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US-Republikaner für Waffenlieferungen, USA sehen Regime längst am Ende.
| Russland legt überraschend Resolutionsentwurf zu Syrien vor.
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Washington/Damaskus. Syrien steht am Rand eines Bürgerkrieges, die Zahl der Gefallenen steigt täglich. Ein militärisches Eingreifen auf der Seite der Opposition wird von den USA aber ausgeschlossen. Washington sucht vielmehr nach einem friedlichen Weg, Präsident Bashar al-Assad zum Rücktritt zu bewegen. Tausende syrische Deserteure sehen sich jetzt im Kampf gegen das Regime allein gelassen. Ein Umsturz wie in Tunesien, Ägypten und Libyen sei unter solchen Bedingungen ungleich schwieriger, sagen Experten. Der Kampf werde länger dauern und viel mehr Menschenleben kosten als in den anderen arabischen Staaten.
Das syrische Regime sei mit einem "toten Mann auf Abruf" vergleichbar, ist Frederic Hof, zuständiger Koordinator im US-Außenministerium, überzeugt. Ein Sturz des Regimes sei mittlerweile unausweichlich, erklärte er nun vor dem Außenpolitischen Ausschuss des US-Kongresses.
Laut einem Bericht des TV-Senders Al-Arabiya gibt es in Washington und bei der syrischen Opposition Überlegungen, Assad und seinen engsten Beratern den Gang ins Exil zu ermöglichen. Sollte Assad Syrien verlassen, dann wohl nur, wenn ihm Straffreiheit zugesichert würde. Sollte es gelingen, Assad und seine Clique unter Zusicherung von Immunität aus dem Land zu bekommen, "wäre es das Opfer wert", so US-Koordinator Hof. Immerhin hätte man dann einen langen und ungemein verlustreichen Bürgerkrieg verhindert.
Die US-Republikaner fordern, dass die rebellierenden Streitkräfte in Syrien von den USA mit Waffen versorgt werden. Doch US-Präsident Barack Obama sagt nein: "Niemand, am wenigsten die USA, ist daran interessiert, die Lage in Syrien durch Waffenlieferungen weiter zuzuspitzen." Die Haltung der US-Regierung könnte sich aber ändern, sollte im kommenden Jahr ein Republikaner Präsident werden. Derzeit beschränken sich die USA darauf, die UNO-Vetomächte China und Russland von einem kompromisslosen Kurs gegenüber Syrien zu überzeugen. Beide Länder haben bisher harte UNO-Sanktionen mit unterschiedlichen Begründungen im Sicherheitsrat verhindert.
Russland für UN-Resolution
Am Donnerstag hat sich Russland allerdings erstmals bewegt: Am Donnerstag legte es überraschend einen Resolutionsentwurf vor, in dem den syrischen Behörden ausdrücklich ein "unverhältnismäßiger Einsatz von Gewalt" vorgeworfen wird, und bereif eine Dringlichkeitssitzung ein. Vertreter Europas begrüßten den Entwurf in einer ersten Reaktion als Verhandlungsgrundlage, der aber noch überarbeitet werden müsse.
Für Moskau liegt die Schuld am Bürgerkrieg nicht allein bei Assad und seinem Clan. Der Kreml wirft der syrischen Opposition vor, die Regierung in Damaskus zu provozieren. Die bewaffneten Regimegegner würden eine gezielte Eskalationsstrategie betreiben, um eine internationale Militärintervention zu provozieren, heißt es in Russland. China hat sich bisher UN-Sanktionen mit der Begründung widersetzt, "konstruktive Gesprächen" brächten mehr als Druckausübung.
"Wie ein riesiges Straflager"
In Syrien geht die Gewalt weiter. Seit Beginn der Unruhen im März sollen mehr als 5000 Menschen getötet worden sein. Navi Pillay, UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte, spricht von mehr als 300 getöteten Kindern. Syrien gleiche immer mehr einem "riesigen Straflager". Eine gewaltige Anzahl von Syrern sei interniert, so Pillay, in den Lagern werde gefoltert und vergewaltigt.
Deserteure haben der Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch" berichtet, ihre Kommandeuren hätten befohlen, auf Zivilisten zu schießen. Sie seien angewiesen worden, Demonstrationen "mit allen Mitteln zu verhindern". Ein Deserteur berichtete, sein Kommandant habe seine Einheit angewiesen, nicht mit der Munition zu sparen. "Als jemand fragte, worauf denn gezielt werden solle, sagte er: Auf alles, was sich vor eurer Nase befindet", so der Zeuge. Niemand werde später von den Soldaten Erklärungen verlangen, habe er gesagt.
Angesichts der verzweifelten Lage der Regimegegner ist dem französischen UN-Botschafter Gerard Araud der Kragen geplatzt. Er macht den Sicherheitsrat für die anhaltende Gewalt "moralisch verantwortlich". Es sei "skandalös", dass das UNO-Gremium aufgrund des Widerstands einiger Mitglieder nicht dazu in der Lage sei, den notwendigen Druck auf die syrischen Behörden auszuüben, so der Diplomat. Die Schilderungen Pillays seien das Schlimmste gewesen, was er in den vergangenen zwei Jahren gehört habe, so Araud.
Gefechte im Süden Syriens
Unterdessen ist die syrische Opposition dabei, sich immer besser zu organisieren und politische Strukturen aufzubauen. Regimegegner kündigten in Istanbul die Gründung einer "Nationalen Allianz" an. Ziel sei es, die aktuelle syrische Führung zu stürzen. Präsident der Allianz ist Muhammed Bessam Imadi, Syriens früherer Botschafter in Schweden. Imadi zufolge besteht die Allianz aus dem Großteil der in Syrien bestehenden Koordinierungskomitees, die die Aufstände auf lokaler Ebene organisieren und zuletzt immer mehr an Bedeutung gewonnen haben. Die Allianz unterstützt zudem die im Sommer gegründete Freie Armee Syriens des Assad-Gegners Riad al-Asaad. Neben der Nationalen Allianz existiert bereits der oppositionelle Syrische Nationalrat, der im Oktober in Istanbul gegründet wurde.
Assads Regime versucht unterdessen, die einzelnen ethnischen und religiösen Gruppierungen gegeneinander aufzubringen und Unfrieden zu säen. Ziel sei es, die Oppositionsbewegung zu neutralisieren, sagen die Regimegegner. Die Strategie zeigt bereits Wirkung, in der Stadt Homs etwa haben die Spannungen unter den einzelnen Gruppierungen zuletzt massiv zugenommen.
Im Süden Syriens ist es am Donnerstag erneut zu heftigen Kämpfen zwischen Regierungstruppen und Deserteuren gekommen, Menschenrechtlern zufolge kamen dabei 27 Soldaten um Leben. Die Kämpfe sind in Daraa und an einem Kontrollposten vor der Stadt ausgebrochen. Immer öfter werden Regierungssoldaten von Deserteuren überfallen und getötet. In der Region Lujah im Süden des Landes kämpfen hunderte Deserteure gegen Regimetruppen. Immer wieder sind Maschinengewehrfeuer und Detonationen zu hören. Die Region dient den Rebellen als Rückzugsgebiet, da sie für Panzer und Infanterie nur schwer zugänglich ist.