristische Briefbomber Franz Fuchs für Aufsehen.
Der "Einsamer Wolf"-Terrorismus ist das Produkt der Selbstradikalisierung eines Individuums, eine Mixtur aus persönlichen Kränkungen und politisch-ideologischen Motiven. Im Unterschied zum Amoklauf ist er politisch motiviert.
Politik, Behörden und Öffentlichkeit sollten sich von der Vorstellung lösen, dass feste Organisationen und Kommandostrukturen hinter Anschlägen stecken müssen. Der Begriff des "einsamen Wolfes" wird immer wieder synonym für Eigenbrötler, Individualist, Außenseiter, Underdog oder Einzelkämpfer gebraucht. Nicht umsonst spielen narzisstische Persönlichkeitsmuster bei dieser Form des Terrorismus eine besondere Rolle.
Ein wesentliches Merkmal der "einsamen Wölfe" scheint zu sein, dass sie eine Phase der eigenen Radikalisierung neuerdings via Internet und soziale Medien erfahren. Isoliert von der Gesellschaft, scheinen sie heute ihre Taten minutiös planen zu können. Dabei ist die Gefahr groß, dass die "Propaganda der Tat" zunimmt.